52. Kapitel- Freud und Leid

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Das Krankenhaus, an keinem anderen Ort liegen Leid und Freude so eng beieinander. In einem Zimmer feiern sie die Genesung einer Freundes, im nächsten betrauert man den Verlust einer geliebten Person. Beängstigend, wenn man so darüber nachdachte. Umso glücklicher konnten wir uns also schätzen, dass der Grund unseres Besuches ein wirklich erfreulicher war. So standen wir also hier, in dem sonst so Kälte ausstrahlenden Raum, der an diesem Tag warm vor Liebe war und ich konnte es spüren, das pure Gefühl der Geborgenheit. Die beiden hatten es gefunden, Alex und Mike. Wie der Kleine dort stand, noch immer die Hand seines Bruders, seines Freundes, haltend. Noch immer konnte er sein Glück kaum fassen, was nachvollziehbar war. Wie lang sie sich wohl nicht gesehen hatten? Und dann war Alex dem Tod auch noch nur knapp von der Schippe gesprungen. Das konnte einen Menschen aufwühlen, ich wusste das. Alex strich dem Schüler eine blonde Strähne aus dem Gesicht und wirkte dabei ungewöhnlich sanft, doch so ging man wohl mit einem Menschen um, den man über alles liebte. Bei dem Gedanken huschte mir ein Lächeln über die Lippen. Diese Beiden passten unerwartet gut zusammen, da tat es einem glatt noch ein wenig mehr Leid, dass sie so viel Schmerz über sich ergehen lassen mussten. Da wandte sich Alex Blick mir zu und ich schluckte schwer. Ob er wütend war? Immerhin war es meine Schuld, dass er nun hier lag. Doch was dann geschah, war, zugegeben, überraschend. „Danke.“ Was? Ich zog die Augenbrauchen hoch. Was hatte er da gerade gesagt? „Ohne dich hätte ich ihn wohl nie wieder gesehen.“, fügte er leise hinzu, da verstand ich. Das erste Mal schien ich tatsächlich zu verstehen, dass es nicht Hass oder Verachtung waren, die Alex davon abgehalten hatten, sich an seinem Bruder zu vergehen, nein, es war pure Liebe. Er liebte seine Familie, seine Eltern, stellte ihre Bedürfnisse, Gefühle und Wünsche vor die eigenen. Er wollte nur das Beste für sie, so auch für Mike. „Woher kennt ihr euch eigentlich?“, fragte dieser meinen Kollegen dann plötzlich und ich musste schmunzeln. Wie süß, war er etwa eifersüchtig? „Nach Abbruch meines Studiums, habe ich im Buchladen von Isaac zu Arbeiten begonnen um Geld für die Miete meiner ersten eigenen Wohnung zu verdienen. Ich wollte nicht länger der Grund dafür sein, dass du kein Zuhause mehr hast. Du solltest nicht länger Angst haben, Heim zu kommen. Du gehörst doch zu deiner Mutter und sie ist fast vor Sorge umgekommen. Du solltest nicht noch mehr meinetwegen leiden müssen.“ Mike erstarrte und seine Wangen färbten sich in wenigen Sekunden blutrot. Mir jedoch war ab diesen Moment vollkommen klar, dass nicht nur der Blonde meinen Retter vom ganzen Herzen liebte, sondern es auch anders herum der Fall war. Liebe konnte manchmal echt kompliziert und umständlich sein, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, diese beiden konnten alles überstehen, wenn sie nur zusammen waren. Nun beschloss ich allerdings erst einmal, die Jungs allein zu lassen. Sicher hatten sie noch viel zu bereden, zu klären und dabei wollte ich nicht im Weg stehen. „Ich melde mich bei dir.“, meinte Mike und umarmte mich fest, bevor ich nickend den Weg zur Zimmertür antrat. „Oh und Isaac?“, hörte ich die zarte Stimme des Jüngeren und drehte mich noch ein letztes Mal zu ihm. „Wirklich, Danke. Für alles.“ Erneut begann ich zu lächeln, bevor ich mit gutem Gewissen aus dem Krankenhaus verschwand.
Der Wind hatte sich gelegt, nur noch vereinzelt fegte eine schwache Böe die leeren Blechdosen und alten Zigarettenstummel über den Asphalt. Scheu versteckte ich mein Gesicht hinter meiner Jacke, in der Hoffnung die Kälte von mir fern zu halten. Mike und Alex. Das diese Beiden so zueinander standen hatte mich wirklich überrascht. Nie hätte ich so etwas vermutet, doch nun war es so. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis ich diesen Umstand vollkommen verdaut hatte, doch tat es nichts zur Sache, denn solang die beiden glücklich waren, sollte es mir recht sein. Hoffentlich würden sie alles geregelt bekommen, sodass Mike bald wieder nach Hause gehen konnte. So würde Ruhe und Frieden in sein Leben treten. Verdient hätte er es, nach all dem Ärger in letzter Zeit. Ich sah auf den Steinweg vor mir, betrachtete das schlichte grau und fragte mich, wie man für einen anderen Menschen so weit gehen konnte, sogar sein Heim zu verlassen. Alles hinter sich zu lassen, einfach sein gesamtes bisheriges Leben aufzugeben. Und das nur uns einzig allein für den anderen. Ich bewunderte das, doch war es für mich dennoch nicht einleuchtend. Mike und Alex. Ich seufzte leise. Ein Drama wie es im Buche steht. Sie müssen sich wohl sehr lieben, wenn sie solche Qualen über sich ergehen lassen. Ob mich auch einmal jemand so lieben wird? Ich stockte, blieb stehen. 'Nun tu nicht so! Sein Liebesgeständnis war sicher total niedlich! Kein Wunder, so oft wie er es schon geübt hat!', hallten Emis Worte in meinem Kopf. Kai... Tränen stiegen mir in die Augen. „Wieso sagst du mir denn nichts? Wieso lässt du dich so verletzten? Warum vertraust du mir nicht? Denkst du, ich würde dich dafür hassen?! Ach verdammt, wenn ich das doch nur könnte, wäre es sicher einfacher!“ Ich schluchzte leise, hielt die Hände vors Gesicht. Weshalb konnte es nicht einfacher sein? Ich wusste nicht, wie ich nun reagieren sollte, fühlte mich furchtbar allein und am liebsten wäre ich sofort ins Krankenhaus zurück gerannt, denn dort war wenigstens für Ablenkung gesorgt, auch wenn das nicht die ethisch korrekte Denkweise war. Ich konnte gar nicht mehr denken! Alles nur seinetwegen! Ich hörte seine warme Stimme, wer auch mit mir sprach, fühlte seine sanften Hände, völlig egal wer mich berührte und spürte seine Liebe, wo auch immer ich gerade war. Das war doch krank! Es war fast so, als wäre er da, was ich auch tat. Er war immer bei mir. Wie sollte das nur weitergehen? Was für eine Zukunft hatte so eine, auf Lügen und Misstrauen bestehende Freundschaft überhaupt?

Liebe?! Lieber nicht! ||Boyslove Yaoi~♡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt