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TIMÉO

Die Spur mit der Ärztin in Dublin ist im Sand verlaufen. Zwar schafften es Sawyer und James, sich in die Kameras und Akten der Praxis zu hacken und so fanden wir auch heraus, dass Amelia wohl unter dem Namen Rachel Cunnigham dort eingetragen war, doch mehr nicht. Sie war eine Sackgasse, so wie die anderen zwölf Spuren, denen ich danach nachgegangen bin. Erneut sind Monate ins Land gegangen und so langsam bin ich am Verzweifeln. Ich weiß nicht, wo ich sie noch suchen soll. Nicht in London, nicht in Dublin, wo sonst? Wo haben diese Typen sie hingebracht? Ich zerbreche mir seit Wochen den Kopf darüber und komme zu keiner passenden Erkenntnis. Quentin hat versucht mir zu helfen, aber ich habe ihn abgewiesen. Ich weiß, dass er mir nichts Böses will, aber seine ständigen Ratschläge haben mich fertig gemacht. Auf Touren mit den anderen war ich schon seit zwei Monaten nicht mehr. Ich schaffe es einfach nicht, den Kopf freizubekommen und stelle so ein Risiko für sie da. Aber das Geschäft muss auch ohne mich laufen. Ich habe alle Hände voll zu tun, Amelia aufzufinden. Sie kann nicht einfach so vom Radar verschwunden sein, das darf nicht sein.
Ich bin so verzweifelt, dass ich zu Mathieus Haus gefahren bin. Sein Grundstück liegt mitten in der Stadt, umzingelt von Touristenmagneten wie Cafés und Nachtclubs. Es ist taktisch in einer äußerst schwierigen Lage, weil es eben nie ruhig ist in dieser Ecke. Er wusste genau, was er tut, als er sich das Grundstück gekauft hat. Weil es eben so schrecklich schwer anzugreifen ist. Und jetzt stehe ich vor seinem Tor wie ein armer Schlucker, der um eine Audienz bittet.
Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis das Tor endlich zur Seite rollt und ich den kleinen Innenhof betrete, der sich zwischen der Grundstücksgrenze und der Haustür befindet. Einer der Butler hält mir bereits die Tür auf und lässt mich eintreten.

Ich war schon ewig nicht mehr hier. Das letzte Mal, da lebte mein Vater noch. Obwohl das schon lang her ist, kommt mir das Haus noch bekannt vor. Es hat sich nichts geändert. Nicht die Bärenfellteppiche, noch die goldenen Ornamente überall. An der Decke prangt ein Kristallkronleuchter. Gott ist der Typ protzig.
»Was verschafft mir die Ehre?«, erklingt die mir altbekannte Stimme, die ich versucht habe, so lang wie möglich zu meiden. Jetzt ist die dämliche Visage meines Onkels unausweichlich.
»Dachte ich statte meinem Onkel mal einen Besuch ab, da er nicht zu meiner Hochzeit erschienen ist«, erkläre ich und verschränke lässig die Hände hinter dem Rücken. Meine Augen gleiten an seinem Körper hinauf. Polierte Schuhe aus Krokodilleder, karierte Anzughose und Hemd. Gott.
Das Gesicht meines Onkels verzieht sich zu einem Lächeln. »Wenn ich eine Einladung bekommen hätte.«
»Muss wohl unterwegs verloren gegangen sein.«
Schulterzuckend schaue ich mich weiter um. An ihm vorbei schielend, entdecke ich einen gedeckten Esstisch. »Störe ich? Hast du Besuch?«, will ich wissen und mache einen Schritt zur Seite, um mir die Szenerie genau ansehen zu können. Ein umgekippter Stuhl, verschütteter Wein und ein nicht abgegessener zweiter Teller. Merkwürdig.
»Ach das«, brummt Mathieu genervt, versucht mich aber rasch von dem Chaos abzulenken. »Tollpatschiges Küchenmädchen. Kennst das Problem mit den Angestellten ja... Schwer gute zu finden. Also was verschlägt dich hierher?« Er drückt mich an der Schulter nebenan ins Wohnzimmer, dort wo uns eine Wand vom Esszimmer trennt. Auch hier hat er an übertriebener Zurschaustellung seines Reichtums nicht gespart. Die Inneneinrichtung macht Versailles zweifellos Konkurrenz.

»Ich bin mir sicher, du hast bereits mitbekommen, dass die Lage zurzeit etwas angespannt ist«, spreche ich es endlich aus. Er nickt überschwänglich. »Sicher. Hab gehört das deine Villa etwas verunstaltet wurde.«
Das ist ja wohl gelinde ausgedrückt. Meine fucking Haustür wurde aus den Angeln gesprengt und in der Betonwand hat ein Loch geklafft. Das bezeichnet er als ein etwas? Pff.
»Ich will dir nur sagen, dass ich dankbar wäre, wenn du die Augen offenhältst. Weißt schon, falls du was hörst in der Stadt«, bitte ich ihn. Eigentlich will ich mit meinem Onkel nichts am Hut haben aber um an das zu kommen, was man will, muss man manchmal gute Miene zum bösen Spiel machen und in den sauren Apfel beißen. So wie ich es gerade tue und mich weit unter meiner Würde, in diesem Haus aufhalte. Mathieu und ich wissen beide, dass wir einander nicht ausstehen können. Jetzt wirkt er als würde er mich sofort wieder loswerden wollen. Deswegen nickt er auch immer so eifrig, wenn ich was sage. Looser.
»Sicher. Ich informiere dich, wenn ich was höre. Um was geht's eigentlich?«, will er neugierig wissen. Natürlich will er das.
»Um meine Frau. Blonde Haare, zierliche Statur. Schonmal gesehen?«
»Weißt du wie viele blonde Frauen in der Stadt rumlaufen? Tausende«, schnauft er und zuckt mit den Schultern. Misstrauisch mache ich einen Schritt auf ihn zu und kneife meine Augen zu schlitzen zusammen. »Mathieu, mein teuerster«, knurre ich leise zu ihm hinab, »ich erinnere mich bestens an dein kleines Geburtstagsgeschenk. Solltest du auch hiermit was zu tun haben, garantiere ich für nichts mehr, klar? Dann bist du ein toter Mann«, stelle ich klar. Es musste ja mal gesagt werden. Denn damit, hat er eine Grenze überschritten, die niemand überschreiten darf. Er hebt abwehrend seine Hände und tritt einen Schritt zurück, um Abstand zwischen uns zu bringen. »Wow. Das mit deinem Geburtstag war doch nur ein kleiner Spaß. Und deine süße, die würde ich nie anrühren. Aber wenn sie hier vorbeikommt, schick ich sie zu dir«, versichert er mir. Ich schaue das letzte Mal in die Augen dieses Heuchlers, dann mache ich auf dem Absatz kehrt. »Man sieht sich, Onkel Mathieu«, rufe ich ihm noch zu. Es klingt mehr wie eine Drohung als eine normale Verabschiedung. So leicht kommt der alte Sack mir nämlich nicht davon.

Ich eile die Stufen hinab durch den Innenhof durchs Tor, was sie lediglich einen Spalt geöffnet haben, sodass ich seitlich hindurchmuss. Mit großen Schritten eile ich über den Fußweg um die nächste Hausecke. In einem unscheinbaren Auto an der nächsten Kreuzung, wartet Quentin auf mich. Er raucht schon wieder. Grübelnd schwinge ich mich auf den Beifahrersitz des abgenutzten Wagens und lasse mir seine Zigarette reichen.
»Und? Denkst du da ist was dran?«, durchlöchert er mich neugierig. Den Rauch einatmend nicke ich. »Tausend Prozent«, brumme ich ehrlich. Mir sind die Blutspritzer auf dem Boden nicht entgangen. Er verschweigt mir was und ich kann nur hoffen, dass es Amelia ist. Denn dann, kann ich ihn endlich aus dem Weg räumen.
Keine Sorge, es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich dich finde. Und nachdem du mir Rede und Antwort gestanden hast, werde ich dafür sorgen, dass dir nie wieder etwas zustößt, ma petite chérie. Nie mehr.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt