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AMELIA

Es ist noch dunkel, als jemand an meine Zimmertür klopft und mich weckt. Viel geschlafen habe ich nicht und viel Zeit kann nicht vergangen sein, seit dem Gespräch im Wohnzimmer. Höchstens vier Stunden. Umso müder bin ich, als ich das Zimmer verlasse. Man sagte mir, ich solle meinen Koffer stehenlassen da er abgeholt werden würde. Den Koffer, den mir zuvor jemand ins Zimmer gestellt hatte. Aus dem vollen Kleiderschrank hatte ich lediglich ein paar Sachen hineingelegt, bevor ich mich schlafen legte.
Der Mond steht noch hoch am sternenklaren Nachthimmel, als ich zum ersten Mal vor die Haustür trete. Der kalte Wind bläst mir ins Gesicht und verursacht Gänsehaut auf meinen Armen. Fröstelnd schlinge ich sie mir um den Körper und grabe meine Finger tiefer in den weichen Stoff des Pullovers, den ich trage. »Schlaf nicht im Stehen ein«, haucht mir plötzlich eine tiefe Stimme ins Ohr und ich fahre zusammen. Erschrocken drehe ich mich herum und blicke in Timéos Gesicht. Er steht einen Schritt hinter mir auf der Treppe und zieht gerade die Haustür zu.
»Witzig«, brumme ich und gehe die zwei Stufen hinab, um mehr Abstand zwischen uns zu bringen. Der Kies knirscht unter meinen Sohlen.
»Wieso müssen wir ausgerechnet mitten in der Nacht aufbrechen?«, frage ich verwirrt. Hinter mir knallen Autotüren zu. Timéo kommt die Treppe hinab und bleibt neben mir auf dem Kies stehen. Sein Blick auf den Vorgarten gerichtet, während ich mit dem Gesicht zum Haus stehe. »Weil wir es sonst zeitlich nicht schaffen«, erklärt er. Ich beiße mir abdriftend auf die Lippe und atme aus. »Wie auch immer«, murmle ich. Ganz kaufe ich ihm das nicht ab. Immerhin hatten wir den ganzen gestrigen Tag Zeit, um aufzubrechen.

Ich spüre Timéos Blick auf mir. Er mustert mich von der Seite. Obwohl seine Augen von einer schwarzen Sonnenbrille verdeckt sind, weiß ich, dass er mich ansieht. »Du wirst hoffentlich nichts Dummes probieren, chérie.« Seine Stimme ist bedacht, aber so messerscharf, dass sie mein Trommelfell durchschneidet. Ich halte die Luft kaum merklich an. »In Paris?«
Im Augenwinkel sehe ich, wie er nickt.
»Ich bin nicht dumm«, erwidere ich. Er schnaubt amüsiert. »Nein, das bist du nicht. Du bist klug, petite britannique.«
Ich hasse die Spitznamen, die er mir gegeben hat. Als wäre ich sein kleines Spielzeug. Seine Puppe, mit der er machen kann, was er will.
»Kommst du jetzt? Sonst verpassen wir das Startfenster für den Jet«, holt er mich aus meinen Gedanken. Er klingt viel freundlicher als eben.
Mit angespannten Schultern drehe ich mich auf dem Absatz um und steuere auf die zwei schwarzen SUVs zu, die in der Einfahrt stehen. Einer der in schwarz gehüllten Männer öffnet mir die hintere Tür, und ich steige stumm ein, obwohl sich jede Faser meines Körpers dagegen sträubt.

»Wie lang werden wir in Paris bleiben?«, möchte ich wissen und sehe ihn neben mir sitzend an. Timéo lässt den Gurt klicken als er sich anschnallt, dann schiebt er die Sonnenbrille auf seine Haare. Es ist so finster im inneren des Autos, dass ich lediglich seine Umrisse ausmachen kann.
»Ein paar Tage, dann müssen wir zurück. Wieso, warst du etwa noch nie in Paris?«
»Nein«, gebe ich zu. Sein Kopf dreht sich im Schutz der Dunkelheit zu mir.
»Interessant«, raunt er geheimnisvoll. Was auch immer er noch sagen will, er spricht es nicht aus.
Der Wagen setzt sich fast geräuschlos in Bewegung und nachdem wir das große Tor passieren, wende ich mein Gesicht der Scheibe zu. Es ist das erste Mal, dass ich in Marseille bin. Ich kenne die Stadt nicht und auch niemanden der hier wohnt. Es ist zudem das erste Mal, dass ich die Villa seit meiner Ankunft verlasse. Auch wenn es nur die Fahrt zum Flughafen ist. Ich präge mir jedes kleine Detail an, welches ich von unserer Umgebung aufschnappe. Im dunklen sind die Straßen Marseilles nur schwach mit gelblichen kegelförmigen Licht ausgestrahlt. In einigen Häusern brennt Licht und ein paar schaurige Gestalten treiben sich auf den Straßen rum. Einige grüßen die schwarzen SUVs.
»Wer waren die?«, frage ich Timéo und neige meinen Kopf kurz zu ihm. Er richtet seine Brille auf den Haaren, betrachtet mich für einen Moment durch die Dunkelheit. Seine Blicke sind so intensiv das ich sie wie kleine Nadeln auf meinem Gesicht spüre. »Niemand.«
»Das glaube ich dir nicht. Sie waren nicht die ersten, die uns gegrüßt haben.«
»Manche Dinge gehen dich nichts an, Amelia.«
»Ach ja?«, frage ich mit verschränkten Armen. Er ist ein Arschloch. In was für dreckige Machenschaften er wohl verwickelt ist?
»Bist du sowas wie der Pate?«
Er stößt einen amüsieren laut aus, der fast schon gehässig klingt. »Sowas wie? Du schaust zu viele Filme. Ich bin Geschäftsmann, kleine.«
Mir missfällt es, wie abschätzig seine Stimme klingt. Timéo kann mich mal. Am liebsten würde ich die Tür des SUVs aufreißen und in die dunkle Nacht fliehen. Aber mir ist nicht entgangen, wie die Türen sich beim Verlassen des Vorgartens verriegelt haben. Mist.
»Nenn mich nicht kleine. Ich bin nicht dein Püppchen und auch nicht-«

Seine flache Hand trifft grob auf meinen Mund und löst einen Schmerz in meinem Gesicht aus, der sich langsam bis in den Hinterkopf brennt. Verdammt! »Meine kleine Hure wärst du wohl gern, hm? Vielleicht will ich dich aber auch überhaupt nicht. Wieso sollte ich? Du bist eine unausstehliche Frau, die immer alles wissen muss. Was hat James mir da nur eingebrockt als er dich mir geschickt hat? Jemandem wie dir«, er schalzt mit der Zunge, »würde ich normalerweise als erstes das Maul stopfen. Und glaub mir, sicher nicht mit meinem Schwanz, ma chérie.«
Die Kälte in seiner Stimme schickt mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Ich schlucke unter seiner Hand, atme durch die Nase ein. Er ist mir so nahgekommen das ich sein sündhaft teures Parfüm wahrnehme. Es riecht nach Macht, Einfluss und Ehrfurcht. Eine tödliche Mischung.
Mit zitternden Hände bekomme ich seine zu fassen und reiße sie mir von den Lippen. Er gibt keinen großen Widerstand, was mich überrascht. »Fick dich!«, keife ich ihn spuckend im Schutz der Nacht an. Seine Augen sind das Einzige, was mir hier drinnen entgegen schimmert. Sie sind so voller Feuer, dass ich glaube, dem Teufel gegenüber zu sitzen. »Das wirst du bereuen, das verspreche ich dir Amelia«, knurrt er. Seine Stimme so leise und doch unüberhörbar. Die Kälte in seiner Stimme kriecht mir bis in die Knochen.
»Nein, du wirst es bereuen«, stelle ich bissig klar. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Nicht, bis ich frei bin. Ja, ich hatte mir vorgenommen weiter die artige zu spielen, um etwas Zeit zu gewinnen und einen Weg hier rauszufinden. Aber dieser Mistkerl soll nicht denken, dass ich mich damit abgefunden habe oder gar anfange ihn zu mögen. Igitt. Der Gedanke ist so abwegig, dass er Kotzreiz in mir auslöst. Er ist ein Arsch und mehr wird er nie sein. Ein arroganter Franzose.
»Fühlt sich an wie eine Drohung, kleine Britin. Warts nur ab, sobald du meine Frau bist, wirst du mich anbetteln«, raunt er mir zu. Ich lache abfällig, aber gleichzeitig setzt mein Herz einen Schlag aus.
Ich, bettelnd vor ihm. Eine größere Erniedrigung gibt es für mich wohl nicht. Und doch ist es ... irgendwie erregend.

King of Marseille | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt