Ep 29 - Seong Hwa

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Eine Weile starrte ich in seine dunkelbraunen Augen, schüttelte schließlich den Kopf. Aus dem Rucksack kramte ich die schwarze Mappe. Demonstrativ hielt ich sie in die Luft.
>> Die hattest du mir gegeben <<, erwiderte ich auf seinen fragenden Blick hin. >> Ich sollte sie an Jack weitergeben. <<
Wissend nickte er.
>> Von wem hast du sie? <<, fragte ich.
>> Isaac << Azrael schien, meinen Argwohn im Gesicht abzulesen. >> Er ist vollkommen in Ordnung und steht auf unserer Seite. <<
>> Aber- <<
>> Er hat keinerlei Kontakt zu seiner Mutter <<, würgte er mich ab. >> Seine dämonische Seite zeigt er nur, wenn er sauer wird. <<
Eingehend musterte ich meinen langjährigen Freund.
>> Du traust mir nicht? <<
Ich zuckte die Achseln.
>> Dir schon, Isaac nicht <<
Er schnaufte, was so viel wie ein Gut, dann ist es so bedeutete.
Ich haderte, nachzufragen, ob er wusste, was der Inhalt der Mappe war. Allerdings kam er mir erneut zuvor.
>> Ich hab nicht reingeschaut. Sah auch nicht die Notwendigkeit, weil es für Jack war. <<
Während ich nickte, steckte ich die Mappe zurück. Eine andere Frage nagte an mir, seit dem ich Jacks Geschichte über die Rettungsmission meiner Freunde gehört hatte.
>> Warum hatte Min Gi deinen Ring? <<
An seinem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass ihm die Frage unangenehm war. Dennoch verstärkte ich mein Nachbohren, in dem ich eine Augenbraue anhob. Azrael fühlte sich sichtlich unwohl, da er nun meinen Blick mied. Aber das tat er immer; er verabscheute Konfrontation.
>> Ich war im Totenreich <<, begann er. Zwar guckte er mich an, aber er blickte mir nicht in die Augen. Vermutlich konzentrierte er sich auf meine Nase. >> Ich hatte eine Seele hinübergebracht, als mir aufgefallen war, dass die Tür zum Schleuserbunker einen Spalt geöffnet- <<
>> Schleuserbunker? <<
>> Ich bin reingegangen <<, fuhr er unbeirrt meiner Frage fort. >> Die fünf lagen bewegungsunfähig und verletzt dort rum, niemand war da. Es war unheimlich schwer, sie irgendwie wach zu kriegen. << Nervös guckte er sich um. >> Ich wusste, dass sie Sterbliche waren. Dann hatte ich sie nach oben gebracht und mir war als Erstes der Hafen eingefallen, weil Jack öfter dort herumfährt. Unmöglich konnte ich ewig bleiben, weil ich noch Sachen erledigen musste, und hatte Min Gi schnell den Ring zugesteckt, um mich zu rufen, falls sie in Gefahr gerieten. <<
Langsam nickte ich. Es klang plausibel und Azrael machte auf mich nicht den Eindruck, als würde er lügen. Hoffentlich verschätzte ich mich nicht. Jacks Worte liefen mir nach. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Wie konnte ich Jacks Worte mehr Glauben als meinen eigenen Gefühlen schenken? Schließlich kannte ich Azrael schon Jahrhunderte.
Kurz angebunden verabschiedeten wir uns, was lediglich aus einer Umarmung und sachtem Tätscheln bestand.
Der Weg zum Pub stellte sich anstrengender an als gedacht. Kaum besaß ich ausreichend Kondition, um geradeaus zu laufen. Mir fehlte die Puste. Vor der Tür des Pubs musste ich eine Verschnaufpause einlegen.
Nicht annähernd fühlte es sich an, als wäre ein ganzer Tag verstrichen. Unmöglich war dies der Fall. Dennoch bewies ein Blick auf mein Handy, dass der nächste Tag schon längst angebrochen war. 21:43.
Sachte drückte ich die Klinke hinunter und eilte - ein wenig froh darüber, dass Guss nicht am Tresen stand, der mich hätte aufhalten können - in den hinteren Teil des Pubs. In derselben Position, wie ich sie verlassen hatte, saßen meine Freunde um den Tisch. Worüber ich mich ärgerte, wusste ich nicht. Dass sie sich meiner indirekten Anweisung widersprochen hatten? Dass ich so lange gebraucht und sie unnötig in Gefahr gebracht hatte?
Vor Erschöpfung ließ ich mich neben Jong Ho auf der Bank nieder. Mir blieb die Luft weg, als hätte ich einen Marathon hinter mich gebracht. Die Strecke zwischen dem Pub und meinem Apartment maß nicht mal zwei Kilometer. Irgendwas lief ordentlich schief. Sogar Seth bemerkte, dass etwas nicht mit mir stimmte, da er mich aus besorgten Augen musterte. San guckte mich mit demselben Ausdruck an.
>> Warum seid ihr noch hier? <<, lenkte ich ab.
>> Sie wollten nicht ohne dich gehen <<, erwiderte Seth. >> Sie trauen mir nicht. <<
Im Augenwinkel fiel mir Jong Hos Gesichtsausdruck auf, der wahrlich nach Verachtung schrie. Langsam nickte ich.
>> Wir sollten verschwinden <<, sagte ich. >> Ich mache mir Sorgen um Quinn. << Ich guckte mich in der Runde um, vermisste... >> Und Alec <<
Um aufzustehen, musste ich mich anstrengen. Allein meine Finger zu bewegen, war eine Qual.
Nur gemächlich folgten sie meiner Anweisung. Woo Young klammerte sich an Sans Oberarm. Genauso Min Gi, der keinen Zentimeter von Yun Ho wich. Jong Ho machte als Einziger den Eindruck, als würde ihn nichts aus der Ruhe bringen. Zumindest auf den ersten Blick. Unermüdlich musterte er meine Waffen.
Zusammen mit Seth führte ich die Truppe hinunter in den Keller, welcher eher einer Rumpelkammer glich. Zwischen verstaubten Bierkasten-Türmen, Sommergarnituren und zerschlissenen Sitzpolstern versteckte sich eine Tür, die lediglich von einem Steinblock offengehalten wurde. Der minimale Lichtspalt tauchte den Keller in ein unheimliche Atmosphäre. Schauriger wurde es, wenn man zur Decke sah. Totenschädel, alte Knochen und blutrote Flecke schmückten diese.
Neben mir hörte ich Min Gis Wimmern, gefolgt von einer Reihe an Shhhs, die Yun Ho von sich gab. Wenn ich nicht schon öfter hier unten das Portal genutzt hätte, würde es mir ähnlich ergehen. Viele Gräueltaten hatte ich bereits miterlebt, dennoch gruselte es mir noch immer vor diesem Keller. Vermutlich lag es an der Ungewissheit. Guss hatte mir nie verraten, warum in der Decke beziehungsweise Fußboden Knochen steckten. Allein die Vorstellung brachte mich zum Zittern.
Seth handelte als Erstes und drückte die Tür auf. Hinter dieser erstreckte sich ein stockdüsterer Gang, der tiefer ins Erdreich führte. Der Geruch von Moder und Verwesung stieg mir in die Nase. Jegliche Härchen, die sich an meinem Körper befanden, stellten sich auf. Es erinnerte mich ans Totenreich. Der Ort, an dem ich nichts verloren hatte. Meine Seele war zu rein.
Widerwillig folgte ich Seth, der mit seiner Handytaschenlampe den Weg immerhin ein Stück erhellte. Zur Kontrolle, dass uns jeder folgte, warf ich einen kurzen Blick über meine Schulter und erhaschte im Augenwinkel San und Woo Young. Dicht hinter ihnen folgte Jong Ho. Aber- Ich vermisste Min Gi und Yun Ho. Bereits ereilten mich tragische Szenen. Soldaten waren uns gefolgt, die beide gekidnappt hatten. Lucifer hatte uns aufgespürt und wollte uns trennen, sodass wir ihm noch ausgelieferter waren. Jemand hatte sich verletzt.
Unvermittelt blieb ich stehen, weshalb Woo Young in mich hineinlief. Rechtzeitig fing ich ihn auf, San half mir, der ihn an der Taille packte. Auch Seths Schritte waren verstummt und er leuchtete hinauf.
Ein markerschütterndes Wimmern echote von den nackten Wänden. Bis es mich erreichte, klang es nach einem schrecklichen Ton.
>> Nein <<, hallte es durch den engen Raum, gefolgt von mehreren Schluchzern. >> Ich will- dort nicht- runter. <<
>> Ich bin bei dir, Min Gi <<, hörte ich Yun Ho. >> Nimm meine Hand. <<
Stille, die lediglich von Min Gis schauderhaftem Heulen unterbrochen wurde, herrschte. Minutenlang starrte ich hoch in die Dunkelheit, wo ich nur schemenhaft zwei Silhouetten ausmachte. Ich wusste nicht, wie Yun Ho ihn dazu brachte, aber irgendwann setzten sich beide in Bewegung. Ihre Schritte hallten gespenstisch durch den Gang. Erst wandte ich mich ab, als sie zu uns aufschlossen. Das knappe Licht, welches Min Gis Gesicht erreichte, enthüllte seine knallroten Wangen und die tränenverschmierten Augen. In meinem Magen rumorte es. Ich wies mir die Schuld zu. Hätte ich sie nicht kennengelernt, müsste Min Gi nicht diese Tortur erleiden.
Bilder blitzten in der Geschwindigkeit eines Tornados vor meinen Augen auf, was mich dazu zwang, diese für einen Moment zu schließen. Zwar war die Abfolge durch die Schnelligkeit kaum erkennbar, aber eine Person tauchte immer wieder auf. Quinn.
>> Elo? <<, hörte ich vor mir.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich saß. Schweiß rinn mir die Stirn bis zu den Schläfen entlang, am gesamten Köper zitterte ich. Nicht jetzt, nicht jetzt. Kopfschmerzen plagten mich. Ich flehte meinen Körper an, nicht hier zu versagen. Umgeben von Nichts als Dunkelheit. Möglicherweise war ich nicht allein, aber ich wollte ihnen nicht zur Last fallen. Vielmehr sollte ich für sie sorgen. Nicht umgekehrt.
Ich wusste nicht, wie ich es anstellte, aber ich stemmte mich auf. Besorgt musterte mich Seth, den Mund bereits geöffnet, als wollte er etwas sagen, aber er ließ davon und kehrte mir paar Sekunden später den Rücken zu.
Im Schneckentempo kroch ich die Steinstufen hinunter. Mir kam es eine Ewigkeit vor, bis wir eine Holztür erreichten, die mit einem schweren Hängeschloss verriegelt war. Kurz schwenkte Seth seinen Finger und das Schloss fiel aus seiner Verankerung.
>> Wow <<, hörte ich San hinter mir.
Kurz blickte ich mich um, aber meine Augen verharrten nicht bei ihm, sondern ergriffen Min Gi. Beinahe zerquetschte dieser Yun Hos Hand. Nach wie vor waren seine Wangen gerötet und Tränen quollen aus seinen Augen. Schnell riss ich mich von ihm los, bevor mich meine Schuldgefühle übermannten.
Im Gegensatz zum Gang war der Raum hinter der Holztür in ein fluoreszierendes Licht getaucht. Die Quelle dessen war das Portal, welches inmitten des Raums zwischen zwei Steintürmen bläulich waberte.
Seth schritt durch den Türrahmen, benutzte die Stufen. Diese führten halbkreisförmig hinunter zum Portal.
Meinen Freunden hielt ich die Tür auf, bis Min Gi und Yun Ho hindurchgingen. Aus Reflex wollte ich Ersteren umarmen, aber er wich von mir. Etwas schnürte meinen Brustkorb zu. Erschwert bekam ich Luft. Ich konnte es ihm nicht verübeln, gerade gab ich vermutlich nicht den vertrauensvollsten Blick ab. Hochdekoriert mit Waffen. Eventuell glaubte er noch, ich würde lügen. Hätte ihnen seit Jahren etwas vorgespielt. Ich sollte es nicht zu persönlich nehmen, dennoch wurde mir unheimlich schwer ums Herz.
>> Warte! <<, rief ich, bevor Seth durchs Portal rennen konnte. Eilig stürzte ich die Stufen hinunter. Außer Atem kam ich vor ihm zum Stehen. >> Ich gehe zuerst. <<
Mit seinen Händen machte er eine Geste, dass er mich vorließ. Seitlich positionierte ich mich und visierte die blauen, fluoreszierenden Nebelschwaden. Ich rannte hindurch. Schnappte nach Luft, als mich der kühle Nebel umschloss. Kaum einen Wimpernaufschlag später fand ich mich auf einem Betonvorsprung im dunklen Haus wider, das ich vor rund drei Wochen schon mal betreten hatte.
Auf dem Absatz neben der Leiter lag ein Handy, in dessen Hülle ein Polaroid steckte. Ich hob es auf und aktivierte den Bildschirm. Quinns.

The Pirate's PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt