Wie lang ich ihm nachsah, auf die bereits wieder geschlossene Tür starrte, das konnte ich nicht sagen. Sekunden waren Stunden und eine Minute fühlte sich an, wie ein ganzes Menschenleben.
Es war still geworden, in diesem kalten Raum. Einzig und allein die gleichmäßigen Signale der Geräte, an denen ich anschlossen war, brachen die Ruhe. Vorher hatte ich diese Geräusche gar nicht bemerkt, doch nun? Nun ließen sie mich jedes Mal aufs Neue zusammen zucken. Ich war müde, doch die Schmerzen in meinem Kopf und die Trauer in meinem Herzen, verboten mir den Schlaf. Ich wusste gar nicht, was mir von beidem mehr wehtat. Wieso geschah das alles? Ich senkte den Kopf, betrachtete den Schriftzug des Shirts. Damals war noch alles gut. Ein Lächeln schlich mir auf die Lippen. Nie hätte ich vermutet, dass es einmal so kommen würde. Er war doch mein bester Freund, oder? Oder...?! Ich wusste es nicht mehr. Vielleicht auch nur, weil ich Angst vor der Wahrheit hatte. Vielleicht, weil die Antwort zu furchtbar war. In meinen Augen bildeten sich Tränen, doch das Lächeln war geblieben, denn ich sah uns vor mir. Wir tanzten im Regen durch die Menschenmassen und genossen die Musik. „Das ist der beste Abend meines Lebens!" waren seine Worte gewesen, als wir schon wieder auf der Heimfahrt waren. Das war unser erstes Konzert, würde es das letzte bleiben?
Die Klinke senkte sich und die schwere Tür tat sich auf. Kai hielt sie mit dem Ellenbogen offen. In seinen Händen, zwei Becher aus Pappe. Ich schluckte schwer, wischte mir die Tränen von den Wangen. Weinen nützte nichts, nicht mehr jedenfalls. Kai kam auf mich zu, hielt mir einen Becher hin. Ich nahm ihn schweigend an, nickte nur einmal kurz dankend. Mein Freund ließ sich erneut auf seinem Stuhl nieder und hielt sein Getränk mit beiden Händen fest. Mein Behälter war warm, seiner sicher genauso. Wollte er seine Hände wärmen?
„Die Ärzte bringen dir gleich Mittel gegen die Kopfschmerzen. Sie sagen, sie sind sich noch unsicher, ob es nötig ist, dich eine weitere Nacht hier zu behalten." Seine Stimme war leise, schwach, doch die Wärme war nicht verflogen.
Kai war so ein sanftmütiger Mensch. Er war das Beste, was einem wie mir widerfahren konnte. Noch immer sprach ich kein Wort, nickte nur noch einmal. Ich hob meinen Becher, nippte von ihm. Kaffee, genau wie ich ihn mochte.
„Ich werde dir ein Buch herbringen, wenn du bleiben musst. "Stimmt, in letzter Zeit war ich überhaupt nicht mehr zum Lesen gekommen. Die letzte Woche war abnormal anstrengend und stressig gewesen. Kaum hatte ich einmal Zeit für mich, kam etwas dazwischen und wenn ich mal für mich war, verhinderten kraftraubende Gedanken das Entspannen. Ich hatte mich nicht mehr konzentrieren oder gar abschalten können. „Nach dem Frühstück kommen sie zur Visite.", fügte er leise hinzu und trank einen Schluck. „Kai..." , begann ich leise. „Ja?" „Du bist mir unwahrscheinlich wichtig." Er hob seinen Blick, sah mich das erste Mal, seitdem er das Zimmer betreten hatte, richtig an. Mein Freund wirkte irgendwie überrascht, ja, schon fast erschreckt! Anscheinend hatte ich nicht nur meine Bücher vernachlässigt. Vielleicht hätte ich Kai öfter sagen sollen, wie viel er mir bedeutete. Vielleicht wäre er dann geblieben? Schon merkwürdig, wie wir hier saßen. Niemand erwiderte etwas. Niemand nahm das Wort an sich, bis Kai hoch stand und zu meinem Bett trat.
Behutsam strich er mir mit seiner kalten Hand- die Hitze des Getränks hatte wohl nicht geholfen-über die Stirn und lächelte. Fröhlich wirkte er jedoch nicht, wie auch, bei dem, was ich am Tag zuvor getan hatte? Egal, was es gewesen war, schlimm musste es wohl gewesen sein.
Nie wieder würde ich Alkohol trinken, das schwor ich mir an diesem Tag und ich kann stolz von mir behaupten, diesen Schwur bis heute nie gebrochen zu haben.
„Du mir auch..." So viel Qual in seiner Stimme, doch wieso?
Plötzlich klopfte es an der Tür und in Kitteln gekleidete Männer und Frauen betrachteten uns kritisch. Doch ich sah sie nicht, denn das einzig wichtige war, dass er bei mir blieb. Sie untersuchten mich, sprachen mit mir und nahmen Blutproben, doch das war alles egal, denn er hielt meine Hand, die ganze Zeit. Kai wich nicht von meiner Seite und endlich, endlich hatte ich wieder das Gefühl, vollkommen zu sein. Natürlich war nicht wieder alles gut zwischen ihm und mir, doch gerade brauchte ich ihn und er? Er erhörte meinen Hilferuf. Viel hatten wir noch zu klären, doch das musste warten. „Sie haben keine starke Alkohol-Vergiftung. Ihr Körper hat sich zwar wieder relativ gut erholt, weshalb wir Sie auch nicht hierbehalten brauchen, doch ich würde Ihnen raten, nehmen Sie sich frei und ruhen Sie sich ein paar Tage zu Hause aus. Es wird Ihnen gut tun. Einfach mal richtig entspannen, die Seele baumeln lassen." Es war ein netter Arzt, wirklich! Sicher hatte er Recht, doch ich konnte meinen Chef doch nicht alleine im Laden lassen! Wir waren doch nur ein zwei-Mann-Betrieb und mein Vorgesetzter hatte auch so schon genug zutun.
Als das Krankenhauspersonal gegangen war, half mir Kai hoch und nahm den Beutel meiner beschmutzten Kleidung in die Hand. Mehr hatte ich nicht bei mir, war ja auch nur eine Nacht hier gewesen. Ich stand langsam hoch und musste mich dabei an Kai festhalten, um nicht gleich wieder zurück auf Bett zu fallen, doch danach ging es.
Nebeneinander liefen wir den langen Flur entlang. Noch wirkte das Schmerzmittel nicht, weswegen ich ziemlich geräuschempfindlich war. Nur verständlich, dass mir die Lautstärke im Krankenhaus nicht gerade gut bekam. Langsam schritten wir die Treppe hinab und ich spürte die Erschöpfung noch immer in mir. Dazu kamen meine offenen Knie, die ein Glück nicht genährt werden mussten. Trotzdem war Treppensteigen nicht so angenehm. Mit einer Hand hielt ich mich am Geländer fest, die andere hing an der Seite herunter. „Ich komm mit zu dir, ja? Ich koch' dir was und lass dir ein Bad ein, damit du dich nicht überanstrengen musst.", schlug Kai vor, doch es klang gar nicht wie ein Vorschlag, viel mehr wie ein Beschluss. Ich hatte zwar keinen Hunger, doch was sollte ich tun? So einen Beschluss konnte ich ja unmöglich ablehnen. Und dennoch ließen seine Worte mich schmunzeln. „Kai die Krankenschwester, oder was?" Ich kicherte. „Sei bloß still, sonst komm ich mit der Spritze!"
Wir lachten und kamen schließlich auf dem Parkplatz an, dort stand nämlich sein Auto. Kai hielt mir die Tür seines Wagens auf und ich stieg lächelnd ein. Es ging mir schon viel besser, als vorhin, was vor allem an Kai lag. Als er nun neben mir saß, startete er den Motor.
„Hühnersuppe?", fragte er grinsend. „Ja, müsste ich noch alle Zutaten 'für Zuhause haben." „Na dann, auf geht's!"
Und so fuhren wir los, mit einem Lachen auf den Lippen und Freude im Herzen.
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Liebe?! Lieber nicht! ||Boyslove Yaoi~♡
RomanceIm Leben des jungen Isaac war nichts unvorhersehbar. Er war ein einfacher, doch glücklicher Mann, der seinen Traumberuf gefunden und gute Freunde an seiner Seite zu wissen, hatte. Eigentlich gab es nichts, was ihn in seiner Ruhe hätte stören können...