14. Kapitel- Auf offenere Straße

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Die heutige Mittagspause hatte ich mir nun wirklich mehr als verdient, denn viel zu viele Kunden waren gekommen. Eigentlich hätte es mich ja freuen müssen, doch für einen allein war die ganze Arbeit schon sehr anstrengend und schwer zu bewältigen, vor allem, wenn so eine Masse an Leuten im Laden unterwegs war. Ein Glück hatte ich es bisher geschafft alles unter Kontrolle zu halten und keine schlechten Vorkommnisse waren geschehen, das bedeutete nur gutes. Klar, es war gerade mal Mittag und das schlimmste stand mir noch bevor, doch ich hatte es bisher geschafft, da schaffte ich es auch weiterhin. Immer positiv bleiben!
Nun nahm ich mir also meine Jacke und meinen Schlüssel, machte das Geschäft dicht und trat meinen Weg zum Café, einige Straßen weiter, an. Dort war ich Stammkunde und das hatte auch seine Gründe. Mein bester Freund und ich waren in der Nähe zusammen zur Schule gegangen und hatten uns jeden Nachmittag hier Kuchen gekauft. Dabei mochte ich gar keinen Kuchen. Doch er liebte ihn und da er immer so froh aussah, wenn er das süße Gebäck zu sich nahm, beobachtete ich ihn gern dabei. Sein Lachen war wie ein Segen und auch wenn ich einmal traurig war, es munterte mich jedes Mal auf. Ich kannte meinen Freund schon das ganze Leben lang, eine Herz und eine Seele waren wir und nun? Nun ließ er mich einfach allein, wie unfair...
Heute war es sonnig und warm genug, um die Jacke offen zu tragen. So machte ich mir gar nicht erst die Mühe, den Reißverschluss zu schließen, sondern beließ es einfach dabei. Mein Blick war auf meine Schuhe gerichtet, die Schuhe, die ich schon seit Jahren trug. Es waren schwarze, alte Sneakers, die schon ganz zerzaust aussahen. Vielleicht sollte ich mir Mal neue kaufen, doch nein, ich konnte die alten nicht weg schmeißen. Wie oft hatte ich Rennen mit ihnen im Park gegen meinen Freund gewonnen? Wie oft waren sie durch den Regen nass geworden, den wir einfach angenommen und genossen hatten? Wie oft waren sie beim Picknick dabei gewesen und beim Fußball spielen, beim Albern und Lachen?
Ich biss mir fest auf meine Unterlippe, musste die Tränen wegdrücken. Er hatte mich einfach allein gelassen, ohne einen Grund zu nennen. Ich verstand es einfach nicht...
„Hey! Hey, Isaac!", hörte ich da plötzlich eine helle Stimme hinter mir. Ich blieb stehen, hob meinen Kopf und drehte mich zum Ursprung des Geräusches.
Mike stand lächelnd vor mir und strich sich sein blondes Haar aus dem Gesicht. „Hallo.", keuchte er nochmal, stützte seine Arme auf den Knien ab und atmete schwer. War er gerannt?
„Hi Mike, schön dich zu sehen.", nickte ich erst einmal nur trocken. Was machte der Junge um diese Uhrzeit hier? Hatte der denn nie Schule? „Ich hab dich gesehen, da musste ich doch hinterher!", grinste er mich mit seinen eisblauen Augen an und ich konnte nicht anders, als meine Mundwinkel in die Höhe zucken zu lassen. Das Lächeln des Jüngeren war so ehrlich, lebhaft und ansteckend. Er richtete sich auf und rückte sein Base-Cap zurecht, bevor er mich- aus heiterem Himmel- einfach umarmte. Ich lief rot an und schaute mich etwas ängstlich um. Männer umarmen sich nicht einfach auf offener Straße! Das sahen wohl einige Passanten genauso, denn ihre erschreckten Blicke lagen allesamt auf uns.
„Wollen wir 'was zusammen Essen gehen?!", fragte mich der Junge aufgeweckt und tat, als ob nichts geschehen wäre. Ich überlegte kurz, nickte schließlich zögerlich. Mike schien gar nicht zu wissen, was er falsch gemacht hatte. Allgemein wirkte er ziemlich naiv, wie er da stand und strahlte, als gäbe es kein Leid auf dieser Welt.
Zu meinem Erstaunen war diese Stimmung jedoch äußerst ansteckend, sodass ich in seiner Gegenwart gar nicht schlecht gelaunt oder gar wütend auf ihn, sein konnte. Er griff nach meiner Hand-einfach so, als wäre es das normalste der Welt- und zog mich hinter sich her. „Ich kenn' einen guten Schuppen! Ich nehm' dich mit! Komm!", freute er sich und achtete gar nicht auf die ganzen hasserfüllten und angewiderten Blicke um uns. Ob er sie überhaupt bemerkte? Ich jedenfalls nahm sie wahr und sie taten mir weh! Was die Leute wohl nun von uns dachten? Schnell schüttelte ich seine Hand ab und blieb stehen. „Lass so etwas, ja?!", sprach ich streng und betrachtete ihn ernst. Doch als ich sah, wie sein Blick an Freude abnahm und Trauer hinzukam und sein Lächeln sich verflüchtigte, da taten mir meine Worte augenblicklich leid. Mike sah aus, wie ein kleines Kind, dem Ältere gerade das geliebte Plüschtier geklaut hatten. Seine Augen wurden ganz glasig und wirkten noch viel heller, als ohnehin schon. „Ach komm schon, so hab ich das gar nicht gemeint.", versuchte ich ihn zu trösten und bewegte mich nicht vom Fleck. Dennoch schien es nichts zu helfen. Gut, dann blieb mir wohl nichts anderes übrig... Ich nahm ihn am Handgelenk, zog ihn an mich und schloss ihn einfach in meine Arme. Was hätte ich denn sonst tun sollen, ihn heulen lassen!? Nein! Ich tat das nur, weil ich keine andere Wahl hatte!
Sanft drückte er sich gegen mich und ich spürte, wie die Röte wieder in mir hoch stieg. Ich biss die Zähne zusammen. Mist! Hoffentlich würde mein Ruf jetzt nicht darunter leiden!
Nach einigen Momenten war die Qual vorbei- so schlimm war es ja gar nicht gewesen, nur die Reaktionen unserer Umwelt waren hart für mich- und er lächelte wieder so glücklich wie eh und je. Erleichtert atmete ich auf und ergriff nun das Wort: „Komm, wir gehen lieber in ein Café meiner Wahl." Ohne seine Antwort abzuwarten, drehte ich mich in die entgegengesetzte Richtung des Stroms und wollte gerade losgehen, da durchfuhr mich ein Schreck.
Mein bester Freund stand vor mir, starrte mich an und in seinen Augen lag ein Schmerz, den ich nicht verstand. „Isaac..", flüsterte er mit solch zitternder Stimme, wie damals. Damals, als er mich fragte, ob ich in jemanden verliebt sei.
„Kai..", erwiderte ich leise und zwang mich zum Lächeln, doch er verzog keine Miene, wirkte wie gelähmt. Was war nur mit ihm los? Hatte er das eben gesehen!? Hatte er gesehen, wie ich einen Mann umarmte und nun fand er mich eklig? Ja, sicher war es so. Er fand mich abnormal und das, obwohl ich es ja nicht einmal freiwillig getan hatte. Sicher wollte er nun erst recht nichts mehr mit ihm zu tun haben, dabei wollte ich ihm doch sagen, wie glücklich ich war, ihn endlich wieder zu sehen. Wollte ihm vorwerfen, mich allein gelassen zu haben und ihm dennoch alles verzeihen. Ich wollte mit ihm Lachen und zusammen den Rest meiner Mittagspause verbringen. Endlich hatte ich ihn wieder! Er war wieder da und würde mich sicher nicht noch einmal so im Stich lassen! Das zumindest hoffte ich, doch meine Hoffnungen wurden augenblicklich zerstört, als er sich einfach umdrehte und ging... Er ging und ich wollte ihm nach, ihn festhalten und mit ihm reden. Ich wollte den Grund für sein Verhalten wissen, wollte erfahren, wieso er mich so hasste! Etwa wirklich, weil ich Mike umarmt hatte? Doch wie entschuldigt er sein vorheriges Verhalten? Er hatte sich wochenlang schon nicht bei mir gemeldet! War ich denn so schlimm? Ich wollte es wissen, ich brauchte Antworten! Doch ich war nicht in der Lage dazu.
Ich fühlte mich in diesem Moment so leer, so allein. Als hätte ich alles verloren, als nähme Kai alles mit... die Farben, die Wärme, die Freude. Er ließ mich hier stehen, drehte sich nicht noch Mal um und ich konnte ihm nicht einmal hinterher rufen. Meine Kehle war so trocken, doch er sollte nicht gehen! Er sollte bleiben! Er sollte bei mir sein, denn er war mein bester Freund, der wichtigste Mensch auf Erden für mich und ich brauchte ihn mehr als jeden anderen...
Alles verschwamm vor meinen Augen und dieser Schmerz, er machte sich in mir breit, verschlang alles wie ein loderndes Feuer. Und plötzlich war ich so traurig, dass ich nicht mehr damit umgehen konnte. Ich ging in die Hocke- auf offener Straße-, nahm die zitternden Hände vor mein Gesicht und hörte nichts mehr, außer das Tropfen meiner Tränen auf den harten Asphalt. Und die Sonne schien über uns, doch mir war es so kalt, so kalt, dass ich beinah erfror.

Liebe?! Lieber nicht! ||Boyslove Yaoi~♡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt