Ep 24 - Hong Joong

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Gegenwart, zwei Monate zuvor

Dicht beugte ich mich übers Grafiktablet. Noch paar Pinselstriche fügte ich hinzu, dann lächelte mich Webtoon-Jonah verführerisch an. Nach wie vor war es befremdlich, Sexszenen für den Manhwa anzufertigen. Daran war ich selbst Schuld, den BoysLove-Anteil hatte ich in eigener Regie hinzugefügt. Jetzt wollte ich die Leserschaft nicht enttäuschen; die bekamen nicht genug vom Lovetriangle zwischen Jonah, Elo und - den nicht existenten - Toby. Manche Episoden handelten ausschließlich davon, was andere Leser störten, den der Fantasyplot mehr interessierte. Egal, was ich veröffentlichte, nicht jedem konnte ich es recht machen. Anfänglich hatte es mich gekränkt, wenn ich negative Kommentare erhielt; mittlerweile hatten wir ein Management, das sich um Social Media kümmerte. Verrückt, was wir innerhalb von zwei Jahren auf die Beine gestellt hatten. Natürlich kam es nicht von heute auf morgen; ein halbes Jahr hatte ich auf Canvas veröffentlicht, bis die Story ins offizielle Programm aufgenommen wurde. Dann ging alles durch die Decke. Die täglichen Leser stiegen aufs Fünffache an, die Leuten verlangten immer mehr. Anime und Real-Life Serien wurden verfilmt. Jeden Abend waren wir auf Conventions, hatten Fansigns und Events. Wenn ich mal Freizeit hatte, zeichnete ich. Über fünf Stunden Schlaf freute ich mich mittlerweile. Etwas Positives hatte das Ganze, wir konnten uns ein Haus leisten, ohne meinem Onkel auf der Tasche zu hängen.
Einen großen Schluck Kaffee würgte ich hinunter, der war arschkalt. Ich blickte auf die Wanduhr. 04:56. Meine Augen wanderten zu Jay, der mir gegenüber am Tisch saß. Den Kopf stützte er auf seinen Unterarmen und schlief. Leise schnarchte er. Mit der rechten Hand umklammerte er noch immer seinen Stift. Ohne einen Mucks zu machen, zerrte ich diesen aus seiner Faust.
Lange blickte ich auf meine Zeichnung, in welcher Manhwa-Jonah halb nackt vor seinem Bett stand. Auf diesem saß Toby. Einen Slide später lauschte Elo an der Tür und schäumte vor Eifersucht. Wieso auch immer hatte ich die Realität umgedreht; Elo war nie eifersüchtig gewesen. Ich war derjenige, der bereits am Kochen war, wenn irgendjemand Elo lediglich schief ansah. Vielleicht wollte ich mich zum ersten Mal begehrenswert fühlen- aus Elos Sicht.
Elo. Wie sehr ich ihn vermisste. Obwohl wir schon lange in Seoul lebten und oft unterwegs waren, hatte ich ihn nie gesucht. Am Anfang hatte ich stundenlang vor der Uni gecampt und ihn beobachtet. Aber angesprochen hatte ich ihn nicht, mit seinen neuen Freunden hatte er so glücklich gewirkt. Seinem neu gewonnenen Glück wollte ich nicht im Wege stehen. Wenn wir nicht beide glücklich werden konnten, sollte es immerhin ihm vergönnt sein.
Dass ich die Augen vor der Realität verschloss, war mir bewusst. Meine Aufgabe, Cromer an seinen rechtmäßigen Platz zu bringen, habe ich seit dem Angriff auf unser Schiff nicht mehr vorangetrieben. Das Problem begann damit, dass wir nicht wussten, wo er versteckt war. Dazu hatte ich kein Schiff mehr. Ganz zu schweigen von der Karte. Ohne diese fand ich den schwarzen Mond nicht. Es waren Ausreden, das wusste ich. Eigentlich sollte es nun meine Aufgabe sein, an ein neues Schiff zu kommen, die Karte erneut zu zeichnen... aber ich wollte nicht. Zum ersten Mal, seitdem ich auf der Welt war, hatte ich das Gefühl zu leben, wie ich wollte. Ich hatte das Gefühl, ich konnte mein Leben selbst bestimmen. Dazu konnte ich meiner Leidenschaft dem Zeichnen nachgehen. Ich machte Geld mit meinem Hobby. Wer hatte schon das Glück? Wenigstens noch ein bisschen wollte ich die Zeit ausnutzen. Noch so lange, bis Alec von seiner Reise zurückkehrte. Er durchkämmte die ganze Welt, um seinen jüngeren Bruder zu finden, der seit er ein Kleinkind war, verschwunden war. Niemand wusste, was mit ihm geschehen war. Nur an eine Sache erinnerte sich Alec; zwei Männer hatten Quinn aus deren Garten gezerrt und in einen Pick-Up geschleift. Zwar hatten sie nach dem Kennzeichen gefahndet, aber das Auto hatte verwahrlost an einem Rastplatz gestanden. Quinns DNA und Blutspuren hatten sie gesammelt und waren schnell davon ausgegangen, dass die Männer ihn umgebracht hatten. Eine Leiche hatten sie nie in der Umgebung gefunden. Alec glaubte nicht an einen Mord, weshalb er es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hatte, seinen Bruder aufzuspüren. Egal, wie viel Zeit es ihn kostete.
Innerlich seufzte ich. Einesteils hoffte ich inständig, dass Alec seinen Bruder fand, andererseits wollte ich das nicht. Aus reinem Egoismus. Momentan lebte ich in meiner Heilen-Welt-Bubble, die ich so schnell nicht mehr verlassen wollte.

Halb schlief ich, als ich mit Jay nach der Lesung im Auto saß. Ich hatte knapp vier Stunden geschlafen. Dazu strengten mich soziale Events an.
Gedankenverloren starrte Jay auf sein Handy, tippte mit dem Finger gegen den Rand. Entweder wartete er auf eine Rückmeldung oder er wusste nicht, was er schreiben sollte. Ich schielte zum offenen Chat und entzifferte Alec als Bezeichnung. Um meinen Brustbereich wurde es schwer, als würde jemand Seile um mich schnüren. Ein Kribbeln, das ich schnell einem Anflug von Panik zuordnen konnte, nistete sich in meinem Magen ein. Gemischt mit Schuldgefühlen. Ich wusste, wie sehr Alec unterm Verlust seines Bruders litt, aber ich wollte nicht, dass mein bisheriges Lebensgefühl endete.
Nervös spielte ich mit meinen Fingern, erschreckte mich tierisch, als Jay unvermittelt das Handydisplay sperrte und das Gerät auf die Rückbank pfefferte. Den Kopf wandte er mir zu und starrte mich an. Seine roten Locken kringelten seine Stirn hinunter, schlenkerten bei der minimalsten Bewegung. Leichte Beunruhigung setzte ein, da ich Angst bekam, er könnte meine Gedanken lesen. Seit mehr als zehn Jahren kannten wir uns, hatten vieles zusammen durchgestanden. Wenn einer wusste, wie es innerlich in mir aussah, dann Jay.
>> Willst du noch was essen? <<, fragte er. Erleichterung breitete sich in mir aus. Anscheinend sah man mir den Unmut im Gesicht an, denn Jay kniff die Augen zusammen. >> Alles oke? <<
Schnell nickte ich, zerrte mein Handy aus der Hosentasche. Über Maps suchte ich nach einem Restaurant. Zum größten Teil in der Hoffnung, es lenkte Jay von mir ab, aber mit Sicherheit durchschaute er mich bereits. Seine Körperspannung verriet ihn.
>> Jonah <<, seufzte er. >> Du weißt, wir können nicht ewig hier bleiben und einen auf Manhwa-Zeichner machen. << Zwar hatte sein Seufzen mir schon angekündigt, dass eine Moralpredigt folgte, dennoch traf er das Thema ein bisschen zu gut, weshalb sich ein komisches Gefühl von Ertapptwerden in mir auftat. >> Du kannst deine Augen nicht für immer vor der Wahrheit verschließen. << Die Hände schloss er ums Lenkrad, nachdem er den Motor gestartet hatte. >> Unser Land liegt vermutlich mittlerweile in Schutt und Asche, sie warten auf ihren großen Retter. Es ist keine Storyline, Jonah, Lucifer und Zacharias haben Gamma komplett unter ihrer Kontrolle. <<
Unterdessen scherte Jay auf die Straße ein und mischte sich in den Verkehr.
Ich traute mich nicht, ihn anzusehen. Seine Tonlage klang sauer. Mein schlechtes Gewissen war untragbar. Jeden ließ ich im Stich, aus purem Egoismus. Einen letzten Versuch, mein Gewissen zu erleichtern, startete ich.
>> Aber- <<
>> Ich weiß, wir haben kein Schiff, keine Karte, keine Mannschaft und wo sich Cromer befindet, wissen wir auch nicht. Mir ist das auch klar. Aber das sagst du seit drei Jahren. In der Zeit hätten wir alles aufholen können, anstatt hier Trübsal zu blasen. << Mit einem kurzen Seitenblick bedachte er mich. >> Zuerst hatten wir dir den Gefallen getan wegen Elo, aber- Du hattest auch nie versucht, ihn nochmal kennenzulernen. <<
Ausschließlich beäugte ich meine Finger, die ich angestrengt miteinander verhakte. Die unausgesprochene Wahrheit schwaderte im stickigen Auto. Mir war danach, das Fenster zu öffnen, um alles wegzudrängen. Wie ich es seit Jahren tat; alles drängte ich von mir weg. Nun war es unausweichlich. Jay würde nicht mehr Ruhe geben. Ich hatte meine Deadline erreicht, ich musste handeln.
>> Wie soll ich- <<
An einer Seitenstraße parkte Jay, seine grünen Augen starrten mich an.
>> Jonah, du bist der Captain. Es ist deine Verantwortung, wir können dir nicht alles vorkauen, was du tun sollst. <<
Ich schluckte, nickte schließlich doch.

The Pirate's PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt