16. Kapitel- Eiskalt

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Diese eisblauen Augen, die so voller Angst zu mir schauten, nahmen mich gefangen. Es tat weh ihn so zu sehen, so hilflos und traurig. Ich musste ihm helfen, selbst wenn es nur für ein Wochenende war! Nun ging ich also einen Schritt auf ihn zu, streckte meine Hand aus und strich ihm sanft durch sein hellblondes Haar. Oh Gott, er zitterte! Vorsichtig befreite ich mich von seinem kräftigen Griff, der sich um mein Handgelenk verengt hatte, nur um ihn dann fest in meine Arme zu schließen. Zwei Männer umarmen sich? Ja, das war schon wirklich skurril, doch hier sah uns ja niemand und ich glaubte, Mike brauchte das jetzt einfach. Ich glaubte, er brauchte jetzt diese Wärme, um die Kälte in ihm zu füllen, die seine Vergangenheit mit Sicherheit in ihm hinterlassen hatte. Er erwiderte die Umarmung, drückte mich behutsam gegen sich. Ich konnte gar nicht anders, als ihm liebevoll über den Rücken zu streicheln. Mike war doch so ein guter Mensch, so ein freudiger Junge, er hatte das hier nicht verdient. Was war bloß innerhalb seiner Familie geschehen, dass es so weit hatte kommen müssen?
„Ich hol nur kurz meine Jacke.", flüsterte ich schließlich, nachdem sich der Jüngere etwas beruhigt hatte. Er nickte schwach und ich setzte meinen Plan sofort in die Tat um. Rasch zog ich mich warm an, band mir den grauen Schal um und beeilte mich wieder zu Mike zu kommen. Kaum war ich bei ihm, warteten wir auch nicht mehr besonders lang, bis wir uns auf den Heimweg machten.
Von außen schob ich den alten Schlüssel in das Schloss und drehte ihn nach links. Die Tür verriegelte sich klackend und ich wandte mich wieder meinem Schützling zu. Wie es ihm wohl gerade ging? Unter Garantie alles andere als gut, auch wenn er es zu Verstecken versuchte. Ich kannte ihn, sah es ihm doch an, wenn er traurig war.
Schweigend gingen wir nebeneinander die menschenleeren Straßen entlang. Es war zwar Freitagabend und in vielen Vierteln der Stadt begann jetzt die Party-Zeit, doch dieses Eckchen der Stadt war sehr ruhig. Hier gab es weder Bars, noch Diskotheken. Dies hier war eines der ältesten Viertel und viele hoch angesehene Leute wohnten an diesem Ort.
Es war kalt geworden, doch mir fröstelte es nicht, war ja dick angezogen- ganz im Gegensatz zu Mike. Und dämmerig war es geworden.
Ich beobachtete den Jungen aus dem Augenwinkel, jedoch schien er es nicht zu merken, zum Glück, denn das wäre mir sicher peinlich gewesen. Wieso? Nun ja, ein Mann starrt einen anderen nicht an. Aber er trug nur so dünne Kleidung! Sicher, dass er nicht fror? „Ist dir kalt? Magst du meine Jacke haben?", fragte ich also nun doch und betrachtete ihn etwas unsicher. Er schüttelte nur den Kopf und zwang sich zum Lächeln. Verdammt, es ging ihm schlecht, und wie!
Sofort wandte ich den Blick von ihm ab, starrte auf meine Schuhe und es wurde wieder still. Was sollte ich nur tun, um ihn zu trösten!? Sollte ich einfach mit ihm reden, ihn noch einmal umarmen, ihm bei mir Daheim das Badewasser einlassen- vielleicht würde ihm ein Bad ja gut tun!- oder ihm vielleicht Eis kaufen? Fieberhaft dachte ich nach und bemerkte somit gar nicht mehr, was um mich herum geschah. Erst als etwas Weiches meine Haut berührte, holte mich das augenblicklich zurück ins hier und jetzt. Erschreckt zuckte ich ein wenig zusammen und sah an meiner Seite hinab. Mikes Handrücken strich während des Laufens über den Meinen. Achso! Dass so etwas Harmloses mich so erschrecken konnte, war ja schon fast beschämend! Wie lachhaft ich doch war! Ich entspannte mich wieder, da streifte seine Haut die Meine erneut und erst jetzt bemerkte ich, wie eiskalt sie war. Besorgt biss ich mir leicht auf die Unterlippe. Was sollte ich nur tun?! Meine Jacke wollte er ja nicht, doch bis zu mir nach Hause war es noch ein ganzes Stück.
Ich spürte wie mich Frost durchzog, als er mit seinen kühlen Fingern behutsam über meine Knöchel strich. Ich lief rot an. Was... was sollte das!? Ohne es zu wagen, ihn auch nur ein einziges Mal anzuschauen, ließ ich es einfach zu. Er fühlte sich sicher einsam und brauchte einfach etwas Nähe, sowie auch Halt. Seine Hand umgriff meine sanft und allmählich verschränkte er unsere Finger miteinander. Oh Gott, wenn das jemand gesehen hätte! Doch... hier war ja niemand und solang wir allein waren, ja, solang war es dann wohl in Ordnung. Ohne mir dabei wehzutun, drückte er meine Hand und nahm meine Wärme in sich auf. Vielleicht wollte er sich ja wirklich nur wärmen! Egal was es war, mir war es jedenfalls nicht unangenehm, daher ließ ich es zu. „Da vorn müssen wir nach rechts.", gab ich leise von mir und als ich keine Antwort bekam, riskierte ich es nun doch... ich hob den Blick und schaute zu ihm herüber, doch ich fand ihn nicht. Seine Augen sahen zum Himmel empor und ein Lächeln lag auf seinen Lippen, ein Lächeln wie ich es noch nie gesehen hatte. Ein Lächeln, dass Traurigkeit und Freude gleichermaßen ausdrückte und doch so beruhigend wirkte, dass ich es einfach teilen musste. So gingen mir nebeneinander her und die Stille zwischen uns war keinesfalls unangenehm, nein, es war Frieden. Wir hatten gerade in diesem Moment die Ruhe gefunden. Doch hielt sie nicht allzu lang an, kurz darauf waren wir nämlich bei mir Zuhause angelangt. Schade eigentlich, denn wie gern hätte ich seine Hand weiter gehalten, hätte ihn durch die Nacht geführt und ihm die geheimsten Dinge verraten, ohne auch nur ein Wort von mir zu geben.
Leise schloss ich die Wohnungstür auf und gewährte meinem Gast Einlass in mein kleines Reich. Zum Glück war ich kein unordentlicher Mensch, sodass keine Wäsche oder schmutziges Geschirr herum stand. Nur zum Saugen war ich diese Wochen noch nicht gekommen, doch das war zu verkraften. „Setz dich. Magst du etwas trinken?", fragte ich höflich und bot ihm mein Sofa an. Er verneinte dankend und ließ sich auf das dunkelgrüne Leder der Couch fallen. Ich nahm neben ihm Platz und ein leises Seufzen entglitt mir.
Der Tag war anstrengend gewesen. Doch wie musste sich dann Mike erst fühlen? Ich setzte mich in den Schneidersitz, zu ihm gedreht, und überlegte. Sollte ich ihn fragen, was los war? Nein, lieber nicht. Wenn er es erzählen wollen würde, hätte er es doch von sich aus getan. Vielleicht wollte er jetzt einfach seine Ruhe und nicht mehr daran denken. Ich wusste ja wie es war, etwas nicht aus dem Kopf zu bekommen. „Lass uns einen Film gucken.", schlug ich vor und meine Stimme klang dabei überraschend warm, doch das war schon gut so. Ich wollte jetzt möglich behutsam mit ihm umgehen. „Ja klar.", entgegnete er und in dem Blick, den er mir schenkte, lag Dankbarkeit. Vermutlich wollte er jetzt wirklich lieber abgelenkt werden, als darüber zu reden. Ein Glück hatte ich den alten Fernseher, den der Chef mir geschenkt hatte, nicht bereits entsorgt! Eigentlich hatte ich es zwar vorgehabt, doch nun war ich wirklich froh, es nicht getan zu haben.
Rasch schaltete ich das Gerät ein und schob die Fernbedienung zu Mike hinüber. „Such du aus.", sprach er nur und wirkte dabei schon etwas entspannter, was mich freute. Ich nickte also und zippte durch die Kanäle. Natürlich kannte ich nicht eine Serie von den unzähligen, die gerade ausgestrahlt wurden. Kein Wunder, das letzte Mal fern gesehen hatte ich vor knapp fünf Jahren, in etwa. Damals liefen andere Shows. Also hielt ich irgendwo an und hoffte einfach, das war jetzt etwas Cooles. Die Serie kannte ich jedenfalls nicht, ich kannte ja nicht einmal den Sender! Dennoch, es schien lustig zu sein! Da war so ein gelber, sprechender Schwamm, ein Seestern mit Hose und eine miauende Schnecke!? Belustigt schmunzelte ich Mike zu und er zog die Augenbrauen hoch, als ich die Fernbedienung zurück auf den Tisch schob. „Das gefällt dir?", fragte er stirnrunzelnd und betonte das erste Wort seiner Aussage besonders abwertend. „Ja!", lächelte ich, da begann er mit Lachen und sein Lachen war so herzerwärmend und ansteckend, dass ich einfach mit einstieg.
Nun saßen wir dort also nebeneinander auf dem Sofa und nach einer Weile wurde mein Kopf so schwer, dass ich ihn an Mikes Schulter lehnen musste. Ich merkte wie er nach meiner Hand griff und unsere Finger verschränkte. Mit dem Daumen strich ich ihm sanft über den Handrücken und konnte die Augen mittlerweile kaum noch offen halten. Alle paar Sekunden fielen sie mir einfach zu! „Schlaf gut, Isaac. Ich..." Mehr verstand ich schon nicht mehr, denn die Müdigkeit überrollte mich und das letzte, was ich noch wahrnahm, bevor ich völlig eingeschlafen war, war, etwas Weiches, warmes, was sich einen Moment an meine Schläfe drückte und dann verschwand...

Liebe?! Lieber nicht! ||Boyslove Yaoi~♡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt