Circa zwei Meter nahm ich Anlauf und sprang seitlich hindurch. Auf eisigem Schnee rollte ich mich ab, wirbelte wild mit der Taschenlampe umher. Nichts als Dunkelheit und Kälte. Über meine Arme legte sich eine Gänsehaut und ich begann partout zu frieren.
Paar Schritte trat ich vor und leuchtete zur Stelle, wo ich ausgespuckt worden war. Eine Bushaltestelle? Ich ging ins Innere und suchte nach einem Fahrplan. Entdeckte lediglich einen ranzigen Zettel, der an der Holzwand pinnte. Mit einem Tippen aktivierte ich das Handydisplay, überprüfte dessen Uhrzeit. 22:28. Mit zittrigen Händen strich ich über den Zettel und verfolgte die horizontale Linie, bis ich die Abfahrtszeit fand. 22:13. Fuck. Um fünfzehn Minuten hatten wir den Bus verpasst, der Nächste fuhr erst 23:13.
Hinter mir vernahm ich Schneeknarzen, drehte mich daraufhin um und war erleichtert, als ich die drei ausmachte.
>> In circa e- e- einer Dreiviertelstunde k- k- kommt der N- N- Nächste <<, bibberte ich.
>> Wo willst du hinfahren? <<, fragte Seth.
Ich zuckte die Achseln. Von oben bis unten musterte dieser mich, Sorge zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.
Von den Schultern ließ ich die Träger rutschen und stellte den Rucksack auf der Bank ab. Öffnete diesen, in der Hoffnung, Quinn hätte seine Jeansjacke darin verstaut. Leider nicht. Stattdessen wühlte ich mich durch seine Blöcke. Unzählige Zeichnungen von Soldaten hatte er angefertigt. Sie sahen alle gleich aus. Doch irgendeinen Hinweis musste ich finden.
Meine Finger waren so klamm vor Kälte, dass es wehtat, diese zu bewegen. Für eine Weile behielt ich sie im Rucksack, denn in diesem steckte noch ein bisschen Restwärme. Dann kramte ich weiter, erfühlte in der vorderen Tasche sein Handy. Dieses erzitterte in meinen Händen.
Als dessen Gesichtserkennung fehlschlug, tippte ich den Code ein. Wild wischte ich umher, bis ich aus Routine die Notiz-App öffnete. Die letzte Datei war drei Stunden alt. Hastig klickte ich darauf. Elo, fall du das liesr, Zacharias Leute habe mixj gekidnappt. Irgendw habem sie mit gespritzt icj weis nich was, las diese.
Ich wandte mich Seth zu, welcher mich daraufhin in eine Umarmung zog und mit den Mantelenden zudeckte. Zögerlich schlang ich die Arme um seine Taille, den Kopf stützte ich an seinem. Es war eine Wohltat, dass ein bisschen Wärme in meinen Körper zurückkehrte.
Mehr Angst jagte mir Joongie ein, der mich anstarrte, als würde er mich im nächsten Moment um die Ecke bringen wollen. Als dieser meinen Blick auffing, schaute er weg. Dennoch wich sein Gesichtsausdruck nicht. Sogar Alec stupste ihn an und ich hörte ihn anschließend flüstern.
>> Er wärmt ihn nur. <<
>> Könnte ich auch. << Er schüttelte den Kopf. >> Er hat einen Crush auf ihn, ich weiß es. <<
Danach wandte Joongie sich ab. An seiner Statur erkannte ich, dass er die Arme verschränkte.
>> Zacharias <<, sagte ich plötzlich.
>> Was ist mit ihm? <<, fragte Seth.
Sein Atem kitzelte meinem Nacken. Leicht zuckte ich zusammen, was Seth dazu brachte, sich zu entschuldigen. Wenn er sich weiterhin so verhielt, fing ich am Ende noch an, ihn zu mögen.
>> Quinnie hatte eine Notiz in seinem Handy hinterlassen, dass Zacharias' Leute ihn entführt haben <<, erklärte ich. Nun kehrte Joongie zurück. Sein Ausdruck hatte sich verändert. Neugier. Dennoch erkannte ich weiterhin die Verachtung in seinen Augen. >> Er meinte, sie hätten ihm irgendwas gespritzt. <<
Das Zittern meiner Knie veranlasste Seth dazu, den Griff um meine Taille zu verstärken.
>> Dann sind sie bestimmt zu seinem Anwesen geflohen <<, mutmaßte dieser.
>> Bis wir dort sind, vergehen locker zwei Stunden <<, sagte Alec. Entsetzen breitete sich auf seinem Gesicht aus. >> Quinn <<
Dafür, dass er mir eben noch gesagt hatte, dass alles gut werden würde, sah er nun doch recht besorgt und pessimistisch aus.
Schweigend harrten wir die nächsten Minuten aus. Dass mich Seth während dem Warten streichelte, machte mich schläfrig. Bettete den Kopf an seiner Schulter und schloss die Lider. Als ich nach einer Weile seine Erregung wahrnahm, löste ich mich ruckartig von ihm.
>> Sorry <<, murmelte dieser. >> Tut mir leid, wirklich. Bitte ignorier's einfach. <<
Weiteres peinliches Geplänkel wurde hinfällig, denn ich erhaschte die Scheinwerfer des Busses. Mit einem Schritt nach hinten sattelte ich Quinns Rucksack und hechtete zur Einbuchtung. Am Handy suchte ich nach der App. Erst jetzt fiel mir auf, dass sich die Bedienoberfläche meines Handys grundlegend verändert hatte. Alle Apps waren kaum wiederzuerkennen.
Doch viel schlimmer war die Kälte, welche sich wie ein schwerer Mantel um meinen Körper schmiegte. Obwohl mir Seths Reaktion überaus unangenehm und unvorstellbar war, vermisste ich seine Körperwärme. Im Augenwinkel beobachtete ich Joongie, dem Seth den Gesten nach eine Moralpredigt hielt.
>> Junge, sieh dich mal um <<, herrschte der Busfahrer mich an, sobald ich eintrat. >> Wir haben Winter. Hat deine Mutter dir nicht beigebracht, sich ordentlich anzuziehen? <<
>> Doch << In Korea herrschte vor einer knappen Stunde noch Hochsommer und am liebsten wäre ich ohne Shirt rausgegangen. >> Vier Mal bitte <<
An seinem Gerät tippte er herum, woraufhin ich mein Handy mit dem Code gegen den Scanner presste.
Jeder Passagier starrte mich an, manche tuschelten hinter vorgehaltenen Händen. In meinem Magen zog sich alles zusammen, dies fühlte sich nur erniedrigend an.
Im freien Vierer ließ ich mich am Fensterplatz nieder und platzierte den Rucksack zwischen meinen Beinen. Einen stillen Kampf lieferten sich Joongie und Seth, den schließlich Zweiter für sich gewann, da dieser neben mir Platz nahm.
Vor der Brust verschränkte ich beide Arme und beobachtete Joongie, der mich unaufhörlich musterte. Nach einiger Zeit stützte ich den Kopf am Fenster, kämpfte gegen meine zufallenden Lider an. Ich war müde und wollte schlafen. Doch ich konnte nicht, mein Gedankenkarussell hielt mich auf Trapp. Ich vermisste mein altes Leben, meine Freunde. Gerne würde ich jetzt in Woo Youngs Restaurant sitzen und Ramen schlürfen.
>> Wann müssen wir aussteigen? <<, fragte ich.
>> Endstation <<, erwiderte Alec. >> Dann haben wir noch einen Fußweg von 1 1/2 Stunden. <<
Entsetzt riss ich die Augen auf.
>> Willst du jetzt aufgeben? <<, fragte er. >> Mein Bruder ist- <<
>> Sorry <<, warf ich schnell ein und wandte mich ab.
Ich kreuzte die Beine und schaute aus dem Fenster. Zuckte prompt zurück. Im Fenster spiegelte sich mein Abbild, entdeckte dadurch die weißblonden Haare. Aus Unglaube fasste ich zu diesen. Musste feststellen, dass sie sich tatsächlich auf meinem Kopf befanden. Automatisch dachte ich an die Besatzungsliste, welche im Manhwa am Schluss vermerkt gewesen war. Stimmt, Elos Haare waren blond gewesen.
Trotz meiner vielen Verschwörungstheorien kribbelte eine unheilvolle Panik durch meinen Körper. All diese Veränderungen waren für mich kaum greifbar, weshalb sie lediglich Angst in mir auslösten.
Mittlerweile vermisste ich mein Leben als Seong Hwa. Im Nachhinein betrachtet, es war komfortabler gewesen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich das zwar nicht gesehen, doch nun, in Anbetracht jeglicher Entwicklungen, stellte ich es mir um einiges gemütlicher vor.
Aus der vorderen Tasche zerrte ich Quinns AirPods und verband diese mit meinem Handy. Ein Stück Normalität. Zumindest glaubte ich dies, bis ich meine Mediathek öffnete. Lediglich klassische Musik sammelte sich in dieser. Ich ließ die Klappe der AirPods zuschnellen, schluckte meine Panik hinunter. Versuchte, das Wummern meines Herzens zu finden, doch- Ich nahm dieses nicht mehr wahr.
Stocksteif sank ich im Sitz zurück und beobachtete den Rest der Fahrt Joongie, welcher mich besorgten Blicken bedachte.
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The Pirate's Prince
FanfictionDer 24-Jährige Park Seong Hwa lebt sein gewöhnliches Studentenleben, bis er auf einer abendlichen Lesung den bekannten Manhwa-Zeichner Kim Hong Joong kennenlernt. Sofort verspürt Seong Hwa eine magische Anziehungskraft zu ihm, als kennen sich beide...