Ep 31 - Seong Hwa

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Mitten auf einer Fahrbahn fand ich mich wider. Umgeben von dichtem Wald. Nach irgendwelchen Hinweisen suchte ich, ob ich noch in Seoul war. In der Ferne machte ich ein Verkehrsschild aus. Geschrieben in Hangul. Immerhin hatte ich nun Gewissheit.
Wildes Hupen vernahm ich hinter mir. In Sekundenschnelle wirbelte ich herum und sah ein Auto auf mich zu rasen. Nicht mal die Geschwindigkeit drosselte dieses. Für paar Sekunden blinzelte ich gegen den Scheinwerfer an, rettete mich dann nach links in den Wald. Gerade rechtzeitig. Hinter dem Irren schoss ein weiteres Auto in derselben Geschwindigkeit hervor. Leider waren sie viel zu schnell, um eins der beiden Kennzeichen lesen zu können.
Irgendwo hier musste sich die Person aufhalten, sonst hätte mich der Armreif nicht an dieser Stelle ausgespuckt. Kleinlich durchkämmte ich den Waldabschnitt, bis ich einen Berg erreichte. Nichts. Keinerlei Hinweise auf eine Person fand ich.
Ich querte die Straße, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass von beiden Seiten kein Auto kam, und suchte im darunterliegenden Wald. Nichts.
Zur Fahrbahn kehrte ich zurück. Vielleicht war sie auch hinaufgelaufen? Ich verfolgte den Straßenverlauf, aber ich sah keinerlei Hinweise. Nicht mal Gegenstände, ein Kleidungsstück oder so. Noch eine Weile lief ich, bis ich stehenblieb. Auf der Fahrbahn befand sich Abrieb von Autoreifen. Jemand hatte stark abgebremst.
So lange ich die Spur erkannte, verfolgte ich sie. Allerdings endete diese bereits nach gut zwei Metern. Dem Reifenabdruck nach zu urteilen, musste es ein großes Auto gewesen sein. Passte zum ersten Auto, das mich fast ergriffen hätte.
War er also umgekehrt? Wurde er vom anderen Auto verfolgt? Verfolgt? Verfolgt! Stets zeigte mir der Armreif werde verfolgt an.
In die entgegengesetzte Richtung rannte ich. Niemals würde ich in diesem Tempo die Autos einholen. Dennoch lief ich weiter, bis ich erschöpft, mir die Seiten haltend, zum Stehen kam. Tief schnaufte ich, bis ich wieder ruhig atmete.
Ich schaute mich um, grübelte, was ich als Nächstes tun sollte. Zu meinen Freunden zurückkehren? Dem Auto hinterherrennen? Bestimmt waren sie bereits kilometerweit entfernt.
Obwohl es sinnlos erschien, setzte ich zum Rennen an, bis ich einen Blick auf meinen Armreif erhaschte. Wenn ich es erneut drehte, müsste es mich doch zum Auto bringen? Wie zuvor auch.
Einen kleinen Schubser verpasste ich dem Armreif  und tauchte an einer anderen Stelle der Fahrbahn auf. Hektisch guckte ich mich um. Nichts. Das erste Mal waren die Autos erst später an mir vorbeigefahren. Vielleicht war es jetzt auch so. Hoffentlich.
An meiner Stelle verharrte ich. Wartete. Und wartete. Entweder halluzinierte ich oder ich erkannte tatsächlich Scheinwerfer. Vor der Brust verschränkte ich die Arme, blinzelte in die Ferne. Sekündlich wurden die Lichtquellen größer, bis ich tatsächlich sagen konnte, dass ein Auto anrollte.
Worüber ich mir noch keine Gedanken gemacht hatte, war, wie ich weiter vorging. Schlecht konnte ich mitlaufen, aber...
Breit positionierte ich mich auf der Fahrbahnseite und streckte die Arme von mir. In der Hoffnung, der Fahrer sah mich und bremste ab. Je näher das Auto rückte, desto mehr wurde mir bewusst, dass er die Geschwindigkeit nicht reduzierte. Wenn ich weiterhin stehenblieb, fuhr er mich um.
Hinter mir ertönte ein Hupen. Schwer, brummend. Kaum traute ich mich, nachzusehen. Allerdings aus dem Augenwinkel erahnte ich es bereits. LKW. Beide Fahrzeuge waren mir schon zu nahe, dass ich weder nach links noch rechts ausweichen konnte.
Mir fiel es schwer, meinen Auftrag abzubrechen. Hoffentlich trug meine Entscheidung keine Konsequenzen.
Noch paar Sekunden verharrte ich in der Position, was dem Schock geschuldet war, ehe ich erneut den Armreif drehte. Ein Stück abseits der Haltestelle fand ich mich wider. Zitternd stützte ich mich am Boden ab, die Schuldgefühle zerfraßen mich bereits innerlich. Ich war froh, dass ich zu weit entfernt war, um von meinen Freunden gesehen zu werden. Ungern wollte ich, dass sie wussten, in welcher Verfassung ich mich befand.
Zu einem Lächeln zwang ich mich, welches prompt erlosch, als ich Jong Ho erblickte. Sein Gesicht wirkte blass wie das einer Leiche, in gebückter Haltung saß er da. Ein improvisierter Eimer aus Plastikverpackungen hielt er in den Händen. Aus dem Grund war ich froh, dass ich zurückgekehrt war, dennoch nagte ein ungutes Gefühl an mir.
Neben Jong Ho ging ich in die Knie, umfasste seine Taille und stützte den Kopf an seiner Seite. Ein gigantischer Ball wuchs in meiner Brust heran, Übelkeit stieß mir auf. Mehrere Schicksale lagen in meiner Hand. Hoffentlich hatte ich mich fürs geringere Übel entschieden. Eines musste ich dennoch ausschließen. In den Kontakten suchte ich Jonah. So lange ließ ich es klingeln, bis die Mailbox sich meldete. Insgesamt fünf Mal versuchte ich, ihn zu erreichen. Dann tat ich dasselbe bei Jay. Keine Antwort.
Nervös scrollte ich durch meine Kontakte, bis ich das Handy sinken ließ. Auf Seths Frage, was los war, reagierte ich nicht.
Der Ball in meiner Brust vergrößerte sich aufs Dreifache, dass ich Angst hatte, zu ersticken. Zum Glück erblickte ich in dem Moment den heranfahrenden Bus. So konnte ich Seths bohrenden Augen entgehen.
Fest packte ich Jong Ho am Arm, zwang ihn dazu, sich an mir festzuklammern, und zerrte ihn zum Bus. Entsprechend der Uhrzeit herrschte Leere im Bus. Umso besser für uns, wir verteilten uns auf Vierer- und Zweiersitzer. Zusammen mit Jong Ho ließ ich mich an einem Viererplatz nieder. Seth tat es uns gleich und setzte sich mir gegenüber. Seinen Blick versuchte ich, zu ignorieren. Zur Ablenkung sah ich aus dem Fenster, zählte die Sterne am Himmel. Funktionierte alles prima, bis mir Seth seinen Fuß ins Schienbein rammte.
>> Aua <<, empörte ich mich. Blinzelte ihn finster an. >> Was sollte das- <<
>> Was verschweigst du? <<, würgte er mich ab, >> Was ist passiert? <<
Ich schwieg. Zumindest versuchte ich es, aber sein Blick war unausweichlich.
>> Jemand hat mich um Hilfe gebeten <<, begann ich. Nur schwer konnte ich mich dazu durchringen, meine Vermutung zu formulieren. Nicht mal in meinen eigenen Gedanken wollte ich die Situation in Erwägung ziehen. >> Die Person wurde verfolgt von jemanden und- <<
Plötzlich verstummte ich beim Gedanken an Jonah.
>> Und was? <<, fragte Alec vom gegenüberliegenden Platz aus, der wohl dem Gespräch aufmerksam gelauscht hatte.
>> Mir fällt nur Jonah ein und ich hatte versucht, ihn anzurufen, aber er geht nicht an sein Handy und- << Böse schaute mich Seth an. Mich wunderte es nicht, dass Leute Angst vor ihm hatten. >> Und Jay erreiche ich auch nicht. <<
Gleichzeitig sahen sich beide an, kommunizierten über ihre Augen. Die Stille, ausschließlich das Rauschen der Reifen und das ständige Hoppeln über unebene Straßenabschnitte, wurde sekündlich unerträglicher. Dass sie nichts sagen, machte mich nervös. Ein Wort würde mir völlig reichen. Alles, was ich nach zehn Minuten erhielt, war ein Schulterzucken seitens Seth, begleitet von einem „Denke nicht".
In mir brodelte es. Nicht schnell wurde ich sauer, verzog Leuten schnell. Die einzige Erklärung, Jonah bedeutete mir viel und ich hatte Angst um ihn. Es machte mich wütend, dass seine besten Freunde es derart auf die leichte Schulter nahmen. Keine Ahnung, wer die Person verfolgt hatte. Vielleicht war Jonah längst tot.
Gute fünfundvierzig Minuten fuhren wir, bis wir das Stadtzentrum erreichten. Zum Glück wusste ich, dass von der übernächsten Haltestelle ein Krankenhaus in fünf Minuten Entfernung lag. Dringend sollte Jong Ho untersucht werden. Sein Anblick war besorgniserregend.
Den nächsten bösen Blick von Seth handelte ich mir ein, als ich den Stopp-Knopf drückte. Mit verschränkten Armen stierte er mich an, sobald wir ausgestiegen waren. Ich schrieb sein Verhalten der Übermüdung zu.
>> Hast du einen Plan? <<
>> Jong Ho muss ins Krankenhaus <<, erklärte ich. Sein Ausdruck wurde weicher, ein Stück Verständnis erkannte ich. >> Es ist nicht weit von hier. Und- <<
Sofort bereute ich, dass ich mich unterbrochen beziehungsweise etwas erläutern wollte.
>> Und was? <<, schnappte Alec auf.
>> Das Krankenhaus hat eine Verbindung zu unserer Welt <<, fuhr ich fort. >> Wir können zu Sunny. U- <<
Rechtzeitig bremste ich mich. Meine nächste Erkenntnis war ungewiss, nur ein Bildfetzen, den ich gesehen hatte, als ich in meinem Apartment im Delirium gelegen hatte. Glücklicherweise vernuschelte ich mein U zu sehr, dass sie es hinaus gehört hätten. Wenn ich mich mit der Erinnerung nicht täuschte, stellte ich mich auf Groll aller ein.
Allesamt führte ich sie zum Krankenhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sobald wir um die Ecke bogen, erkannte man die Fassade. San rief ich zurück, denn ich wollte den Hintereingang nutzen. Dort funktionierte meine Mitarbeiter-ID ebenfalls. Oberhalb der Klingel befand sich ein unscheinbares Feld, gegen welches ich meine ID presste. Grünes Licht blinkte, die Tür surrte.
Dankend nickte ich Seth zu, der diese öffnete. An seiner Hand packte ich Jong Ho und ging langsam mit ihm zum Aufzug. Rief diesen. Hoffentlich war Sunny oder Niclas da. Oder irgendeiner, mit dem ich zusammengearbeitet hatte.
Am Bedienfeld drückte ich T, was ein Piepsen und ein Please identify vom Tonband auslöste. Wie zuvor hielt ich meine ID oberhalb der Knöpfe vor ein Feld. Dieselbe Tonbandstimme gab Accepted wieder und die Türen ruckelten gemächlich zu. Hoch zum Feld, auf dem die Stockwerkzahlen durchratterten, guckte ich. Irgendwann tauchten Buchstaben auf. Nun begann der Countdown. Bevor S auftauchte, sagte ich „Festhalten". Laut genug, dass es jeder hörte. San, welcher es offensichtlich missverstand, knuddelte Woo Young. Nervös maß ich den ungefähren Abstand zwischen ihm und mir, nahm Augenkontakt zu Seth auf, der glücklicherweise meine Intention verstand, und huschte hinüber zu San. Im selben Moment begann, die Kabine zu wackeln.
Mit voller Wucht prallte ich gegen ihn, erwischte einen Zipfel seines Hemds. Zu zweit plus Woo Young fielen wir zu Boden.

The Pirate's PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt