Fünf Wochen später.
Im Spiegel begutachtete ich mich in meiner Uniform. Weißes Hemd, dunkelblaue Krawatte und ebenso dunkelblaue Chino. Darüber noch ein Cape aus Tweed mit meinem Namensanstecker. Q. Barron.
Am Anfang war es komisch, mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt. Kaum Leute mochten mich. Alle sahen nur die mächtige Familien-Dynastie, die hinter dem Namen steckte. Beim Mittagessen mied mich jeder. Anfänglich war es angenehm, da ich meine Ruhe hatte. Doch jetzt, gut einen Monat später, fühlte ich mich einsam.
Vom Bürostuhl hievte ich meinen Rucksack und sattelte diesen. Stieg die Treppen hinunter in den Ess- und Wohnbereich, in welchem mir Einstein hinterhertapste.
>> Gleich <<, sagte ich auf sein hungriges Miauen hin.
Mit paar Brocken seines Futters füllte ich den Napf auf und streichelte ihn. Solange, bis er nach mir schnappte. Natürlich, ich hatte meine Pflicht erfüllt. Wozu jetzt noch Streicheleinheiten?
Aus dem Kühlschrank stahl ich mir paar Snacks. Verließ anschließend das Haus. Während ich die Hauseinfahrt hinunterlief, packte mich erneut, wie jeden Morgen, Panik. Vor meinem inneren Auge spielte sich die Szene ab, als Lucifers Leute mich aus dem Garten zerrten. Hinein in ihren dunklen Van. Über meinen Rücken lief ein eiskalter Schauer, dass es mich schüttelte. Zwar besuchte ich meinen Therapeuten wöchentlich, doch bisher konnten wir nur mäßige Fortschritte erzielen. Trotz, dass er sagte, er obliege der Schweigepflicht, konnte ich nicht ungezwungen mit ihm über alles reden. Tag für Tag wurde es anstrengender. So schlimm, dass ich mich am Wochenende zu Hause verkroch.
Mehrmals schaute ich mich in der Straße um, bevor ich die Einfahrt verließ. Ohne Musik überlebte ich das Stück bis zur Bushaltestelle nicht. Von dieser trennten mich nicht mal zehn Minuten.
Auf der Bank im Unterstand nahm ich Platz und beobachtete die vorbeiziehenden Autos. War glücklich, als ich andere Studenten vom Sehen erkannte. Nun war ich nicht mehr allein. Obwohl ich wusste, dass deren Männer skrupellos waren, fühlte ich mich sicherer, wenn ich von anderen umgeben war. Außerdem fiel ich in der Menge mit der Uniform kaum auf.
In eine der hintersten Reihen sank ich auf einen Platz. Guckte aus dem Fenster, ehe ich die Augen schloss. Mal wieder trifteten meine Gedanken zu meiner Vergangenheit, die sich im Eiltempo durchspielte, bis sie bei Jong Ho landeten.
Ein klärendes Gespräch, ob wir uns nun dateten, fehlte nach wie vor. Wenn ich ihm schrieb, antwortete er meist erst drei Stunden später. Stimmte, trotz Uni, Lernen und Aushelfen in Dads Laden hatte ich nach wie vor mehr Zeit als er. Schließlich trainierten sie tagtäglich für den bevorstehenden Krieg. Dennoch redete mir mein nicht existentes Selbstbewusstsein ein, dass ich für ihn nur ein kleiner Flirt oder Kick gewesen war, weil er mich als den hilflosen Typen gesehen hatte, der sich stets in den Fängen seiner ehemaligen Freier befand.
An den Oberarmen klammerte ich mich und versuchte, meine Gedanken auszublenden. Gelang es mir? Natürlich nicht. Bis der Bus vor der Uni hielt, sogen mich meine Überlegungen in einen dunklen Strudel. Begleiteten mich hinein in die Uni, durch den Gang und bis kurz vor meinem Spind. Das Erste, was mich aktiv ablenkte, war die Zahlenkombi, welche ich einstellte.
Drei Bücher zerrte ich hinaus, die ich für den heutigen Vormittag benötigte. Gleichzeitig positiv und negativ; die Nachmittagskurse fielen aus, allerdings musste ich dafür die Mittagsschicht in der Apotheke übernehmen. Mein Dad tat alles, dass ich sein Nachfolger wurde, doch das Einzige, was mich momentan beschäftigte, war, wie ich wieder an Jong Hos Aufmerksamkeit gelangte.
Den Treppen folgte ich ins Untergeschoss und betrat den zweiten Raum rechts, welcher für Herstellung für Heilmedizin vorgesehen war. Setzte mich an meinen Platz. Vom Aufbau des Gebäudes ähnelte die Uni mehr der High School, die ich in Seoul besucht hatte.
Zum ersten Mal packte ich meine AirPods ins Ladecase. Eher wünschte ich mir, das Noise-Canceling anzuschalten, als sich mein Banknachbar neben mir niederließ. Seit meinem ersten Schultag flirtete dieser aufs Heftigste mit mir. Bereits öfter hatte ich mit dem Gedanken gespielt, Jong Ho davon zu erzählen. Vielleicht riss es ihn in die Realität zurück, dass ich nicht nur für ihn interessant war.
Von der Seite guckte mich Jeremy an. Legte seine Hand in der Nähe meiner ab und stupste meinen kleinen Finger an. Das tat er jeden Tag, so dass ich zu ihm schaute.
>> Was? <<
>> Heute wohl eher der Eisprinz <<, triezte er mich.
Ich ignorierte ihn. Mir fehlte der Sinn nach einem sarkastischen Duell.
>> Kay <<, dehnte er, >> Verstehe <<
Immerhin schwieg er den Rest der Stunde, was leider nicht bedeutete, dass er mich den Rest des Vormittags mit seiner Anwesenheit in Ruhe ließ. Blieb ständig an meiner Seite, trug meine Bücher.
Bevor ich diese wieder im Spind verstaute, schlug er die Klappe zu. Erschrocken schaute ich zu ihm hoch.
>> Quinn?! << Sein schmollender Ausdruck erinnerte mich an San. >> Hör auf, mich zu ignorieren. <<
>> Was willst du denn? <<, erwiderte ich im selben quengligen Ton. Wollte die Spindtür öffnen, aber er verdeckte das Zahlenschloss. Das erste Mal an dem Tag lächelte Jeremy.
>> Dich <<
Für einen Moment schloss ich die Lider. Klippte meinen Pony oberhalb des Ohrs mithilfe einer Spange zur Seite.
>> Ich find dich süß und witzig <<, fuhr er fort. Seine Augen zuckten über mein Gesicht. >> Sag mir nicht, du hast nicht gemerkt, dass ich mit dir flirte? <<
>> Doch <<
>> Aber? <<
>> Ich habe kein Interesse. <<
>> Stehst du auf Frauen? <<
Paar Mal blinzelte ich ihn an. Hatte ich die Vibes, dass ich schwul war? Vom Schloss scheuchte ich seine Hand weg. Steckte meine Bücher eins nach dem anderen hinein.
>> Ich hab einen Crush auf jemanden, wir sind uns irgendwie näher gekommen, aber er macht sich rar und wir haben nie beschlossen, dass wir uns daten. Deswegen habe ich kein Interesse. << Mit hochgezogenen Brauen bedachte ich ihn. >> Verstanden? <<
Wieder guckte Jeremy wie ein beleidigtes Kind drein. Dann grinste er plötzlich.
>> Theoretisch <<, begann dieser. Ich ahnte Schlimmes. >> Wenn du keinen Crush hättest, würdest du mich dann daten? Und, wenn du - theoretisch - länger Zeit mit mir verbringen würdest, würdest du mich dann daten- <<
>> Jeremy <<, unterbrach ich ihn. >> Nein <<
Einen letzten Blick schenkte ich ihm, ehe ich mich abwandte.Durch den Hintereingang betrat ich die Apotheke. Nahm die Holztreppe hoch zum Pausenraum, wo mein Dad am PC saß und irgendwas tippte. Vermutlich dokumentierte er die Einnahmen des Vormittags.
>> Hi, Quinnie <<, grüßte er.
>> Hi <<
Aufs Sofa ließ ich mich plumpsen. Lockerte die Krawatte um meinen Hals, bis ich sie auszog. Einen kurzen Blick warf mein Dad über die Schulter, musterte mich.
>> Alles gut? <<
Nein, trotzdem nickte ich.
Im Stuhl wirbelte er herum und reichte mir seinen Ausdruck. Wie ich vermutet hatte; eine Auflistung mit Waren, die er heute bereits verkauft hatte.
>> Musst du wirklich noch einkaufen? <<, fragte ich. Ungern wollte ich allein im Halbdunkel nach Hause gehen. >> Kann Mum nicht- <<
>> Mummy hat ein Notfall im Krankenhaus und kann erst nach Hause, wenn die OP überstanden ist. << Ernst musterte er mich, obwohl etwas Sanftes in seinen Augen lag. >> Quinn, du schaffst es allein in die Uni. Unser Haus ist rund fünfzehn Minuten entfernt. Ich bin mir sicher, das schaffst du auch. Und wenn dir irgendetwas komisch vorkommt, dann ruf mich an. <<
Ich nickte. Dieses Gespräch hatten wir gestern Abend schon mal geführt. Dennoch wollte ich nicht. Allein der Gedanke, ich müsste den Weg ohne Dad laufen, löste pure Panik in mir aus.
Vor der Brust verschränkte ich die Arme, um meine zitternden Hände zu verbergen.
>> Außerdem kommen Alec und Jonah zum Essen <<, fuhr er fort, >> und vier deiner Freunde. <<
Sofort hüpfte mein Herz. Beinahe zersprang es beim Gedanken an Jong Ho. Falls er unter den Vier war. Ich hoffte es. Dringend wollte ich ihn sehen.
Sobald Dad verschwand, begann der Horror. Kaum hatte ich Zeit, mir meine Schürze umzulegen. Es rentierte sich auch nicht, zwischendurch im Pausenraum ein, zwei Minuten zu verschnaufen. Gefühlt jede Sekunde betrat ein neuer Kunde die Apotheke. Ich war heilfroh, als ich Schränke und Bedienoberflächen endlich zum Schluss aufräumte. Putzte. Neu ausstatte.
Im Pausenraum packte ich meinen Unikram zusammen. Kehrte zurück und drehte das Schild an der Ladentür auf Closed.
Bevor ich die Klinke hinunterdrückte, haderte ich. Angst überkam mich. Genauso Flashbacks, die mich dazu brachten, stehenzubleiben. Bis in den Hals schlug mein Herz.
Nein, ich musste nach Hause, sagte ich mir auf, bis ich es schaffte, mich zu bewegen. Zuerst setzte ich meine AirPods ein, suchte nach einem Podcast. Dann verließ ich die Apotheke und stieß auf der ersten Stufe mit Jong Ho zusammen.
DU LIEST GERADE
The Pirate's Prince
FanfictionDer 24-Jährige Park Seong Hwa lebt sein gewöhnliches Studentenleben, bis er auf einer abendlichen Lesung den bekannten Manhwa-Zeichner Kim Hong Joong kennenlernt. Sofort verspürt Seong Hwa eine magische Anziehungskraft zu ihm, als kennen sich beide...