Stumm tat sich die alte Tür, mit der gesprungenen Scheibe in der Mitte, auf und gewähre mir Einlass in das mit Graffiti überzogene Treppenhaus. Ich tastete nicht nach dem Lichtschalter, auch wenn es in diesem Gang nicht gerade hell war, denn ich wollte mir den Griff in die ausgespuckten, rosa Kaugummis ersparen. Ich redete nicht gern über das Haus in dem ich lebte, denn es war nichts, worauf man hätte stolz sein können, jedoch war es wohl das beste Heim was ich mir in dieser Gegend für mein Gehalt leisten konnte und die Nachbarn waren nicht ansatzweise so schlimm, wie immer behauptet wurde. Zwar traf man an manchen Tagen auf die ein oder andere seltsam wirkende Person, doch in welchem Haus geschah so etwas nicht ab und zu? „Oh Hi, Isaac.", grüßte mich das Mädchen aus der Erdgeschosswohnung, wobei ihr blondgefärbtes Haar schlaff auf ihren Schultern lag und sie genüsslich einen Zug von ihrer Zigarette nahm. Ich derweil, nickte ihr so freundlich, wie ich es in diesem Moment zu tun vermochte, zu und begab mich in mein Stockwerk. Der Gestank ihres Lungentöters nahm mir die Luft zum Atmen und noch immer kreisten meine Kopfschmerzen verursachenden Gedanken um niemand geringeren als meinen Sogenannten besten Freund, Kai. Um wen auch sonst, nachdem was ich heute von Emi erfahren hatte? Seufzend kramte ich abermals meinen Schlüssel aus der Jackentasche und lehnte mich gegen meine Wohnungstür. Hoffentlich würde hinter dieser etwas Entspannung auf mich warten. Vielleicht sogar ein gutes Buch. Ich schmunzelte. Die wenigen, die ich besaß, hatte ich zwar geschenkt bekommen und schon hunderte Male gelesen, doch wirkliche Meisterwerke waren sie alle, ohne Frage. Vielleicht würde ich mich für den lieben Tolkien entscheiden, oder doch lieber für einen Funke-Roman? In Vorfreude darauf, Kai vielleicht endlich für einige Zeit aus dem Kopf zu bekommen, drehte ich also den Schlüssel im Schloss und ließ das Tor, zu meinem kleinen Reich, aufspringen. Rasch trat ich über die Türschwelle, wollte gar nicht länger warten und entledigte mich meiner Jacke, sowie meiner Schuhe. Ersteres hing ich ohne weiteres zögern an die Garderobe, doch dann griff ich nach der, aus Stoff bestehenden Schlange, die um meinen Hals hing und schluckte schwer. Der graue Schal meines Freundes schütze meinen Hals vor Unterkühlung, was mir gerade in diesem Moment natürlich überhaupt nicht passte. Mein Ziel war es doch, Kai für die nächsten Stunden zu vergessen und nicht noch extra an ihn erinnert zu werden! Schnell warf ich das graue Andenken an den Hacken neben meiner Jacke und wandte mich ab. 'Alles gut, Isaac. Das war nur ein dummer Zufall! Lass dich dadurch bloß nicht aus der Ruhe bringen!', sprach ich gedanklich zu mir selbst und atmete einmal tief durch. Danach fühlte ich mich tatsächlich schon etwas besser und beschloss mir zunächst erstmal ein Glas klares Wasser zu gönnen. So machte ich mich also auf zur Küche und suchte mit den Augen nach einem sauberen Gefäß, da gab es nur ein winziges Problem. So gut wie sechzig Prozent meines gesamten Hausstandes hatte ich von meinem besten Freund, so auch den Pullover, der schön dekorativ, fast etwas provokant, über einem der Esstischstühle hing. Ich stockte und biss die Zähne aufeinander, als ich das Kleidungsstück entdeckte. Das konnte doch nicht wahr sein! Verfolgte mich Kai nun schon bis hierher, in meine eigenen Küche?! Seufzend drehte ich wieder ab- Trinken wird eh überschätzt- und kam auf die Idee, dass die Welt nach einem entspannenden Bad doch gleich ganz anders aussah! Von wem ich dieses Erkenntnis hatte? Na drei Mal dürft ihr raten. Doch genug davon! Ich wollte mich ablenken und genau diesen Plan hatte ich nun vor durchzusetzten, komme was wolle!
So beachtete ich also weder die Filme meines Freundes, die sich in meinen Regalen reihten, noch die kleinen, eingerahmten Bilder, die mal hier, mal dort an unsere gemeinsame Kindheit erinnerten. Gerade suchte ich an meinem Wäscheständer nach einem, zumindest nicht ganz durchnässten Handtuch, um schließlich Richtung Badezimmer aufzubrechen. Diese Suche gestaltete sich allerdings schwerer als erwartet, da ich dank des Fehlens eines Trockners auf den langen Prozess des Lufttrocknens meiner Wäsche angewiesen war. Nach einigem hin und her war jedoch ein flauschiges, dunkelblaues Tuch gefunden. Dieses war sogar nicht besonders feucht, Jackpot! Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf über mich selbst. „Kai hätte es sicher geföhnt.", lachte ich da auf und sah ihn gedanklich bereits mit einem Föhn bewaffnet vor dem nassen Wäscheständer stehen. Da hielt ich plötzlich Inne. 'Sein Liebesgeständnis war sicher total niedlich!' Schwer schluckte ich und zog die Badtür hinter mir ins Schloss. Ich musste es einfach vergessen. Ich durfte nicht mehr an dieses Gespräch denken! Mit diesem Vorsatz ließ ich mir nun ein schön heißes Schaumbad ein, während ich mich bereits meiner Kleidung entledigte.
Kurz darauf war die Wanne auch schon zum Einsteigen bereit und ich versuchte es mir in der weißen Schale bequem zu machen. Das wollig warme Wasser schloss meinen Körper in sich ein, der bereits vor Erschöpfung und Stress in sich zusammen sackte. Schnaufend legte ich meinen Kopf in den Nacken und stützte ihn auf dem kalten Rand der Wanne ab. Wie lange ich mich wohl vor Kai verstecken konnte? Er hatte es immerhin auch eine ganze Weile geschafft, vor mir wegzulaufen, wenn ich da bloß an die letzten Monate dachte. Ein genervtes Stöhnen verließ meine Lippen und ich stellte mir vor, wie es wohl gewesen wäre, hätte mein Freund mir von Anfang an die Wahrheit gesagt. Ob ich ihn dennoch so nah an mich heran gelassen hätte? Ob ich ihn trotzdem so gern bei ihm gewesen wäre? Ein Lächeln schlich sich in mein Gesicht. Natürlich hätte ich das. Selbstverständlich wäre ich das, allein schon aus Selbstsucht. Allein, weil er es war. Kai war alles für mich, das wusste wohl jeder der uns sah und genau das war es ja, was mich so schockiert hatte! Wie konnte man sich so wichtig sein und dennoch diese Heimlichtuerei und Lügerei zulassen? Als ob ich ihm für ein Geständnis den Kopf abgerissen hätte. Ja, ganz sicher doch! Ich stieß ein wütendes Knurren aus. Vielleicht sollte ich ihn doch darauf ansprechen, aber wozu? Eine Antwort auf seine Gefühle kannte ich nicht, wusste nicht einmal wie ich darauf reagieren sollte! Geschafft schloss ich die Augen und versuchte, wenigstens für ein paar Sekunden an ein anderes Thema zu denken, vergebens. „Bin ich in Kai verliebt?" Ich schluckte schwer, denn diese Frage war ausgesprochen noch ehe ich überhaupt darüber nachgedacht hatte und sie traf mich wie der Schlag. Nicht, dass ich diese Worte eindeutig mit 'Ja' beantworten konnte, doch -und das war das Schlimmste daran- ein definitives 'Nein' brachte ich auch nicht heraus. Fakt war, ich wusste gar nicht genau, ob ich ihn nun wahrhaft liebte oder sonst was und um ehrlich zu sein wollte ich das auch gar nicht wissen, doch nun? Nun war ich wohl oder übel dazu gezwungen, darüber nachzudenken. Aber sollte man für ein 'Ich weiß nicht genau' tatsächlich eine lebenslang bestehende Freundschaft aufs Spiel setzten? „Argh, so ein verdammter Mist!", fluchte ich und schlug mit der Faust auf die Wasseroberfläche. Wieso musste gerade ich mir den Kopf darüber zerbrechen?! Konnte das nicht jemand anderem passieren und bei Kai und mir blieb alles so, wie es bisher war?! Nun, das wäre anscheinend zu schön um wahr zu sein. Doch weiter machen wie zuvor, als wäre nichts, als wüsste ich von nichts, konnte ich das wirklich einfach so?
Da ertönte auf einmal das Schellen der Klingel und ich zuckte schlagartig zusammen. Ach Man! Da saß ich schonmal in der Wanne und dann störte noch jemand?! Genervt stand ich auf und schnappte mir mein Handtuch. Der Störenfried konnte eigentlich nur Mike sein, der im Krankenhaus gemeint hatte, er würde sich melden. Nach einem Blick auf die Uhr erschrak ich jedoch. Es war bereits später als vermutet, viel später! Wie langen hatte ich denn bitte in dieser Wanne gelegen?! Noch immer überrascht über die viel zu schnell vergangene Zeit, band ich mir mein dunkelblaues Tuch nur um die Hüfte, bevor ich die Tür öffnete. „Hey, was gibt's?", meinte ich seufzend und erwartete bereits die klare, helle Stimme des blonden Engels, doch dann kam eine Antwort, die mich zutiefst schockierte: „Wie meinst du das?" Ich riss die Augen auf und blickte meinem Gast fassungslos ins Gesicht. „Wir waren doch zum Abendessen verabredet.", lächelte Kai unschuldig und ich schwöre, mir fiel in diesem Moment komplett alles aus dem Gesicht. Bitte was?! Was hatte er da gerade gesagt?!!
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Liebe?! Lieber nicht! ||Boyslove Yaoi~♡
RomanceIm Leben des jungen Isaac war nichts unvorhersehbar. Er war ein einfacher, doch glücklicher Mann, der seinen Traumberuf gefunden und gute Freunde an seiner Seite zu wissen, hatte. Eigentlich gab es nichts, was ihn in seiner Ruhe hätte stören können...