Ep 35 - Seong Hwa

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Vier Jahre zuvor.

>> Schneller! <<, schrie ich.
Vom Fahrersitz kletterte ich hinunter, öffnete die Tür zur Rückbank. Dicht hinter mir drängte sich Seth, der den bewusstlosen Jonah in den Arm hievte.
Nur schwer konnte ich meine Tränen zurückhalten. Insbesondere, als erneut mein Blick auf die klaffende Wunde fiel. Überall verteilte sich Blut.
Unterbewusst verriegelte ich die Tür des Autos. Rannte. Tippte mit zittrigen Fingern den Code ein. Hinter mir vernahm ich ein Stöhnen. Ein Blick über die Schulter verriet mir, dass Seth seinen Arm um Jonah neu justierte. Ich ließ ihn zuerst passieren und hechtete ihm die Treppenstufen hinterher. Zur Notaufnahme führte ich ihn, schrie um Hilfe. Niclas war der Erste, der aus dem Behandlungszimmer hinausspähte. Gefolgt von Gracie.
>> Was ist passiert? <<, fragte Zweite.
Unter Tränen schilderte ich, dass Zacharias ihn mit einer Pistole verletzt hatte. Erzählte, dass ich ihn in die Bewusstlosigkeit zurückgeholt hatte.
Seth folgte Niclas zwei Türen weiter. Als ich zum Gehen ansetzte, hielt mich Gracie zurück. Drückte mich auf einen der Stühle im Wartebereich. Aus tränenverschmierten Augen starrte ich zum Gang, in welchem Seth mit Niclas verschwunden war.
Beide meiner Hände bettete Gracie in ihren.
>> Es wird alles gut <<, sagte diese. Wischte mir paar Tränen von den Wangen. >> Niclas ist ein kompetenter Arzt. Er weiß, was zu tun ist. <<
Das stritt ich gar nicht ab. Trotzdem- Am liebsten wollte ich alles selbst überwachen, um Gewissheit zu haben, dass er lebte.
Eng zog sie mich in eine Umarmung. Strich mir über den Rücken, murmelte beruhigende Worte. Zwar blieb eine Grundangst in mir zurück, aber das Weinen verebbte.
Lautes Trampeln hallte durch den Flur und keine Sekunde später reihten sich Alec, Matty und Callum im Halbkreis vor uns auf.
>> Wo ist unser Captain? <<, fragte Alec.
Erneut brach ich in Tränen aus. Über meinen Rücken streichelte Gracie.
>> W- Wa- Was ist? <<, stammelte Alec, >> I- Is- Ist er tot- <<
>> Er ist in der Notaufnahme- <<
Im selben Augenblick kehrte Seth zurück. Ausgestattet mit Desinfektionstüchern, um das Blut zu entfernen.
Sofort sprang ich auf. Lief ihm entgegen. An den Schultern hielt er mich zurück.
>> Sein Zustand ist stabil. <<
Neben Gracie ließ ich mich in den Stuhl sinken, presste meine Hände vors Gesicht. Trotzdem heulte ich weiter. Gut eine halbe Stunde benötigte ich, um mich zu beruhigen.
Als uns Gracie verließ, da sie zur nächsten Visite musste, steuerten wir die Mensa an. In einem abgeschirmten Eck nahmen wir Platz. Mit Nudeln stopften sie sich voll. Mir stand nicht der Sinn nach Essen. Ich wollte wissen, wie es Jonah ging. Ständig hielt ich die Tür im Blick. Erschreckte jedes Mal, wenn sie sich öffnete. Zur gleichen Zeit wurde ich enttäuscht, da nicht Niclas hindurch schlüpfte. Irgendwann tauchte Jack auf, der sich zu mir auf die Bank setzte.
>> Wie geht's ihm? <<
Mit einem Schulterzucken antwortete ich ihm. Für jegliche Erklärungen war ich zu ausgelaugt.
>> Sein Zustand ist stabil, aber er hat die Notaufnahme noch nicht verlassen <<, erwiderte Seth stattdessen.
Ein Strudel aus Gedanken riss mich aus dem Gespräch. Immer aufs Neue wiederholte sich eine einzige Sequenz. Jonah packte ich an den Schultern, zerrte ihn an mich. Küsste seine erkalteten Lippen. Allein die Erinnerung lösten Tränen aus. Dass Jack verschwunden war, registrierte ich erst, als ich auf Toilette musste.
Gerade verließ ich das Bad, als mir Niclas entgegenkam. Seine Lippen bewegten sich, aber seitdem er sagte, ich könnte zu Jonah, hörte ich nur noch einen dumpfen Ton. An ihm drückte ich mich vorbei und stürmte die Treppen in den zweiten Stock hoch. Ich klopfte nicht, sondern trat gleich ein.
Angeschlossen an mehreren Kabeln lag er im Bett. Hielt die Augen geschlossen. Nah trat ich ans Bett, fuhr über seine Wange. Zu seiner Schulter, übern Arm, bis hinunter zu seiner Hand. Fest umschloss ich seine Finger, die nicht mithilfe eines Clips verkabelt waren.
Ich ließ mich am Bettende nieder und beobachtete ihn. Sein Brustkorb hob und senkte sich. Leichtes Schnaufen ging von ihm aus. Abermals kämpfte ich mit den Tränen, zerquetschte beinahe seine Finger. Ich wies mir die Schuld zu. Wäre ich auf dem Schiff gewesen, wäre dies nie passiert. Alles war meine Schuld. Ich war sein Schutzengel, ich hätte ihn besser beschützen müssen.
Lange saß ich da, guckte ihn an. Keinen Millimeter rührte er sich. Schlief. Als die Mittagssonne anbrach, richtete ich mich auf. Jeglicher Knochen knackste. Neben dem Kopfanfang schritt ich, musterte ihn. Er war unbeschreiblich schön. Zu Jonah beugte ich mich hinunter und hauchte einen Kuss auf seine Wange. Vielleicht täuschte ich mich, aber ich dachte, ich hätte seine Lider zucken gesehen.

The Pirate's PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt