Ep 10 - Seong Hwa

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Die Bushaltestelle grenzte am Stadtrand und wurde spärlich beleuchtet. Lediglich eine nackte Glühbirne baumelte von der Holzvertäfelung.
Am gesamten Körper zitterte ich. Nachdem ich aus dem Bus gestiegen war, hatte mich die kalte Luft erschlagen. Nun, da wir uns am Hafen befanden, wehte die Seeluft hinüber und verstärkte die Eiseskälte umso mehr.
Fest schlang ich beide Arme um meinen Oberkörper und versuchte, mich warm zu halten. Joongie ließ mich keine Sekunde aus den Augen, obwohl er mit Seth und Alec sprach. Natürlich wusste ich, dass Quinns Leben auf dem Scheideweg stand, aber ich war am Ende meiner Kräfte. Mir war kalt, meine Kopfschmerzen brachten mich beinahe um und mein Bauch schmerzte vor Hunger. Wie ich einen 1 1/2 Stündigen Marsch durchhalten sollte, konnte ausschließlich durch ein Wunder geschehen.
Sobald sich Alec und Joongie zum Telefonieren an den Rand absetzten, trat Seth neben mich. Bot mir an, mich in den Arm zu nehmen. Obwohl ich mir unsicher war, ging ich auf sein Angebot ein. Immerhin ein bisschen Wärme, welche er mir spenden konnte.
Aus der Ferne beäugte mich Joongie, als hätte ich einen Mord begannen. Dessen Augen, sein Ausdruck- Alles an diesem flößte mir Angst ein. Ruckartig löste dieser sich aus seiner Postion. Benötigte nichtmal fünf Schritte, um uns zu erreichen, und schubste Seth mit voller Wucht zur Seite. Er packte mein Handgelenk und zerrte mich in eine Umarmung. Prompt schlangen sich seine Arme um meine Taille.
>> Jonah <<, stöhnte Seth. >> Ich habe ihn nur- <<
>> Er ist mein Freund. <<
Ein Kribbeln startete in meinem Bauch. Spürte, wie mir Wärme in die Wangen kroch. Diese erhitzten umso mehr, als Joongies Fingerspitzen sich unter meinen Jeansbund gruben. Drückte mich dadurch dicht an sich. Innerlich quietschte ich. Sowas hatte ich bisher nur in mittelmäßigen Fanfictions gelesen.
>> In deinen Träumen <<, entgegnete Seth.
Ruckartig löste sich Joongie von mir. Begann partout zu zittern, da mich erneut die eisige Kälte umschloss.
>> Ich wusste, du willst was von ihm. <<
Mit zwei Schritten ging er auf Seth zu und packte ihn am Revers des Mantels. Zwei Mal musste Alec hinschauen, um sich zu vergewissern, was ablief. Halb telefonierend ging er zwischen beide und zerrte sie auseinander. Das Handy hielt er gegen die Brust.
>> Hört endlich auf <<, schnaufte er. >> Mein Bruder ist von Zacharias entführt; wir haben Besseres zu tun, als um Elos Aufmerksamkeit zu buhlen. <<
Ernst guckte er beide an, die ihm verdrossen nachsahen. Gut zwei Meter hielten sie voneinander Abstand und wenn sie sich anschauten, warfen sie sich nur giftige Blicke zu.
Anschließend stapften wir los. Alle paar Meter rutschte ich und musste Pausen einlegen, denn der Weg wurde von einer Eisschicht überzogen. Meine Sneakers waren vollständig durchweicht, meine Füße glichen Eiszapfen. Am gesamten Körper zitterte ich und meine Lunge brannte vor eisiger Kälte. Weder Joongie noch Seth wichen mir von der Seite. Alec hingegen führte unsere Truppe an.
Schemenhaft kam mir die Umgebung vertraut vor. Es fühlte sich an, als wäre ich schon öfter hier entlanggelaufen. Allerdings schaffte ich es nicht, mich konkret an etwas zu erinnern. Echte Erinnerungen waren zu weit entfernt.
Locker eine Stunde kämpften wir mit dem Aufstieg, bis wir eine Lichtung erreichten. Zwischen den dichten Tannenbäumen ragte eine Burg hervor, die womöglich über die Serpentinen begehbar war. Allerdings versperrte eine Schlossmauer den Zutritt zum diesen, vielmehr wurde der Eingang von vier hochbewaffneten Männern bewacht. Mit Taschenlampen strahlten diese ununterbrochen die umliegenden Wege ab. Stark erinnerten sie mich an Quinns Zeichnungen.
Alec zischte leise. Deutete mithilfe des Kinns zu einem hohen Stein, der vor Nebel und Bäumen kaum sichtbar war. Während ich ihnen folgte, fiel mein Blick auf eine Weggabelung. Dass zeitgleich ein düsteres Bild aufblitzte, ließ mich schepps treten. Ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht aufzuschreien. Klammerte mich mit aller Mühe an Seths Oberarm.
>> An denen kommen wir nicht vorbei <<, schloss Alec. >> Wir haben keine Waffen mit uns. <<
Erwartungsvoll schauten sie mich an. Für einen Moment ereilten mich Slides aus dem Manhwa, auf welchen Elo ihnen jedes Mal aus der Patsche geholfen hatte. Mir fiel die Weggabelung ein.
>> Gibt's nicht einen Hintereingang? <<, fragte ich im Flüsterton.
>> Schon <<, erwiderte Seth achselzuckend. >> Aber der Weg ist gefährlich und steil. << Von oben bis unten musterte er mich. >> Du siehst nicht aus, als würdest du noch lange durchhalten. <<
Langsam nickte ich. Unrecht hatte er nicht, mir ging's dreckig. Allerdings blieb uns keine andere Wahl. Das sah auch Seth ein, denn zu versuchen, an den Wachen vorbeizukommen, glich einem Selbstmord. Stattdessen schlichen wir zwischen Bäumen umher, um im Nebeldicht unentdeckt zu bleiben. Nachdem wir die Weggabelung und einen verschneiten Waldabschnitt hinter uns gelassen hatten und ich mich bereits wunderte, was Seth mit gefährlich gemeint hatte, erblickte ich das Übel. Ein schmaler Übertritt verband unseren Teil mit dem Plateau der Burg. Dieser bestand aus einer dicken Eisschicht, links und rechts war nichts, was einem vor einem Fall in die Tiefe bewahrte. Dass Joongie bereits vorangegangen war und ich bemerkt hatte, dass dieser dabei leicht gerutscht war, verunsicherte mich. Hypnotisierend starrte ich hinunter. Weder vor noch zurück konnte ich mich bewegen. Pure Panik floss durch meine Adern, welche mich lähmte.
Ich umklammerte Seths Hand, platzierte meinen Fuß auf dem Holzpfahl. Dass ich im nächsten Augenblick spürte, mein Fuß schlitterte zur Seite löste blanke Panik in mir aus. Ohne eine Sekunde zu überlegen, zog ich meinen Fuß zurück. Meine Vans waren für sowas nicht geschaffen.
>> Shhh <<, drang Seths Stimme zu mir vor. >> Ich halt dich fest. <<
Es beruhigte mich null. Wenn ich abstürzte, fiel er mit mir in die Tiefe. Unvorstellbar, wie Joongie zuvor fast drübergehüpft war.
Tief atmete ich durch, setzte erneut an. Bis zur Hälfte des Pfahls glitt ich hinüber und schnappte nach Joongies Hand. Meinen zweiten Fuß zog ich nach. Was ich dann tat, bereute ich prompt. Ich blickte hinunter, beobachtete den rieselnden Schnee. Mir drehte sich der Magen um. Wenn mich nichts täuschte, erkannte ich Tiere, die neugierig nach oben guckten. Tiere, welche mich womöglich zerfleischen würden- Obwohl das egal wäre, wenn ich abstürzte.
Ich zwang mich dazu, die Augen von der Schlucht zu lösen und geradeaus zu sehen. Fokussierte Joongie, der mir aufmunternd zulächelte. Während ich den Rest des Holzstücks überwand, zerquetschte ich dessen Hand. Fiel in seine Arme, sobald ich die gegenüberliegende Seite erreichte.
Ich klammerte mich an die Mauer, rührte mich keinen Millimeter. Meinen Blick richtete ich ausschließlich auf die Backsteine vor mir. Allein das Gefühl, dass es rechts von mir meterweise in die Tiefe ging, war kaum ertragbar. Das Schlimme, der Pfad war knapp einen Meter breit.
Ich heulte. Den ganzen Trampelpfad entlang, welcher nun steil hinaufführte. Beinahe blieb ich stehen, hätte am liebsten die Augen geschlossen. Was fatal gewesen wäre, da der Pfad an manchen Stellen lediglich Fußbreit wurde. Vor Angst und Kälte zitterte ich am gesamten Körper. Jedes Mal beschlich mich Panik, gleich auszurutschen und in die Tiefe zu stürzen. Doch nichts traf ein. Kein einziges Mal.
Den gesammelten Atem stieß ich mit einem Mal aus, sobald wir die Rückseite der Burg betraten. Zwischen den Händen vergrub ich mein Gesicht und weinte bitterlich. Jemand umarmte mich. Joongie, tippte ich, wegen den Haaren und Größe.
Im Gemäuer war eine mickrige Holztür eingelassen, dessen Schloss Alec mit einem sachten Tippen entriegelte. Magie, vermutete ich.

The Pirate's PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt