Ep 27 - Seong Hwa

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Ich trat in tiefe Finsternis, weshalb ich erstmal stehenblieb. Einen Blick warf ich nach oben. Nicht annähernd reichte die nackte Glühbirne überm Eingang des Pubs aus, um den gesamten Weg zu beleuchten.
Vorsichtig tat ich einen Schritt nach dem anderen. Schon aus dem Grund, da der Bordstein vereist war und ich lediglich Converse trug. Außerdem machte sich wieder der Schmerz in meinem Knöchel bemerkbar.
Je näher ich dem Stadtzentrum kam, desto heller und voller wurden die Straßen. Typisches Nachtleben spielte sich ab. Ich sah Leute, die aus Clubs purzelten. Autos hupten. Pärchen knutschten in dunklen Ecken.
Ohne einen konkreten Plan verfolgte ich den Fußgängerweg. Durch kleine Gässchen tummelte ich mich, ehe ich vor einem Hochhaus stehenblieb. Auf dem obersten Namensschild las ich Seong Hwa Park. Anscheinend begleitete mich der Name schon länger.
Am Türknauf rüttelte ich, bis sich die Tür eindrücken ließ. Diesen Trick hatte ich schon häufiger angewandt, wenn ich meinen Schlüssel vergessen hatte.
Mehrmals sah ich mich um, bevor ich eintrat. Bis zum Ende folgte ich dem dunklen Flur, hier war die Wand komplett mit Briefkästen behangen. In der untersten Ecke versteckte sich meiner, welcher bereits überquillte. Ich kniete mich in die Hocke und zerrte einen nach dem anderen hinaus, bis ich verharrte. Irgendwas klemmte. Hektisch zog ich am Brief. Ich stöhnte. So kam ich nicht weiter.
Ich ließ mich auf die Knie sinken und beugte mich tief hinunter. Vorsichtig tastete ich mich am Schlitz des Postfachs entlang, erfühlte den Brief von Innen. Etwas klebte daran. Genau konnte ich nicht identifizieren, was es war. Irgendwie wollte ich auch nicht. Vom Umschlag kratzte ich das schmierige Zeug ab und stupste den Brief hinaus. Ein grüner Post-It stach mir sofort ins Auge. Wenn du zurückkehrst. Wie, wenn ich zurückkehrte?
Mit den Fingern fühlte ich den Brief ab und spürte eine Wölbung. Eine Weile drückte ich darauf herum, um eine Vorstellung der Form zu bekommen. Ein Schlüssel?
Gerade, als ich den Umschlag öffnete, knarzte das Türschloss. Hektisch klaubte ich die Briefe vom Boden und quetschte mich in die dunkelste Ecke. Dann ertönten auch schon die ersten Schritte. Absatzschuhe.
Ich zwang mich dazu, flach zu atmen und keinerlei Geräusch von mir zu geben. Gegen meine Brust drückte ich die Briefe. Angestrengt lauschte ich. Die Schritte wurden lauter. So laut, dass ich dachte, die Person stünde gleich neben mir. Plötzlich herrschte Stille. Minutenlang. Obwohl ich nervös war, raste mein Herz nicht. Ungewöhnlich.
Aus dem Augenwinkel musterte ich den Schatten. Ich war mir sicher, dass es ein Mann war. Was mir auffiel, war ein Geruch. Modrig. Stark erinnerte mich dieser an den, welchen ich in Zacharias Anwesen wahrgenommen hatte.
Am Schatten erkannte ich, dass er sich bewegte, umschaute. Er ging in die Hocke, schien auf dem Boden zu krabbeln. Hektisch guckte ich gen Boden und erwartete, dass er zu meinen Füßen lag, aber dort war nichts. Ich schaute auf und schrie. Zwei glühende Augen starrten mich an. Aus Reflex ließ ich die Briefe fallen. Es war mein Fehler, dass ich zu Boden sah. Denn anschließend waren die Augen verschwunden. Fast wirkte es, als hätte ich es mir eingebildet. Im Flur war niemand. Jeden Millimeter inspizierte ich, aber ich fand nichts.
Mich umguckend stieg ich die Treppenstufen hinauf. Diese waren aus Holz und wandten sich kreisförmig nach oben. Bis ins oberste Geschoss ging ich, da ich an dessen Tür-Namensschild Seong Hwa Park las. Mehrere Versuche benötigte ich, um den Schlüssel aus dem Umschlag zu friemeln; meine Hände zitterten unentwegt.
Tief atmete ich durch und zerrte den Schlüssel hinaus, wobei ein Zettel mit rausflog. Diesen hob ich vom Boden auf und entzifferte meine Handschrift. Passwort. Darunter eine achtstellige Zahlenkombi.
Für was war das Passwort? Egal, wie lange ich grübelte, mir fiel nichts ein. Nur verschwommene Bilder blitzten in meinem Gedächtnis auf. Warum erinnerte ich mich nicht?
Argwöhnisch guckte ich mich im Hausflur um. Um mich herum herrschte Stille. Der Schlüssel in meiner Hand war das Lauteste weit und breit. Hatte ich mir eben die Begegnung tatsächlich nur eingebildet? Halluzinierte ich vom Schmerzmittel?
Dennoch versuchte ich, keinen Lärm zu machen, als ich den Schlüssel ins Schloss steckte. Beim Umdrehen passte ich doppelt so sehr auf. Leise drückte ich die Tür hinter mir zu.
Das Apartment wirkte gepflegt und ordentlich. Abgesehen vom Schreibtisch. Als ich näher herantrat, bemerkte ich einen aufgeklappten Laptop, der noch am Stromnetz angeschlossen war, eine durchgedrückte Notiz und einen offnen Kugelschreiber. Wann auch immer ich die Wohnung verlassen hatte, jedenfalls schien ich es eilig gehabt zu haben.
War das Passwort für den Laptop? Prompt ließ ich mich auf dem Stuhl vorm Schreibtisch nieder und tippte den Code ein. Lediglich eine Fehlermeldung ploppte auf. Lange musterte ich die acht Zahlen. Erneut tauchten Szenen vor meinem inneren Augen auf, aber sie waren nicht greifbar.
Stattdessen lenkte ein kleiner Kalender am Kühlschrank meine Aufmerksamkeit auf sich. Fassungslos starrte ich diesen an. Stürmte prompt hinüber. 2019 prangte überm Landschaftsmotiv. Knapp vier Jahre war dies nun her. Vier Jahre. Vier, vier, vier... In Dauerschleife hallte die Zahl durch meinen Kopf.
So lange kannte ich nun Quinn als Yeo Sang.
Mir wurde schummrig und Kopfschmerzen drängten sich hinter meine Stirn. Einen Schritt stolperte ich nach hinten, fing mich nur knapp am Spülbecken auf. Was war los mit mir? Warum hatte ich Schwächeanfälle und Gedächtnislücken?
Nach und nach rutschte ich hinunter auf den Fliesenboden und legte den Kopf in den Nacken. Schweiß perlte auf meiner Stirn. Mehrmals flogen mir die Lider zu, bis es zu anstrengend wurde, diese offen zu halten. Stück für Stück rutschte ich am Schrank gen Boden. Meine Glieder fühlten sich schwer an. Nicht mal den kleinen Finger konnte ich heben.
Ich sah Bilder und diesmal hatte ich eins klar vor Augen. Quinn.

The Pirate's PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt