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Ich hörte, wie jemand die Treppe herunterkam. Ich hatte Polly unter Tränen und Schluchzen erklärt, was geschehen war und sie hielt mich fest in ihren Armen, bis ich mich beruhigt hatte. Von ihr ging beinahe dieselbe Wärme aus wie von meiner toten Mutter, was mich tatsächlich tröstete. Und sie war nicht wütend. Sie verstand es, auch wenn sie es bedauerte. Vermutlich wusste sie, dass ich meine Standpauke bereits erhalten hatte, deshalb unterließ sie es, mich erneut zurechtzuweisen. Tommy betrat das Wohnzimmer und sah mich nur an. Einige Sekunden lang. Ich rechnete mit dem schlimmsten. Meine gerade versiegten Tränen schossen mir erneut in die Augen. Er atmete ruhig ein und aus. „Oh Evelynn... Du hast uns vielleicht einen Schrecken eingejagt.", sagte er ruhig und bedacht. Er setzte sich neben mich und Polly auf die Couch. Er zog sein Einstecktuch aus dem Jackett seines Dreiteilers und tupfte meine Wangen mit unglaublicher Behutsamkeit trocken. „Er wird es schaffen. Nun versuche, dich zu beruhigen... Niemand ist dir böse und du solltest es auch nicht sein. Du wolltest das nicht, es war ein Versehen." Ich wollte in seinen Armen versinken und mich verstecken. Und wahrscheinlich spürte er das und nahm mich in den Arm. Und als ich seine Halsschlagader unter meinen Lippen spürte, stellte ich fest, dass ich in all dem Trubel und Chaos seit vorgestern Nacht nichts mehr von meiner eigentlichen Nahrung hatte. Ich konzentrierte mich und nahm sein Blut wahr. Ich hörte, wie es durch seine Adern rauschte und dann roch ich es. Ich stöhnte, gerade so leise dass nur er es wahrnehmen konnte. Er spannte sich an.

Tommy

Ich spürte, wie ihr Atem meinen Hals streifte, als ihr ein Stöhnen entfuhr. Was war nur los mit ihr, so plötzlich? Polly saß neben uns verdammt nochmal. Ich errötete ein klein wenig. Ich warf einen Blick zu Polly um festzustellen, ob sie es gehört hatte. Aber scheinbar nicht, denn sie sah aus dem Fenster und war in Gedanken versunken. Ich schob Evelynn ein kleines Stück von mir weg und sah sie an. Ihre Pupillen hatten plötzlich eine rötliche Färbung. Ich erschrak etwas und blinzelte. Die Verfärbung war verschwunden. Vielleicht spielte mir hier mein Verstand einen Streich. Denn sie sah mich unschuldig an. „Wollen wir ein Stück spazieren gehen?", fragte ich sie. Sie nickte. Wir zogen unsere Mäntel über und verließen das Haus. Wir gingen ein Stück und ich verfolgte ein gewisses Ziel. Ich leitete sie in den Wald, auf eine Lichtung, in deren Mitte eine Bank stand. Ich hoffte, sie würde den Ort genauso mögen wie ich. Hier kam ich her, um meine Gedanken zu ordnen, wenn mir alles zu viel wurde. Das Leben als Gangster war schließlich nicht immer Glanz und Glorie. Nach ungefähr einer halben Stunde waren wir endlich an der Lichtung angelangt. Sie war die erste, der ich diesen geheimen Zufluchtsort zeigte. Sie ließ meine Hand los und begann, durch die Blumen zu tanzen.

Diese Lichtung war ein wahrer Lichtblick in der Dunkelheit von Birmingham. Ich tanzte fröhlich lachend durch die Blumen. „Ohhh es ist so wunderschön hier!" Als ich eine Pirouette machte, hielt ich mittendrin inne, weil mein Blick seinen traf. Er stand am Rande der Lichtung und sah mir zu. Ich lächelte und machte eine Handbewegung um ihn aufzufordern, zu mir zu kommen. Er machte einen Schritt auf mich zu, zögerlich. Dann noch einen, diesmal sicherer in seinem Schritt, doch er blieb stehen. Was hatte er nur?

Tommy

Oh ich hätte ihr stundenlang zusehen können. Dieser Anblick war das liebreizendste, was ich je gesehen hatte. Sie machte eine Drehung und hielt inne, um mir zu bedeuten, dass ich zu ihr kommen sollte. Ich machte zwei Schritte auf sie zu und blieb abrupt stehen. Plötzlich fühlte ich mich wie ein Eindringling. Sie sah mich mit einem verwirrten Ausdruck auf ihrem wunderschönen, perfekten Gesicht an. Ich musterte sie still. Sie war so rein. So unschuldig. Das konnte ich nicht zerstören, indem ich sie in meine Welt hineinzog, die nur aus Tod, Grausamkeit und Verderben bestand. Wenn sie diesen Teil meines Charakters jemals sehen würde, wäre ich nicht mehr derselbe. Der Gedanke, dass sie sich von mir abwenden könnte, stürzte mich in Verzweiflung. Mir lief bei diesen Gedanken eine Träne, die sich unbemerkt aus meinem Auge gestohlen hatte, die Wange herab.

Me and the devilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt