Ep 32 - Seong Hwa

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Tief bohrte sich Sans Ellenbogen in meine Rippen, nahm mir dadurch die Luft zum Atmen. Trotzdem versuchte ich, beide zu stützen. Sonst würden sie runterfallen und sich verletzen. Nach wie vor rappelte der Aufzug. Und das würde noch eine Weile andauern.
Weitere zehn Minuten quälte ich mich durch den Schmerz, bis das Rütteln aussetzte und der Lift anhielt. Langsam stoben die Türen auseinander, begleitet von einem piepsigen Pling. Vom Tonband ertönte die Stockwerknummer.
Zuerst richtete sich Woo Young auf, dann San. Zweiter half mir beim Aufstehen. Automatisch rieb ich mir die Rippen, wobei mein Blick zu Jong Ho glitt. Durchs künstliche Licht wirkte sein Gesicht noch kränklicher. Erneut packte ich ihn am Arm und unterstützte ihn beim Laufen.
Im äußersten Augenwinkel erhaschte ich einen dunklen Haarschopf, welcher zu einem hohen, langen Zopf gebunden war. Der Moment war zu kurz gewesen, um mit Gewissheit zu sagen, dass es Grace war. Insbesondere, da mich ein Tippen auf meine linke Schulter ablenkte. Erwartungsvoll sah ich in die Runde, bis ich hinter mir ein leises Kichern vernahm. Ohne mich umzudrehen, wusste ich, wer es war. Ich hatte mich nicht getäuscht.
>> Dass du darauf noch immer reinfällst. << Halb drehte ich mich und eine junge Frau trat in mein Sichtfeld. Grace. >> Irgendwie cute und- << Leicht legte sie den Kopf schief, lächelte amüsiert. >> Dümmlich. <<
Am liebsten hätte ich ihr gegen den Arm geboxt, stattdessen nahm ich ich sie in eine Umarmung. Ihre Hände spürte ich am Rücken. Ehe sie von mir wich, schritt sie hinüber zu Jong Ho. Sorge spiegelte sich in ihrem elfenhaften Gesicht.
>> Ist dir schlecht? <<, fragte sie. Sanft streichelte sie über seinen Arm und winkte gleichzeitig einen Mann in Pflegerkleidung herbei. >> Bring ihn zu Niclas in die Notaufnahme. <<
Mit aller Vorsicht bugsierte der Pfleger Jong Ho in einen Rollstuhl. Fuhr ihn zum Ende des hellbeleuchteten Gangs. Nur zögerlich löste ich meine Augen von ihm. Jetzt musste ich mir keine Sorgen mehr machen. Bei Niclas war er in guten Händen. Dennoch fiel es mir schwer, loszulassen. Erst, als Grace erneut in mein Sichtfeld kroch, verblasste meine Sorge um Jong Ho. Ihr Blick wanderte von mir zu meinen Freunden.
>> Ihr seht auch nicht besser aus. << Sie verharrte bei Alec und Quinn. >> Was ist passiert? <<
Während ich ihr die Gesamtsituation schilderte, führte sie uns zum Behandlungszimmer 6. Neben dem Rahmen prangte ein Türschild. Dr Prof Seong Hwa Park. Darunter Dr Prof Grace Campbell.
Mir wurde klar, dass mich der Name schon länger begleitete und ich diesen nicht erst in Seoul angenommen hatte. Dass ich nachdenklich wurde, fiel auch Grace auf.
>> Elo? <<
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte. Tat sie vermutlich bereits, da sie mich missmutig musterte. Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen. Grace konnte ich nichts vormachen. Dennoch beließ sie es dabei und schwieg. Öffnete die Tür, indem sie ihre ID gegen den Schließmechanismus der Klinke presste.
Meinen Freunden ordnete sie an, sich auf die zwei Liegen zu verteilen. Mit Wunddesinfektionsmittel, Creme und Verbände bewaffnet, tingelte Grace von Person zu Person. Redete ihnen ständig gut zu, dass es kurz wehtat. Unterdessen ließ ich mich am Schreibtisch nieder. Zur Deko hatte ich Bilder und zusammengesteckte Lego Figuren aufgestellt. Neben der Tastatur lag ein Buch. Ein Thriller. Irgendwo in der Mitte steckte das Lesezeichen. Schwach erinnerte ich mich, dass ich während der Nachtschichten oft gelesen hatte, wenn nicht viele Patienten zum Behandeln in der Notaufnahme gewesen waren. Oder für die kurzen Pausen zwischen den Visiten.
Auf einem der Fotos erkannte ich Jonah. Er saß am Strand und blickte aufs Meer. In meinem Magen zog sich etwas zusammen. Warum wies mein Gedächtnis so viele Lücken auf?
>> Für euch zwei <<, hörte ich Grace' Stimme, deutete auf Alec und Quinn. Sie steuerte die Tür an. >> Brauche ich eine andere Creme. Wäre zu Schade um eure schönen Gesichter. <<
Ein Luftzug entstand, als sich die Tür öffnete und schloss. Das Buch zerrte ich zu mir, schlug dieses beim Lesezeichen auf. In Aquarell war mein Ebenbild gezeichnet. Ich strich darüber und sah in der unteren Ecke ein verschlungenes H und J. Jonah. Wer anderes sollte es sonst gemalt haben?
Nochmals strich ich darüber und erinnerte mich genau, als er mir das Lesezeichen überreicht hatte. Wie ein Film spielte sich die Szene in meinem Kopf ab. Zusammen saßen wir im Coffee Shop. Nervös hatte er an seinem Strohhalm gekaut. Aber ich hatte sein Verhalten ignoriert und ihn nicht darauf angesprochen. Im Nachhinein war ich ziemlich fies gegenüber ihm gewesen. Etwas hatte er gefaselt, dass er gerne zeichnete und ich mich perfekt dafür eignete, also hatte er dies angefertigt. Eigentlich wollte ich es wegwerfen, um kein zu großes Verhältnis zu ihm aufbauen, aber ich hatte mich schlecht gefühlt, weil er bestimmt viel Zeit darin investiert hatte. Seit dem nutzte ich es bei jedem Buch, welches ich im Krankenhaus gelesen hatte.
Ein weiterer Luftzug kündigte Grace' Rückkehr an. Hinter ihr zerrte sie ein Wägelchen her, auf welchem mehre Döschen und Boxen standen. Mithilfe eines Pinsels betupfte sie zuerst Alecs und im Anschluss Quinns Gesicht.
Jegliche nostalgischen Gefühle übermannten mich. So sehr, dass ich am Kragen meines Rollis nestelte, da er sich plötzlich einengend anfühlte. Kaum bekam ich Luft. So ein Arschloch war ich zu Jonah gewesen. Dass er mich trotzdem gemocht hatte, verstand ich bis heute nicht. Viel wichtiger war, dass ich mich auf einmal an Vergängliches erinnerte. Mein Leben im Krankenhaus, als Arzt. Täglich bin ich ein- und ausgegangen. Wenige Stunden hatte ich in meinem Apartment mit Wohnen verbracht, nur um wieder hier an der Front zu stehen. Zwischendurch hatte ich mich um meine Schützlinge gekümmert. Vor meinem inneren Auge tauchte Quinn auf. Überall hatte ich nach ihm gesucht, schließlich gefunden und dann- Ein unkenntliches Bild kitzelte in meinem Gedächtnis, begleitet von einem genuschelten Hilferuf. Dasselbe Bild hatte ich im Delirium zum Schluss gesehen.
Meine Sicht schwand. Rutschte vom Stuhl. Gerade so fing ich mich auf, bevor Grace zu mir blickte. An den Armlehnen zerrte ich mich hoch, lenkte mich mit Jonahs Bild ab. Konzentrierte mich auf sein süßes Grinsen. Zwar war es noch nicht lange her, dass ich ihn gesehen hatte, aber ich vermisste ihn. Sein Geruch, seine Stimme. Alles an ihm.
>> So << Ein weiteres Mal riss mich Grace' Stimme aus den Gedanken. Meine Rettung, so kehrte ich in die Gegenwart zurück. >> Fürs Erste seid ihr versorgt, aber tragt diese Creme zwei Wochenlang jeden Morgen und Abend auf, dann müsste euer Gesicht aussehen wie zuvor. <<
An alle richtete sie, dass sie in der Mensa auf Jong Ho warten sollten. Ich stand auf, aber sie hielt mich an der Schulter zurück. Nahm Abstand, als Grace sich sicher war, ich würde sitzenbleiben. Ihr Blick verfinsterte sich.
>> Azrael meinte <<, begann sie. Innerlich fluchte ich. Ich wusste, worauf das hinauslief. >> Du hättest Probleme, dich zu erinnern? <<
Mit einem Schulterzucken spielte ich die Situation hinunter. Wie bereits zuvor wollte ich nicht, dass sie sich unnötig Sorgen machte.
>> Elo? << Strenge Züge nahmen ihr Gesicht an. >> Das ist Ernst, damit solltest du nicht zu leichtsinnig umgehen. << Ein kleines Fläschchen mit einem Pulver fischte sie aus ihrer Kitteltasche. >> Löse das in Wasser auf. Danach müsstest du dein Gedächtnis zurückerhalten. <<
Vor mir stellte sie die Flasche auf dem Tisch ab. Stumm nahm ich sie an mich, beobachtete die einzelnen Kügelchen. Erst, als ich Grace versprach, ich würde das Mittel einnehmen, wurde ihr Ausdruck weicher.
Vor der Brust verschränkte sie ihre Arme.
>> Ein Zauber? <<, sinnierte sie, >> Weshalb? <<
Viel zu ausgelaugt war ich, um mir darum Gedanken zu machen. Dennoch blickte ich zu ihr hoch, musterte sie interessiert. Zuckte schlussendlich doch die Achseln.
>> Überleg mal <<
Innerlich stöhnte ich auf. Sie gab nicht auf, trotzdem tat ich ihr den Gefallen. Dachte nach. Wieder glitten meine Gedanken zu Quinn. Aber warum? Stimmte schon. Es war seltsam, dass er als verschwunden galt und wir seit vier Jahren zusammen wohnten.
>> Worauf willst du hinaus? <<
>> Quinn <<, erwiderte sie. >> Für mich macht es keinen Sinn. Er wurde für tot erklärt und nun tauchst du mit ihm auf. <<
Etwas rumorte in meinem Magen. 2019. Vier Jahre. Wenn es jemand wusste, dann die Leute, mit denen ich zusammengearbeitet hatte.
>> Gracie? <<, fragte ich, >> Warum bin ich vor vier Jahren gegangen? <<
Ihre Stirn legte sich in Falten, ein Schulterzucken folgte.
>> Damals hattest du gesagt, du würdest eine Expedition machen. <<
>> Expedition? <<, wiederholte ich. >> Wieso- <<
Weiter kam ich nicht, denn die Tür wurde aufgedrückt. Sunny lugte hinein. Offensichtlich überrascht über meinen Besuch. Unsicher lachte er. Trat dennoch näher an uns heran. Eine gewisse Vertrautheit strahlte die Szene aus.
>> Was ist? <<, fragte Grace.
Egal, was es war, positive Nachrichten jedenfalls nicht. Sunnys Gesicht sprach Bände. Angst las ich in diesem.
>> Lucifer hat den Krieg erklärt. <<

The Pirate's PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt