Ep 28 - Seong Hwa

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Sonne fiel durchs Küchenfenster. Mit den Augen verfolgte ich die Strahlen, welche Schatten auf die Fliesen warfen.
Stunden lag ich bereits bewegungsunfähig auf dem Boden. Bestimmt war schon Mittag durch. Ich erinnerte mich, wie ich mir oft beim Kochen gedacht hatte, dass nur nachmittags Sonne in die Küche schien.
Paar Mal hatte mein Handy geklingelt, aber ich hatte es nicht geschafft, meinen Arm zu heben. Hoffentlich machte sich niemand Sorgen.
Irgendwann fielen mir die Lider zu. Anders war es zu anstrengend. Es dämmerte, als ich mich dazu zwang, die Augen zu öffnen. In meinen Armen und Beinen vernahm ich ein Kribbeln. Unsicher, ob dies nun ein gutes Zeichen war, konzentrierte ich mich darauf, meinen Finger zu heben. Beinahe hätte ich geschrien vor Freude. Ohne jeglichen Schmerz konnte ich meine Hände bewegen.
Vorsichtig drückte ich mich hoch und hielt meine Position inne. Auf der Stelle, wo zuvor mein Kopf gelegen hatte, sammelte sich eine durchsichtige Pfütze. Wasser? Unwillkürlich fasste ich zu meiner Stirn. Sie war feucht. Schweiß? Hatte ich so viel geschwitzt? Warum? Nach wie vor war es mir ein Rätsel, was mit meinem Körper passierte.
Allgemein fühlte ich mich leicht warm und ausgelaugt, als hätte ich über Stunden intensives Cardio gemacht.
Obwohl es mir danach war, mich unter der Dusche zu erfrischen, wollte ich eigentlich nicht noch länger als nötig hier verweilen. Mithilfe der Küchenzeile hievte ich mich auf die Füße und verharrte in der Position. Zwar war mir nicht mehr schummrig, aber ich wollte nichts überstürzen. Dieses Verhalten kannte ich nicht von mir. Alles hatte mit den Kopfschmerzen begonnen, die in Verbindung zu Quinns Verschwinden aufgetreten waren. Davor war ich Alec, Seth und Jonah begegnet. Hatten sie-
Aus dem Fenster starrte ich und beobachtete die Türme des Palastes, die weit in den Himmel ragten.
Dem Kalender nach zu urteilen, war ich zuletzt 2019 im Apartment gewesen. Hatte ich durch die Verbannung mein Gedächtnis verloren? Waren das Nebenwirkungen davon, dass ich mich nicht erinnerte? Ich wusste ehrlich gesagt nicht, was mit Engeln geschah, die verbannt wurden. Jedenfalls mussten sie tief in Ungnade fallen, dass so ein Urteil gefällt wurde. Lag es daran, dass ich damals Jonah vorm Tod bewahrt hatte, aber... ich hatte ihn lediglich geheilt. Und ich konnte meine Kräfte nutzen. Wenn ich wirklich verbannt wurde, warum sollte ich mir eine Notiz für meine Rückkehr hinterlassen? Hinten und vorne passte etwas nicht zusammen.
Bunte Lichter bestrahlten die Türme des Palastes. Inständig hoffte ich, dass sie nicht auf mich warteten.
Dann riss ich mich vom Anblick los und querte den Flur, um ins Schlafzimmer zu gelangen. Aus dem Schrank zerrte ich schwarze Hose, Rollkragenpulli und Lederjacke. Bevor ich überlegte, was ich tat, hob ich den Innenboden des Schranks auf. Ein Sammelsurium an Waffen trat zum Vorschein. Vorsichtig hievte ich mein blau-silbernes Schwert heraus und legte es beiseite. Vier Dolche suchte ich mir noch aus.
Ich klappte die geheime Tür zu und öffnete eine weitere Schublade. Mehrere Halterungen für Waffen sammelten sich darin. Eins für den Oberkörper und für mein Bein fischte ich heraus, schmiss es aufs Bett zu den Klamotten. Ich tauschte meine Kleidung gegen die, welche ich mir rausgesucht hatte, und legte die Gurte an. In diesen verstaute ich die Dolche und mein Schwert.
Im Spiegel musterte ich mich. Verrückt. Vor paar Wochen hätte ich mich in diesem Outfit nicht erkannt. Kopfschüttelnd wandte ich mich ab. In der Kommode suchte ich nach einem Rucksack, den ich mit dem Laptop, den Brief an mich mit dem Passwort und der schwarzen Mappe füllte.
Ich dachte an Jonahs kreidebleiches Gesicht. Es erinnerte mich an damals, als er im Krankenhaus die Vision hatte. Aus dem Badezimmer holte ich paar Medikamente. Darunter Beruhigungsmittel. Für Min Gi und Woo Young, sie hatten so verängstigt ausgesehen. Nach wie vor hoffte ich, dass sie nicht auf mich gewartet hatten, obwohl ich eine Vorahnung hatte.
An der Wohnungstür hielt ich Inne. Ein komisches Gefühl beschlich mich. Ich dachte an das Wesen mit den glühenden Augen, welches mich im Flur überrumpelt hatte. Dem nochmal zu treffen, war ich nicht sonderlich scharf drauf.
Fast lautlos schloss ich die Tür hinter mir, doppelt sperrte ich ab. Den Schlüssel vergrub ich tief in eine Seitentasche meines Rucksacks. Gefühlt jede zweite Stufe, die ich betrat, schaute ich mich um. Dafür, dass viele Apartments im Hochhaus untergebracht waren, herrschte drückende Stille. Beängstigend.
Ich blickte links um die Ecke, als ich das Treppenende erreichte. Keine glühenden Augen weit und breit. Bevor ich es mir anders überlegte, huschte ich durch den Hausflur, dennoch hielt ich die Hand überm Schwertgriff.
In der Seitenstraße herrschte Leere, die Dunkelheit verstärkte den Anblick. Ich bog links ab und kehrte zum Straßenverlauf zurück. Obwohl ich nur ging, fühlte ich mich davon ausgelaugt. Die letzten Stunden in Bewegungsunfähigkeit hatte ich wohl doch nicht einfach so weggesteckt.
Den gleichen Weg, welchen ich hergekommen war, verfolgte ich zurück. Es bot sich dieselbe Szene, als ich zum Apartment gegangen war. Belebte Straßen, betrunkene Leute und knutschende Pärchen.
Ich wuselte mich durch die Menge, bis ich in eine Seitenstraße verschwand. Hier war ich abgeschirmt vor neugierigen Blicken. In der Hand umschloss ich fest Azraels Rings und drückte ihn gegen meine Brust. Murmelte währenddessen eine Beschwörungsformel. Sobald ich ein Flügelrauschen wahrnahm, blickte ich auf. Links von mir stand ein dunkelhaariger Mann, dessen schulterlanges Haar ins Gesicht fiel. Ein schwarzes Gewand umhüllte seinen Körper, das von einem Gurt, in welchem ein schwarzes Schwert steckte, gesäumt wurde.
Ohne nachzudenken, schritt ich auf Azrael zu und drückte ihn fest an mich. An der Taille spürte ich seine dünnen Arme. Sachte klopfte er gegen meinen Rücken.
>> Ich dachte, ich sehe dich nie wieder. <<
Schon Guss' Aussage im Pub hatte mich irritiert. Ruckartig löste ich mich von ihm. Ein Lächeln entlockte ihm mein verwirrter Ausdruck.
>> Was? <<, fragte er verdutzt, >> Ich bin zwar ein Engel aus dem Totenreich, aber das bedeutet nicht, dass ich keine Gefühle habe und nicht meinen langjährigen Freund vermissen- <<
>> Aber- <<, faselte ich und unterbrach mich selbst. Ich visierte sein Gesicht, legte den Kopf leicht schief. >> Ich wurde doch verbannt. <<
>> Verbannt? <<, wiederholte Azrael, sichtlich überrascht. Locker hielt er seine Arme an meiner Taille. >> Weshalb sollte man dich verbannen? <<
Lange sah ich ihn an, schwieg. Ich dachte an Jonah, als ich ihn damals gerettet hatte. In Azraels Gesicht las ich, dass er wusste, woran ich dachte. Nach einiger Zeit schüttelte er den Kopf.
>> Zwar standest du deswegen vor Gericht, aber sie selbst hatten eingesehen, dass du ihn lediglich geheilt hattest. Außerdem wussten sie nicht, dass ihr- du- du weißt schon. << Knapp schielte er an mir vorbei, vermied Augenkontakt. >> Aber vor circa 3 1/2 Jahren bist du einfach verschwunden. Wir hatten versucht, dich aufzuspüren, aber deine Macht konnte nicht verfolgt werden. <<
Unwillkürlich dachte ich an den Kalender in meinem Apartment, welcher auf 2019 datiert war, und den Brief für meine Rückkehr. Ich guckte unter mich.
>> Ich erinnere mich nicht. <<
>> Mhm? <<, machte Azrael.
Ich wiederholte mich, diesmal lauter. Kurz beschrieb ich ihm, wie ich mich in letzter Zeit fühlte. Besorgnis stand quer über Azraels Gesicht geschrieben. Noch konnte ich nicht einordnen, ob diese Reaktion positiv oder negativ war.
>> Vielleicht solltest du Saniel dies untersuchen- <<
>> Ich hatte mit Quinn zusammengelebt <<, platzte es aus mir heraus. Gleichzeitig fühlte ich mich schlecht, da ich ihn unterbrach, aber ich musste mit jemandem darüber sprechen. >> In Seoul, seit knapp vier Jahren. <<
Weit riss er die Augen auf, leicht öffneten sich seine Lippen. Die Verblüffung konnte er nicht spielen. Azrael war ein miserabler Schauspieler.
>> Quinn? <<, wiederholte er. >> Der Junge, der verschwunden war? << Rege zuckten seine Pupillen über mein Gesicht. >> War er nicht auch einer deiner Schützlinge? <<
Ich nickte.
>> Zusammen mit seinem älteren Bruder, Alec <<, ergänzte ich. >> Deren Vater hatte mich damals darum gebeten. << Ein Stück rutschte ich zu ihm auf. >> Als er verschwunden war, hatte ich ihn damals gefunden. Zacharias' Leute hatten ihn entführt, ich war ihnen gefolgt. Sie hatten Quinn zur Burg gebracht; ich wollte ihn beschützen, allerdings wurde ich überwältigt. Danach hatte ich seine Spur verloren. Alec hatte ich geholfen, wo ich konnte, aber es gab keinerlei Anhaltspunkte, bis ich- <<
Leer starrte ich in Azraels Augen, der mich erwartungsvoll musterte. Kopfschmerzen drängten sich hinter meine Stirn. Noch eben hatte ich meinen Gedankengang ausformuliert, aber ich hatte meine Worte vergessen.
>> Bis du was? <<, griff mein Gegenüber auf.
Kurz schüttelte ich den Kopf.
>> Ich hab's vergessen. <<
Sorge las ich in Azraels Augen.
>> Ich kann mich nicht erinnern <<, erklärte ich. >> Ich meine, Elo kann sich nicht an die letzten drei Jahre erinnern. Wie ich die letzten Jahre als Park Seong Hwa gelebt habe, weiß ich. Ich bin zur Uni gegangen, hatte Freunde... an alles erinnere mich, aber... warum ich dort war, frag mich nicht. <<
Ich schwieg, lehnte mich gegen die kühle Mauer. An Azraels Gesichtsausdruck erkannte ich, dass er über meine Worte nachdachte.
>> Du solltest mit Saniel reden <<, schloss er. >> Das klingt nach einem Zauber. <<
Lautlos wiederholte ich das letzte Wort.

The Pirate's PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt