KAPITEL 1

266 30 57
                                    

XYLA

Weißer Oleander säumt den Wegesrand bis zum Studio im Garten. Ein perfekt gepflegter Garten von einem perfekten Paar. In jeder Ecke kann man die heile Beziehung sehen, die sie auf Augenhöhe führen und die mir jedes Mal einen heftigen Stich der Eifersucht verpasst.

Zielstrebig gehe ich weiter, ignoriere den Schmetterlingsflieder, den sie am Tag ihrer Verlobung gepflanzt haben. Die Tür ist geöffnet und lässt die sanften Klänge des Klaviers bis an meine Ohren dringen. Ein Summen erfüllt meine Sinne. Nervosität macht sich in meinem Bauch bemerkbar. Trotz allem strecke ich den Rücken durch und setze ein selbstbewusstes Lächeln auf. Meine Füße bringen mich konstant vorwärts. Immer näher an die Tür.

Das dunkel lasierte Holz schimmert im Licht der Morgensonne. Das perfekte Licht, der perfekte Mann, der perfekte Lebensplan.

Nichts davon gehört mir. Wird es auch nie.

Alexandra hat ihn um ihre perfekt manikürten Finger gewickelt. Nicht, dass meine Finger nicht ebenso umwerfend manikürt wären, aber anders als bei mir spielt Alexandra mit der Liebesgöttin im Gewinnerteam.

Die Melodie, die er dem Instrument entlockt, ist wundervoll. Sanft und ehrlich. Warm. Jedes Mal bin ich nervös. Fürchterlich aufgeregt, wie ein Schulmädchen in Gegenwart ihres Schwarms. Genau das ist er. Mein Schwarm. Ein Mann, der nicht für mich bestimmt ist. Trotzdem jegliche Liebe, die mein Herz zu geben hat, geschenkt bekommt. Das Klavier verstummt und wird von den Saitenklängen der Gitarre abgelöst.

Ich gehe weiter auf die Tür zu, obwohl das Herzklopfen mich zerfrisst. Bei ihm fühle ich mich ständig so. Ich habe es nicht nötig, aber es ist, wie es ist. Innerlich gehe ich mein Matra durch, welches eigentlich für die Momente vor meinen Konzerten gedacht ist. Meine Therapeutin hat es mir empfohlen, wenn ich Lampenfieber habe. Die Gefühle, die ich in seiner Nähe habe, kommen dicht an das Empfinden vor meinen Auftritten heran.

Ich bin selbstbewusst. Ich bin wunderschön. Ich lebe den Traum. Ich bin fucking Xyla Palladino. Viele Menschen würden für ein Leben wie meines töten oder ihre Seele verkaufen.

Das Lächeln auf meinen Lippen festigt sich. Womöglich sind die Stunden mit ihm die einzigen, in denen das Lächeln echt ist, wenn er es nicht bemerkt. Die Momente, wenn ich ihn unauffällig betrachte.

Lässig lehne ich mich in die geöffnete Tür und lasse meine Augen über seine Erscheinung streifen. Himmel, er sieht wieder umwerfend aus.

Über seinen breiten Schultern liegt ein lockeres Leinenhemd, in dessen Ausschnitt eine lange silberne Kette baumelt. Es ist die Kette, die Alexandra ihm geschenkt hat. Er nimmt sie nie ab. Und dafür hasse ich sowohl die Kette als auch Alexandra ein kleines bisschen. Schwarze Jeans mit löchrigen Knien, schwarze Sneaker und eine Kappe falsch herum auf dem Kopf.

Sehnige Finger zupften über die Gitarrensaiten, eine nachdenkliche Falte umschmeichelt seine Stirn. Zwischen seinen Zähnen klemmt ein abgegriffener Bleistift und vor ihm steht der Notenständer mit einigen unleserlichen Kritzeleien. Eingerahmt durch seine athletischen Beine.

Wärme nistet sich in meinem Körper ein und das dümmliche Lächeln weicht dem lockeren Lächeln. Wieder summt er und wieder flippt mein Herz aus. Er zieht den Stift aus seinem Mund und schreibt mit gekräuselten Lippen etwas auf. Die Gitarre verklingt und wird von den Tönen des Keyboards abgelöst. Mein Herz schmilzt mit jeder Note. Mehrfach muss ich schlucken, um mich darauf vorzubereiten, wenn seine Augen mich fokussieren.

»Honey? Ich gehe jetzt!« Alexandras Stimme reißt mich aus dem verliebten Starren. Hunter hebt den Kopf, wirkt kurz verwirrt, als er mich registriert, dann steht er auf. Die Gitarre wird an den Stuhl gelehnt und er kommt in meine Richtung. Nur flüchtig berührt er meinen Arm, dann schiebt er sich an mir vorbei. Ich kann Alexandras Heels hinter mir auf dem Steinweg hören. »Heute Abend kommt die Hochzeitsplanerin nochmal vorbei. Vergiss es bitte nicht, okay?«

ERASE YOU | 18 +Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt