Ep 3 - Seong Hwa

23 5 0
                                    

An meinem Apartmentblock setzte mich Yun Ho ab. Beim Aussteigen wünschte ich beiden eine Gute Nacht und verabschiedete mich winkend.
Da ich zu faul war, meinen Schlüssel aus dem Rucksack zu kramen, klingelte ich. In der Hoffnung, Yeo Sang war zu dieser Uhrzeit noch wach. Aber keine Minute später ertönte das Surr-Geräusch. Ich drückte die Tür ein und ging zum Aufzug. Zum Treppensteigen war ich zu k.o. Allerdings fischte ich davor noch unsere Post aus dem Briefkasten. Bis dahin hatten sich auch die Türen geöffnet.
Ich drückte die 10 und lehnte mich gegen die Metallverkleidung des Aufzuges. Die Briefe sortierte ich. Yeo Sang, Yeo Sang, Yeo Sang. Was bestellte der Typ alles? Verließ er das Apartment nie?
Der letzte Brief war für mich. Als ich die Absenderanschrift las, raste mein Herz. Die Praxis, bei der ich mich beworben hatte. Einen Moment starrte ich den Brief an. Ich konnte es nicht öffnen. Yeo Sang musste es für mich tun. Wenn ich bloß daran dachte, wurde mir schlecht. Ich musste den Job bekommen. Ich schob ihn unter den anderen und musterte die elektronische Anzeige. Sobald es auf die zehn umsprang, positionierte ich mich vor der Tür.
Müde trottete ich zum Apartment und gab den Code ein. Dass Yeo Sang die Tür nicht hatte offenstehen lassen, nervte mich. Aber ich verstand es. Seitdem es die Runde gemacht hatte, dass hier im Apartmentblock eingebrochen wurde, waren wir doppelt vorsichtig. Yeo Sang war so weit gewesen, ein Riegelschloss einbauen zu lassen. Dann hatten wir die Preise gesehen und fürs Erste aufs kalte Eis gelegt.
Im Flur begrüßte mich Yeo Sang, der mir den Rucksack abnahm. In seinem Pyjama sah er süß und cozy aus. Aus Reflex wollte ich ihn umarmen, aber er wich aus, bevor ich meine Arme um seine Taille legen konnte. Dringend benötigte ich Zuneigung. Jemand, der mich lange in den Arm nahm. Bei Yeo Sang hatte ich schlechte Karten, das wusste ich.
Im Wohnzimmer ließ ich mich auf dem Sofa nieder und schmiss die Briefe auf den Couchtisch. Normalerweise entsprach dies überhaupt nicht meiner Manier, aber ich fühlte mich zu ausgelaugt.
Mehrmals flatterten mir die Lider zu. Locker hätte ich einschlafen können. Neben mir nahm Yeo Sang Platz und griff nach der Post. Stetig nickte er, bis er meinen Brief erreichte. Erwartungsvoll musterte er mich.
>> Du musst ihn öffnen. <<
Er rollte die Augen, machte sich dann aber trotzdem daran, den Brief zu öffnen. Das Papier zerrte er heraus und faltete ihn auf. Von Zeile zu Zeile rutschten seine Augen. Danach sah er mich mit diesen an.
>> Sorry, Hyung. <<
Schwach nickte ich und richtete mich auf. Während ich zu meinem Schlafzimmer ging, griff ich nach meinem Rucksack. Mir war klar gewesen, dass es eine Absage wurde. Wer sollte schon daran interessiert sein, mit mir zusammenzuarbeiten?
Auf dem Bett ließ ich mich nieder und starrte leer zum Schreibtisch, wo mein angefangener Todesstern darauf wartete, zusammengesetzt zu werden.
Müde schleppte ich mich ins Bad. Ich beeilte mich. Noch während dem Duschen machte ich Skincare und putzte Zähne. Normalerweise vollzog ich alles einzeln, aber ich besaß für heute nicht mehr die Kraft.
Unter die Decke kuschelte ich mich und kramte aus dem Nachttisch meine Switch. Statt Trübsal zu blasen, sollte ich mich um weitere Bewerbungen bemühen. Für heute nicht mehr. Ausnahmsweise gab ich mich geschlagen.
Ich scrollte durch die Spiele und entschied mich schlussendlich doch für Animal Crossing. Sobald mein Avatar sein Haus verließ, verging mir die Lust. Dennoch rupfte ich ein bisschen Unkraut, sammelte Muscheln und ging angeln. Das Meiste verkaufte ich und tilgte mein Darlehen. Dann speicherte ich doch und beendete das Spiel. Irgendwie hatte ich Mitleid mit meinen Inselbewohnern. Dennoch rührte ich die Konsole nicht mehr an.
Stattdessen setzte ich mich an meinen Tisch und hörte Musik. Die Anleitung zog ich mir zurecht und suchte die Legosteine zusammen. Unter meinen Lidern spürte ich Tränen prickeln. Ein bisschen hielt ich noch durch, bis ich die Steine nur als eine verschwommene Suppe wahrnahm. Hinter den Händen verbarg ich mein Gesicht. Keine Sekunde später heulte ich. Nie im Leben würde ich jemanden finden, der mich daten wollte. Keiner wollte mich einstellen, egal, wie gut meine Noten waren. Ich war ein Versager. Das Einzige, was Leute an mir schätzten, war mein Aussehen.
Dicht zerrte ich meine Beine an mich und hinderte diese vom Rutschen, indem ich meine Arme um sie schlang. Den Kopf stützte ich an den Knien. Mehrmals bebte mein Körper vom Weinen.
Als mir Beine und Füße einschliefen, richtete ich mich auf. Zudem hatte ich Durst.
Was mich wunderte, dass das Wohnzimmer noch hell erleuchtet war. Allerdings entdeckte ich nirgends Yeo Sang. Kopfschüttelnd ging ich zum Sofa, um die Stehlampe auszuschalten. Währenddessen schweifte mein Blick zum Fenster. Bei näherem Betrachten fiel mir eine kleine Menschentraube auf, die sich mitten auf der Straße versammelte. Bevor ich ans Fenster trat, losch ich das Licht. Egal, was geschah, gerne wollte ich nicht gesehen werden.
Vielleicht wirkte ich pathetisch, aber ich versteckte mich während des Beobachtens hinterm Vorhang. Alle standen sie dicht beieinander. Dealten sie? Was mir sofort auffiel, dass sich ihre Haarfarben unterschieden. Irgendwie schloss ich Asiaten aus.
Es waren Männer. So viel erkannte ich. Allgemein war es schwer, deren Handeln zu verfolgen. Dafür war das Stockwerk zu weit von der Straße entfernt. Ein anderer Gedanke ereilte mich; was, wenn das die Gruppe von Einbrechern war? Schnell surrte ich den Vorhang zusammen und verließ leichtfüßig – als würden sie mich von unten hierauf hören – das Wohnzimmer, hinüber in die Küche. Als ich den kleinen Raum betrat, stieß ich fast mit Yeo Sang zusammen. Vor Schreck verschüttete er sein Wasser auf dem Schlafshirt.
>> Tut mir leid <<, entschuldigte ich mich prompt und riss zwei Blätter von der Papierrolle ab. Behutsam tupfte ich die nassen Stellen an seinem Shirt entlang, bis er sich mit einem Schritt von mir entfernte. Womöglich war es ihm unangenehm. >> Tut mir leid. <<
Er wusste, dass ich an Männern interessiert war, aber bisher hatte ich nie daran gedacht, dass ihm deswegen meine Nähe unangenehm sein könnte. Wir waren seit der Middle School befreundet und kannten uns ursprünglich durch unsere Eltern. Daher hatte ich es nie hinterfragt, weil wir schon immer Freunde gewesen waren. Außerdem mochte Yeo Sang kein Skinship. Vor jedem wich er zurück. Zum ersten Mal verband ich seine Abweisung damit. Ich schob es darauf, dass es mir nicht gut ging.
Aus großen Augen schaute er mich an.
>> Hyung? <<
>> Mhm <<, machte ich aus Reflex.
>> Alles okay? <<
Bevor ich ihm ehrlich antwortete, nickte ich automatisch. Das Wasserglas stellte er auf dem Küchentisch ab und richtete sein Shirt, was nun die Hälfte seines Schlüsselbeinknochens entblößte. Betreten schaute ich unter mich. Nicht, weil ich irgendwelche sexuellen Hintergedanken hegte, sondern da ich vermutete, dass es ihm unangenehm sein konnte.
>> Hast du die Leute auf der Straße gesehen? <<, fragte er.
Ich nickte. Dann nickte er auch.
Irgendwie wirkte die Stimmung seltsam geladen. Ich konnte nicht genau identifizieren, warum es zu dem Punkt gekommen war. Es schien, als wollte er versuchen, auf neutralem Boden zu kommunizieren.
Nochmals nickte er, schnappte nach seinem Glas und entschwand durch den Torbogen. Dabei murmelte er ein unverständliches Gute Nacht. Eine Weile beobachtete ich ihn, bevor ich aus dem Hängeschrank ein Glas entnahm. Das kühle Wasser aus dem Kühlschrank tat gut. Ich hatte das Gefühl, meine Gedanken würden klarer werden. Ich schenkte mir nach, ehe ich die Küche verließ.
Auf dem Nachttisch stellte ich mein Wasserglas ab und kuschelte mich unter die Decke. Nur, um kurz danach erneut aufzustehen und meinen Laptop aus dem Rucksack zu kramen. Nein, ich wollte nicht an meiner Facharbeit schreiben. Dafür hatte ich momentan keinen Kopf. Stattdessen suchte ich nach dem Webtoon. Als erstes Ergebnis lieferte mir Google den Link zur Webseite. Ich klickte drauf. Um die sechs Seasons mit jeweils rund 400 Episoden waren bisher erschienen. Ordentlich. Kim Hong Joong und JOS3PH wurden als Autoren des Manhwas geführt.
Ich klickte und scrollte, bis ich die erste Season fand. Ernüchternd blickte ich den Banner an, der mir sagte, ich solle mich anmelden, um dies zu lesen. Unentschlossen schwebten meine Finger über die Tastatur. War es mir so wichtig, um guten Schlaf zu opfern? Morgen würde ich mich grauenhaft fühlen und ich musste dringend meine Facharbeit vorantreiben. Dann dachte ich an die Fanart und an Joongie. Ein unaufhörliches Kribbeln startete im unteren Bereich meines Bauchs. Meine Gedanken wanderten weiter. Viel weiter. Sosehr, dass ich mir beinahe in den Schritt griff. Doch dann fühlte ich mich unwohl, dass ich mir auf ihn einen runterholen wollte.
Trotzdem erstellte ich mir einen Account und klickte das erste Kapitel an. Episode für Episode verschlang ich. Fesselte mich die Story, der Zeichenstil oder der Gedanke, dass dieser Joongie existierte?
Öfter fielen mir die Lider zu, bis ich nur noch den Webtoon verschwommen wahrnahm. Es reichte. Ich traute mich schon gar nicht zu gucken, wie viel Zeit vergangen war. Dennoch erhaschte ich die Uhrzeit. Heftig schluckte ich. 03:44.
Schlafenszeit. Aber dalli.
Ich loggte mich aus, schloss den Browser und fuhr den Laptop runter. Als ich diesen unten auf dem Fußboden ablegte, verspürte ich einen unangenehmen Druck. Ich schielte zu meiner Taschentücherbox auf dem Nachttisch. Dann tat ich es eben doch.

The Pirate's PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt