51. Kapitel- Brüder?!

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Kurzes, blondes Haar, zerzaust, glanzlos, versteckt unter einem ebenso alt wirkenden Basecap. Die Kleidung von Löchern und Schmutz geprägt, hing kraftlos an seinem abgemagerten Körper hinab und sein bleiches Gesicht zierten nicht nur wie gewohnt zwei, sondern drei blaue Augen, wovon eines allerdings durch einen kräftigen Schlag entstanden sein musste. Weitere dunkle Flecken und kleinere Verletzungen zierten seine dünnen Arme und die Hand, die er mir zur Hilfe entgegen streckte, war von der Kälte zerfressen. Einzelne Stellen waren bereits aufgerissen, die Haut war brüchig. Weitere aufgeplatzte Stellen befanden sich auf seinen, bereits blau gefärbten, Lippen. Konnte das wirklich jener Junge sein, den ich kannte? Und wenn, wodurch hatte er sich so zum negativen verändert? „Mike?", traute ich mich kaum zu fragen, denn nur noch ansatzweise erkannte man den einst so schönen, fitten, jungen Mann. Dieser vor mir wirkte ganz anders: krank, ausgehungert, fast schon wie ein Toter. „Isaac." Seine Stimme war ganz kratzig und schien etwas gefroren. Ob er nun wohl tatsächlich auf der Straße lebte? Half ihm denn mittlerweile gar niemand mehr? Anfangs war er immer noch bei Klassenkameraden oder Freunden untergekommen, aber inzwischen wirkte das nicht mehr so. „Du hast's wohl eilig?", fragte der Jüngere und ich blinzelte ihn perplex an. Stimmt ja! Ich hatte es sogar verdammt eilig! „Ich muss zum Krankenhaus!", verriet ich also hastig und wollte dann auch schon weiter, doch hielt mich Mike am Arm fest. „Wieso das denn? Ist was mit deinem Hündchen nicht in Ordnung, Kai oder wie er hieß?" Ich stockte. Hündchen?! „Es ist wegen eines Arbeitskollegen, Alex. Wir wurden überfallen und er liegt im Koma.", erwiderte ich etwas gestresst. Ich musste los, hatte keine Zeit zum Plaudern, auch wenn mir Mike Leid tat! Er sah wirklich richtig schlecht aus und brauchte sicherlich Hilfe. Diese wollte ich ihm auch geben, denn das hier hatte er nicht verdient. „Komm die Tage einfach bei mir vorbei. Du kannst bei mir schlafen, aber jetzt kann ich echt nicht!", meinte ich also und wollte mich gerade losreißen, da verstärkte der Blonde seinen Griff. „Was für ein Alex denn bitte?!" Ich runzelte die Stirn. Was?! Wieso wollte Mike denn sowas wissen? Irritiert trat ich einen Schritt zurück. Also für solche Spielchen hatte ich gerade wirklich gar keinen Nerv! Ich konnte hier nicht ewig herum trödeln! „Groß, schwarze Haare, wirkt irgendwie schon etwas zu ernst. Seine Eltern sagten, er hätte eine Art angeheirateten Bruder. Keine Ahnung. Und jetzt lass mich bitte los!", schnauzte ich Mike genervt an. Dieser Tonfall gefiel mir ja selbst nicht, doch ich hatte wirklich die Nase voll davon, aufgehalten zu werden. Das Krankenhaus war nicht mehr weit entfernt und ich musste da hin, jetzt!
„Groß, schwarzhaarig, kleiner Bruder.", murmelte mein Gegenüber und ich sah auf. Was war denn nun noch?! Doch bevor ich mich weiter aufregen konnte, hatte sich Mike bereits von mir abgewandt und rannte davon. Verduzt sah ich ihm nach und zog die Augenbrauen hoch. Dieser Junge war manchmal echt seltsam, aber immerhin konnte ich nun weiter! Und so machte ich mich schleunigst auf den Wege zu Alex, ohne auch nur ansatzweise zu ahnen, was mich dort für eine erschreckende Erkenntnis erwarten würde.
Als ich die Klinik nun endlich, völlig außer Atem- was erwartete man bei meiner nicht enden wollenden Ausdauer auch- erreicht hatte, sah ich Mike nur noch von der Rezeption aus, die mächtigen, blitzblank geputzten Treppen hoch stürmen. Er hatte sich doch nicht ernsthaft nach Alex' Zimmernummer erkundigt, oder?! Was, verdammt, wollte er von meinem Kollegen?! Seufzend verdrehte ich die Augen und sprintete dem Blonden, keuchend, hinterher. Also eins war klar, so viel Sport wie an diesem Tag, hatte ich in meiner gesamten Schulzeit nicht gemacht! Im Oberen Geschoss angekommen fühlte ich mich beinah, als würden meine Lungen platzen! Oh Gott! Was sollte das?! Nach Luft ringend stützte ich die Hände auf meine Knie. Waren wir hier bei einem Marathon oder wieso musste Mike so rennen?!
„Alex! Was ist nur geschehen?! Ist das meine Schuld?!" Ich sah auf. Was war das denn? Fragend und getrieben von Neugier folgte ich dem leisen Wimmern und blieb schließlich im Türrahmen zu Alex' Zimmer stehen. Ungläubig sah ich in den Raum, zum Bett des im Koma Liegenden. Mike stand dort, weinend und hielt die Hand des schwarzhaarigen Verletzten. „Es tut mir so Leid!", schluchzte er und ich hielt Inne. Wow, das ich Mike einmal so sehen würde, hätte ich nun wirklich nicht gedacht. Irgendwie erschreckte es mich ziemlich, doch was ich mir nun immer sehnlicher wünschte, war zu erfahren, woher sich diese zwei, völlig gegensätzlichen Personen überhaupt kannten. Was hatten Alex und Mike miteinander zu tun?!
Zögerlich setzte ich einen Fuß ins Zimmer und wurde sofort von den aufmerksamen Ohren des Schülers bemerkt. Scheu wich er zurück, ließ jedoch nicht von der Hand des Schlafenden ab. Fragend betrachtete ich meinen jüngeren Freund. Was sollte das alles? Dieser schien meinen Blick zu verstehen, denn nachdem er zitternd Luft geholt hatte, begann er zu erzählen: „Wir sind Stiefbrüder. Noch nicht lange, erst ein halbes Jahr oder so. An meinem Geburtstag hab ich Alex betrunken gemacht. Ich mag ihn doch so." Ein Schluchzen unterbrach ihn, doch er riss sich zusammen und fuhr fort: „Alex meinte, wir dürften so was nicht tun. Es würde unsere Familie kaputt machen, aber, aber ich mochte ihn doch so! Und als er betrunken war, hab ich...Ich wollte das nicht! Ich hab mit ihm..." Er stockte, die Tränen überraschten ihn erneut und ich? Ich war geschockt. Alex und Mike waren Brüder? Und noch schlimmer, sie hatten tatsächlich etwas miteinander?! Nein, das konnte doch nicht sein! Dennoch, meine Vermutung wurde bestätigt, leider. „Wir haben miteinander geschlafen. Es war mein erstes Mal! Ich hatte ihn betrunken gemacht und es ausgenutzt! Ich wollte ihn und bin dafür viel zu weit gegangen! Ich hab es einfach nicht ertragen, ihm danach weiter in die Augen zu sehen! Es ging einfach nicht! Ich musste weg, weg von zu Hause! Wie hätte ich unseren Eltern noch gegenüber treten sollen?! Was, wenn Alex es ihnen erzählt hätte?! Ich hatte solche Angst, doch ich hab ihn so gern! Ich mag ihn so sehr und wusste mir einfach nicht anders zu helfen!" Ich erstarrte. Oh verdammt. Das war wirklich heftig! „Wieso muss gerade er mein Bruder sein?! Das ist so unfair! Ich weiß doch, dass er auch was für mich empfindet! Unsere Eltern sind an allem Schuld! Aber nein, ich bin es! Meinetwegen liegt er hier! Ich bin so ein schrecklicher Mensch und noch ein viel beschissenerer Bruder! Wie konnte ich ihn nur abfüllen und mir so gefügig machen?! Bin ich blöd oder was?!" „Hey, Hey. Nein, das bist du nicht! Jetzt beruhigt dich erstmal!", mit diesen Worten griff ich nach seiner Schulter und zog den Jungen sanft an mich. Oh Mann. Nun verstand ich. Ich konnte es zwar kaum fassen, denn sowas hätte ich im Leben nicht erwartet und es traf mich, um ehrlich zu sein, auch wie der Schlag, doch ich verstand es. Mike liebte Alex. Und Alex? „Denkst du, er hasst mich jetzt?!", schluchzte der Kleine und ich schluckte schwer, da geschah ein Wunder, ein wahres Wunder! „Hassen?", sprach eine schwache, leise Stimme und sowohl Mike, als auch ich zuckten schlagartig zusammen. Alex blinzelte uns kraftlos an und drückte Mikes Hand, die seine noch immer hielt, sanft. „Wie soll man dich denn hassen?", mit diesen Worten lächelte er den Blonden zart an und ich war erleichtert, so unfassbar erleichtert! Endlich war er wach! Alex war aufgewacht!

Liebe?! Lieber nicht! ||Boyslove Yaoi~♡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt