44. Kapitel- Zwei Söhne

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„Mach dir keine Sorgen. Hier ist er in guten Händen." Ich lehnte mich an die Schulter meines besten Freundes. „Ja, aber wenn das nicht reicht? Du hast es nicht gesehen. Da war so viel Blut...", erwiderte ich kleinlaut. „Ach und du bist nicht sofort ins Koma gefallen, als du das gesehen hast? Alle Achtung!", schmunzelte Kai und erntete von mir sogleich einen liebevollen Schlag in die Bauchgegend für diese wunderbar unpassende Aussage! „Au!", jammerte er grinsend. „Das ist nicht witzig!", fauchte ich leise und rutschte noch ein Stückchen näher an meinen Freund heran. Er nickte schmunzelnd und legte seinen Arm um meine Seite. So nah. So nah war ich ihm, doch das beruhigte mich ungemein. Kai gab mir Halt, Kraft, auch wenn er manchmal echt seltsam war. „Du, Kai? Was, wenn er wirklich stirbt?", flüsterte ich und wischte mir die Tränen mit dem Ärmel des Pullovers weg, den mir Kai zum Überziehen mitgebracht hatte. „Jetzt sei nicht so! Ich bin mir sicher, dass es diesem Kollegen bald besser gehen wird! Immer positiv denken! Aber du sag mal, wie heißt er überhaupt?" Positiv denken? Naja, vielleicht hatte er Recht. Ich schaute zu Kai auf und antwortete mit schwacher Stimme: „Alex." Da stockte Kai. „Etwa der, der dich geküsst hat?", wollte er plötzlich wissen. Bitte was?! Das konnte er unmöglich ernst meinen! Ich verzog das Gesicht. „Und wenn schon?! Ist das jetzt wichtig?! Er stirbt vielleicht und das einzige was dich interessiert ist, ob er mich geküsst hat?!", gab ich ihm meine Meinung dazu, ziemlich deutlich zu verstehen. „Er hat sein Leben für mich riskiert! Das macht bei weitem nicht jeder!", fügte ich noch hinzu, um auf Alex' unglaublich heldenhafte Tat hinzuweisen, da Kai es ja anscheinend vergessen hatte! „Ich würde es tun." Ich hielt Inne und spürte, wie die Röte in mein Gesicht stieg. Erschreckt starrte ich meinen Freund an. „Ja. Ja, ich weiß.", sprach ich stotternd und er lächelte schwach auf, strich mir zärtlich über die Wange. Ich schloss die Augen für einen Moment, um diese liebliche Berührung zu genießen. Früher hatte ich es nicht gemocht, mir so im Gesicht herum wischen zu lassen. Ich hätte wohl gelacht und seine Hand weg geschlagen, doch mittlerweile, ja mittlerweile gefiel es mir. Kai war immer so liebevoll zu mir. „Isaac, die Sache heute... sie hat mir bewusst gemacht, wie kurz das Leben ist und wie schnell es vorbei sein kann. Ich hatte solche Angst um dich. Ich dachte, ich seh' dich nie wieder!" Er stoppte für einen Moment und ich schluckte schwer. Kai... Ich strich ihm sanft durch sein dunkles Haar und lächelte traurig. Ich hatte ihm solche Sorge bereitet. Ach, das wollte ich doch gar nicht!
„Hallo?! Wir sind die Eltern von Alex! Wo ist er?! Wo ist unser Junge?!" Ich zuckte zusammen und sah auf. Ein Ehepaar, etwa im Alter vom Chef, stand an der Rezeption schräg vor uns und redete panisch auf die Schwester, hinter der Theke, ein. „Wir müssen zu ihm!" Ich stand auf und ging, wie in Trance, auf die Fremden zu, gefolgt von meinem Freund. Das war meine Chance! Ich musste etwas über Alex' Zustand heraus bekommen! Die Ärzte hatten mir keine Auskunft gegeben, da ich kein Verwandter von ihm war, weshalb ich hoffte, wenigstens etwas von seinen Eltern zu erfahren. Ich machte mir doch auch Sorgen! Da war es total unfair, mir nichts zu mitzuteilen!
Ich musterte das Paar vor mir. Die Frau trug einen langen, dunklen Business-Rock und eine weiße Bluse. In ihrer Hand hielt sie ein Taschentuch, mit dem sie sich alle paar Sekunden die Nase abwischte. Ihr langes, hellblondes Haar lag gelockt auf ihren Schultern und aus ihren Eisblauen Augen liefen ihr Tränen die Wangen hinab, verständlich, immerhin ging es hier ja um ihr Kind.
Der Mann hingegen hielt seine Fassung aufrecht und leistete seiner Frau Unterstützung. Er war ein wahrer Riese, ebenso wie Alex und hatte genau wie sein Sohn, kurze schwarze Haare, die bei ihm allerdings schon etwas lichte waren. Außerdem trug der Mann einen schwarz-weißen Anzug. Vermutlich kamen die beiden gerade von ihrer Arbeit.
Noch einmal holte ich tief Luft und nahm meinen Mut zusammen, um die Fremden anzusprechen. „Eh, entschuldigen Sie? Ich bin Isaac, der Abseitskollege ihres Sohns.", meinte ich also gerade heraus und erntete sofort erschreckte Blicke. „Oh Gott! Sind Sie der Junge, der die Verbrecher außer Gefecht gesetzt hat?!", meinten sie. „Naja, eigentlich war es anders.", erwiderte ich, doch das schien sie überhaupt nicht zu interessieren. „Wir sind Ihnen ja so dankbar!", meinten die Beiden, doch ich schüttelte nur den Kopf. Dankbar? Mir?! Das hatte ich nicht verdient! Nur meinetwegen war es überhaupt so weit gekommen!
„Guten Tag. Sind Sie die Angehörigen des Patienten?" Mit diesen Worten kam ein Mann im weißen Kittel auf uns zu. Alex' Eltern nickten, worauf sich der Arzt namentlich vorstellte und erzählte: „Alex hat sehr schwere Schussverletzungen im Schulter und Brustbereich. Es steht kritisch um ihn, doch wir haben alles, in unserer Macht stehende, getan. Nun können wir nur noch warten. Die nächsten Stunden entscheiden über sein Überleben." Oh nein! Ich hielt mir die Hand vors Gesicht und ein Schluchzen entrann mir. Oh Gott, bitte nicht! Alex durfte nicht sterben! Weinend drehte ich mich zu Kai und ließ mich gegen seine starke Brust fallen. Ich wusste es! Ich wusste, dass es schlecht um Alex stehen würde und das nur meinetwegen!
Auch seine Mutter war völlig aufgelöst und brauchte einen Moment, um sich wieder halbwegs zu beruhigen, sodass wir in Alex' Zimmer durften. Seine Eltern erlaubten uns, mitzukommen, was ich dankbar an nahm, obwohl ich es letztlich doch sehr bereute.
Ihn da so liegen zu sehen, so regungslos und an den ganzen Geräten angeschlossen, das war schon ein ziemlicher Schock für mich. Fest hielt ich Kais Hand, während ich nicht aufhören konnte, Alex anzusehen. Wach auf! Mach doch bitte einfach deine Augen auf! Bitte...
Schließlich saß ich mit seiner Mutter neben dem Getränkeautomaten, im Flur, während Kai sich noch einmal bei einer Schwester über die besten Methoden gegen Schockzuständen beraten ließ. Alex' Vater war derweil im Zimmer geblieben und wachte über seinen Sohn.
„Wissen Sie, Alex ist gar nicht mein leiblicher Sohn. Sein Vater hat mich vor einem Jahr geheiratet und auch ich habe ein Kind mit in die Ehe gebracht.", sprach die Frau neben mir und ich zog überrascht die Augenbrauen hoch. Ach so, so war das. Still betrachtete ich den Pappbecher in meiner Hand, in dem sich heißer Tee befand. Dann war Alex der Nachkomme des Mannes? Nun ja, wenn man sich die beiden genau ansah, erkannte man schon deutlich, dass es Vater und Sohn sein mussten. „Und mein Junge ist vor etwa drei Monaten spurlos verschwunden. Ein paar Tage nach seinem Geburtstag war er plötzlich weg, wie vom Erdboden verschluckt. Und als dann noch Alex vor einem Monat ausgezogen ist und sein Studium abgebrochen hat, wussten wir gar nicht mehr, was los ist. Die Beiden haben sich seither nicht mehr bei uns gemeldet und nun das hier. Ich bin wirklich verzweifelt! Was habe ich bloß falsch gemacht, dass meine beiden Söhne so über plötzlich genug von ihrem Zu hause haben?!" Dann brach die Frau ab und weinte leise. Ich biss mir auf die Unterlippe. Die Arme, hatte es echt nicht leicht. Tröstend strich ich ihr über den Rücken und seufzte leise. Was Alex wohl geritten hatte, seine Eltern einfach so sitzen zu lassen? Sollte er doch froh sein, dass er Eltern hatte! Und dann auch noch solche fürsorglichen! Ich konnte ihn echt nicht verstehen. Da musste wohl etwas ganz schlimmes passiert sein. „Er wird wieder gesund. Das muss er.", sprach Kai. Er stand nun vor uns und hielt mir die Hand, zum Hochziehen, hin. „Ihr Mann ruft nach Ihnen.", fügte er noch, an die Frau gerichtet, hinzu. Diese nickte dankend. „Auf Wiedersehen, Isaac. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar.", sprach sie letzten Endes und ich lächelte schwach. „Melden Sie sich, sobald es etwas Neues gibt?", fragte ich noch und hielt ihr einen kleinen Zettel mit meiner Handynummer darauf, hin. Den Zettel und einen Stift hatte ich mir von der Rezeption ausgeliehen. So könnten mich Alex' Eltern auf dem Laufenden halten. Seine Mutter stimmte zu, bevor ich mich schließlich verabschiedete und mit Kai Richtung Ausgang lief. „Dein Chef hat vorhin bei mir angerufen. Er meinte, du seist nicht ans Telefon gegangen. Jedenfalls lässt er den Laden für die ganze Woche geschlossen." Ich nickte leicht und sah zu Boden. „Kai?", fragte ich leise. „Ja?" „Ich weiß, dass du auch dein Leben für mich geben würdest, aber... aber bitte mach das nicht. Wenn du hier liegen würdest... das könnte ich nicht ertragen." Augenblicklich spürte ich seinen warmen Blick deutlich auf mir und fühlte seine starke, weiche Hand, die sich fest um meine legte und deren Finger sich mit meinen verschränkten. Kai... So gingen wir also, Hand in Hand, hinaus in die nächtliche Dunkelheit. In die Dunkelheit, die sich auf einmal gar nicht mehr so finster anfühlte.

Liebe?! Lieber nicht! ||Boyslove Yaoi~♡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt