Ep 5 - Seong Hwa

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Keinen Millimeter rührte sich Seth. Angewurzelt wie ein Baum blieb er starr an seiner Stelle. Nicht mal die Finger krümmte er. Abgesehen von seinen Augen. Diese huschten ständig von mir zu Yeo Sang, bis sie irgendwann bei Letzterem verharrten. Unglaube zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Yeo Sang war ein hübscher Mann, keine Frage, aber irgendwas sagte mir, dass nicht seine Schönheit der Grund des Starrens war.
Hätte Jay nicht nach ihm gerufen, wäre Seth vermutlich nie in Bewegung gekommen. Beim Vorbeigehen streifte er mich am Oberarm, weshalb er sich prompt mehrmals entschuldigte. Allerdings nahm ich dieses kaum wahr. Dafür ein anderes Geräusch. Ein leises Klirren. Hatte ich Geld verloren? Auf dem Boden guckte ich mich um. Unbeobachtet von Yeo Sang und Jong Ho, die ausführlich über die vorherige Situation sprachen.
Sobald ich etwas Goldenes funkeln sah, kniete ich mich in die Hocke. Unter einem Auto versteckte sich ein Armreif. War es Seth aus der Hand gefallen, als er mich gestoßen hatte? Ich zerrte es hervor und las die gravierte Innschrift. Englisch. Dawn. Das war alles. Bisschen wendete ich es hin und her. Schwer lesbar erkannte ich ein weiteres Wort. Dusk. Morgen- und Abenddämmerung. Für mich ergab es keinen Sinn. Fieberhaft überlegte ich, ob ein Armreif im Webtoon vorgekommen war. Das Einzige, woran ich mich erinnerte, war die Sanduhr.
Vorsichtig richtete ich mich auf, wobei ich fast mit Seth kollidierte. Ich wollte nach ihm rufen und fragen, ob er den Armreif verloren hatte, aber er war zu schnell. In paar Schritten erreichte er das Auto und der BMW düste davon. Durch die Heckscheibe machte ich einen dunklen Haarschopf aus. Ob dieser Joongie gehörte?
Schnell ließ ich den Armreif in meiner Hosentasche verschwinden, bevor ich mich wieder Yeo Sang und Jong Ho anschloss. Ich war mir nicht sicher, ob es eine schlaue Idee war, dass ich diesen einsteckte. Den gesamten Rückweg hatte ich das Gefühl, verfolgt zu werden. Langsam stieg mir der Webtoon und dessen Parallelen zu Kopf. Ständig versuchte ich, mich zu beruhigen, dass dies lediglich ein Manhwa und es unmöglich war, jegliche Gemeinsamkeiten auszuradieren. Dann hatte eben der Engel Elo meine Gesichtszüge und deren...
In der Straße unseres Apartmentblocks hatte sich erneut eine Menschentraube versammelt. Sofort kroch Angst durch meinen gesamten Körper. Ihren Blicken nach zu urteilen, schien es Yeo Sang und Jong Ho nicht anders zu ergehen. Gestern Abend hatte ich sie von oben nicht richtig erkennen können, aber nun... sie sahen gefährlich aus, trugen Waffen am gesamten Körper und sie wirkten, als wären sie einem Fantasy-Rollenspiel entsprungen.
Wir schlichen uns zur Eingangstür und versuchten, keinerlei Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Sobald wir im Gebäude waren, rannte Yeo Sang die Treppen hoch. Die Einkaufstasche hatte er vorm Lift stehengelassen. Zwar war mir mulmig zu Mute, dennoch nahm ich zusammen mit Jong Ho den Aufzug. Fünf Minuten schwiegen wir uns an, bis wir das Stockwerk erreichten. Mein Herz begann zu rasen, als ich Yeo Sang nicht im Flur sah. War er schon im Apartment?
In den Ohren hörte ich mein Herz pochen. Meine Finger wurden kalt. Zitternd tippte ich den Code ein und erschrak, als das Apartment in völliger Dunkelheit lag. Beinahe hätte ich aufgeschrien, als eine grelle Lichtquelle schnell auf mich zuraste. Diese entpuppte sich als Handytaschenlampe, die mir Yeo Sang ins Gesicht streckte. Erleichtert hörte ich ihn aufseufzen und darauf das Piepsen der Tür.
Zu dritt ließen wir uns aufs Sofa nieder und rührten uns nicht. Die Einkäufe waren vergessen.
>> Vielleicht gehen sie auf eine Convention <<, schlug Jong Ho nach einer Weile vor.
>> Einleuchtend <<, erwiderte Yeo Sang, der sich aus seiner Starre löste und nach meiner Tüte griff. Nicht ganz konnte ich einordnen, ob er es sarkastisch meinte oder erleichtert war, dass es für die Leute eine Erklärung gab. Jong Ho folgte ihm in die Küche.
Fahrig vollzog ich Skincare und verkrümelte mich anschließend ins Zimmer. Auch hier war es stockdunkel. Vermutlich hatte Yeo Sang in jedem Raum die Vorhänge zugezogen.
Mit dem Handydisplay als einzige Lichtquelle ließ ich mich auf meinem Bett nieder. Dabei spürte ich einen Druck an meinem rechten Bein. Der Armreif. Ich verstaute ihn in der Schublade meines Schreibtisches und hoffte, dass es bloß einem Mädchen gehörte.
Auf meinen Schreibtischstuhl setzte ich mich, unsicher, was ich nun tun sollte. Mir war nicht danach, den Webtoon weiterzulesen. Stattdessen griff ich nach meinem Handy und suchte nach einem beruhigenden Podcast. Ich knipste die Schreibtischlampe an und puzzelte solange am Todesstern, bis mir die Augen zufielen. Irgendwann legte ich mich ins Bett.

Vehement rüttelte jemand an meiner Schulter. Ich war zu schläfrig, um in Panik zu geraten. Stattdessen schlug ich nach dieser Person, um dem Rütteln zu entkommen. Aber derjenige zerrte an meiner Schulter, als ich versuchte, mich umzudrehen. Licht erhellte den Raum, weshalb ich die Augen mit meiner Hand bedeckte.
>> Hyung?! <<, nahm ich wahr.
Yeo Sang?
Gegen die Helligkeit blinzelte ich an. In der Hand trug er seine Decke und schaute mich aus tränenverschmierten Augen an. Plötzlich war ich hellwach.
>> Was ist? <<
Augenblicklich richtete ich mich auf.
>> Kann ich bei dir schlafen? <<
Seine Stimme klang erstickt, als hätte er stundenlang mit weinen verbracht. Verdattert nickte ich. Besorgt musterte ich, wie er meine Decke ein Stück zur Seite schob, um sich Platz zu verschaffen.
Auf meinem zweiten Kopfkissen bettete er seinen Kopf und guckte mich erwartungsvoll an. Ich legte mich zurück. In der Hoffnung, damit seinen Wunsch zu erfüllen. Aber sein Ausdruck schwand nicht.
>> Was ist? <<, wiederholte ich mich.
>> Ich hab schlecht geträumt. <<
>> Was ist passiert? <<, fragte ich.
Von sich aus sprach Yeo Sang ungern. Wenn man wollte, dass er mit einem redete, musste man selbst nachfragen.
Angst spiegelte sich auf seinem Gesicht wider. Mir jagte es einen kalten Schauer über den Rücken. Sein durchdringender Blick, die tränennassen Augen. Er wirkte, als hätte er grauenhafte Stunden hinter sich.
>> Ich saß in einem riesigen Saal <<, flüsterte er. >> Ich war noch sehr klein. Vielleicht vier Jahre alt. <<
Ich nickte.
>> Ich trug festliche Kleidung und hatte mit irgendwas gespielt. << Er stockte. Seine Augen wurden erneut feucht. >> Vier bewaffnete Männer stülpten mir einen Sack über und es wurde dunkel. Ich hörte Schreie von einer Frau und einem Mann. Immer wieder schrien sie einen Namen. Nicht meinen. Quinn. << Leicht zuckte ich zusammen. >> Immer und immer wieder. Dann- << Er stockte und starrte mich aus großen Augen an. Eine Gänsehaut legte sich über meinen gesamten Körper. >> Dann konnte ich wieder sehen und saß dir gegenüber. Du hattest blonde Haare und trugst ein langes weißes Gewand. Du hattest mich in den Arm genommen und mir gesagt, dass alles gut wird. <<
Elo, fiel mir als Allerstes ein.
>> Und du hattest mich auch Quinn genannt. <<
Erneut spürte ich die Gänsehaut an jeglichen Stellen. Ich wusste nicht, welche Verbindung mein Körper mit diesem Namen herstellte. Aber worüber ich mir sicher war, dass der Name mindestens auf einem Slide im Webtoon vorgekommen war. Leicht zuckte ich zusammen. Blitzartig tauchte ein Bild vor meinem inneren Auge auf. Ich hielt den Armreif in der Hand, wie ich ihn jemanden reichte. Worte drangen aus meinem Mund, aber ich hörte sie nicht, sie waren zu fern.
>> Hyung? <<
Mehrmals blinzelte ich. Mein Herz raste. Mir war schwindlig.
>> Da ist noch was << Yeo Sangs Augen glitzerten vor Tränen. >> Die vier Männer sahen so aus wie die, die wir auf der Straße gesehen hatten. <<
Ich schluckte.

The Pirate's PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt