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AMELIA

Trist und grau sind die Tage in der Hütte. Mitten im nirgendwo, sind die Tage länger und einsamer als ich sie je wahrgenommen habe. Hier ist nichts. Keine Tiere, keine Menschen, keine Action. Keine Autos, die vorbeifahren, keine Spaziergänger. Da die Fenster sich nur per Schlüssel öffnen lassen, höre ich hier drinnen auch nichts. Es ist verdammt einsam.
Meine Krankheit ist bereits fast vorüber und ich schaffe es nach fast zwei Wochen -oder wenn auch mehr, keine Ahnung was heute für ein Tag ist- zu essen. Zwar schmeckt die Suppe, die die beiden Männer gekocht haben, nur nach Möhren, Erbsen und Kohl, aber die heiße Brühe, tut meiner kratzigen Kehle gut.
»Willst du nicht aufessen?«, fragt einer der beiden. Ihre Namen habe ich mir immer noch nicht gemerkt. Vielleicht irgendwann Mal, wenn ich das auch will. Im Moment ist nämlich Verdrängung die beste Therapie.
Erschöpft schüttle ich meinen Kopf. Auf dem Sitzfenster gegenüber des Bettes, habe ich mir und den letzten Tagen ein Lager errichtet und schaue den Gradhalmen beim Wachsen zu. Sie im Wind wehen zu sehen, ist das einzig spannende was passiert ist. »Du solltest-«
»Ich will aber nicht«, unterbreche ich ihn. Erschreckt über meine eigene, kratzige Stimme runzle ich die Stirn. Das klingt nicht im Entferntesten wie ich. Und doch kommen die Laute aus meinem Mund.

Der rothaarige seufzt und nimmt sich die Schüssel, die neben mir auf der gepolsterten Fensterbank stand. »Ryan fährt gleich in die Stadt. Möchtest du etwas vom Supermarkt?«
»Eine Knarre«, nuschle ich gequält. Je eher ich mich aus diesem Schlamassel befreie desto besser. Ich will frei sein... dort oben im Himmel.
»Haha«, stößt er monoton hervor und schaut auf mich hinab, ich sehe seine Reflexion in der Glasscheibe. »Was zum Essen?«
Was für Langweiler. »Nein.«
»Was isst du gern? Schokolade?«
Wieder ein Kopfschütteln.
»Chips?«
»Nein. Mir ist nicht nach Essen, mein Magen dreht sich wie eine Achterbahn«, stoße ich leise aus. Die Knie fest an die Brust gezogen, tut vermutlich sein Übriges, aber das ist der Fötusposition am nächsten, die ich am liebsten einnehmen würde. Geschirr klappert und kurz darauf findet sich eine Hand an meiner Stirn wieder. Misst er jetzt meine Temperatur? Gott. Ich habe kein Fieber mehr, das hätte ich ihm auch gesagt, hätte er mich mal gefragt.
»Was hast du noch für Symptome?«
»Ist doch egal«, murre ich und zerre mir meine Decke enger vor der Brust zusammen. Mir ist eisig kalt und dass es hier drin recht warm ist.
»Das ist es nicht, du-«
»Ich komme schon klar!«, maule ich ihn an. Was kümmert ihn das überhaupt? Er ist nicht hier, um für mein Wohlergehen zu sorgen, sondern mich nur daran hindern abzuhauen oder jemand anderen daran zu hindern, mir zu schaden.
»Lasst mich einfach in Ruhe, ich-«
Mir bleiben meine Worte im Hals stecken, in dem sich gerade ein fetter Kloß breitgemacht hat und mir die Luft zum Atmen abschnürt. Mein Herz setzt aus, beginnt zu rasen, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Schluckend versuche ich ihn loszuwerden, doch in der gleichen Sekunde, spüre ich wie sich die Suppe zurück auf den Weg in meinem Mund macht. Ich springe auf, so schnell mir das eben möglich ist. Stolpere auf dem Weg zum Bad fast gegen den rothaarigen, der mich gerade so festhält, bevor ich Bekanntschaft mit dem Boden mache. Die Welt dreht sich wie ein Brummkreisel und bevor ich mich versehe, küsse ich die Klobrille und würge die kleine Portion Gemüsesuppe in die Schüssel. Das Einzige, was ich in den letzten vierundzwanzig Stunden zu mir genommen habe. Mein gesamter Körper verkrampft sich, und ich habe Mühe, mich an der Toilette festhalten zu können. Schweiß rinnt mir über die Stirn und vermischt sich auf meinen Wangen mit Tränen, die aus meinen Augen Quellen. Mir ist heiß, kalt, alles zugleich. Das schreckliche Gefühl in mir ebbt nicht ab. Erneut würde ich, doch nur Galle kommt mir noch aus dem Mund. Immer und immer wieder zieht sich mein Magen zusammen, bis meine spröden Lippen aufreißen und sich meine Magensäure mit meinem Blut vermischt. Mein Körper beginnt zu Beben, mein Herz zu stolpern. In meiner Stirn hämmert es kräftig und große Flecken schwärzen meine Sicht. Hustend kippe ich zur Seite, falle ins nichts. Hände fangen meinen Körper auf, doch meine Seele fällt endlos weiter, bis man in meinem Hirn die letzten Lichter ausknipst und ich nichts mehr spüre.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt