ERASE YOU | 18 +

KAPITEL 63

XYLA

Mein Körper bebt, unterdessen lasse ich mir nichts anmerken. Ich sitze auf der großen Couch im Wohnbereich von Hunters Elternhaus und starre in die Flammen. Das Feuer im Kamin flackert beruhigend und ich strenge mich wirklich an, um das Gefühl aufzusaugen. Es gelingt mir nicht.

Hunters Hand streichelt konstant über meinen Oberschenkel, während er an seiner Unterlippe nagt. Hana mustert ihren Bruder besorgt, aber wir warten auf die anderen Familienmitglieder. Hugh trudelt ein, und zwanzig Minuten später folgt Everett. Hudson taumelt gähnend ins Zimmer und plumpst auf den Sessel. Harrison hantiert in der Küche, ehe er mit einem Teller voller Obst ins Wohnzimmer kommt.

Die Schweigsamkeit hat alle Remingtons überfallen, weil sie auf Hunters Stimme warten. Ich schlucke gegen den schmerzenden Kloß in meiner Kehle an, aber er verschwindet nicht. Der Tee zwischen meinen Fingern wärmt mich nicht, ebenso wenig wie Hunters Hand. Mir ist eiskalt, seitdem er mir die Tatsache, dass seine Frau lebt, am Vormittag unterbreitet hat.

»Ich muss euch etwas mitteilen, dass euch vermutlich verstören wird, aber bitte hört mir zu, bevor ihr mich mit Fragen bombardiert, okay? Wahrscheinlich habe ich die gleichen Fragen, allerdings habe ich keine Antworten«, beginnt Hunter ruhig. Im nächsten Moment greift er nach meiner Hand und verschränkt unsere Finger miteinander. Hana runzelt sie Stirn und hebt den Blick in mein Gesicht, nachdem sie unsere Hände gemustert hat. Ich kann sehen, was sie denkt, aber wäre ihr Gedanke wahr, würde ich nicht derart verschreckt dreinblicken.

»Hast du Syphilis?«, gackert Hudson. Hugh blickt seinen kleinen Bruder angeekelt an.

»Du bist der passendere Kandidat für eine solche Geschlechtskrankheit, Beelzebübchen«, murrt er. Tatsächlich fällt mir erst jetzt die Erschöpfung in seinen Augen auf. Mia hat erzählt, dass er in den letzten Wochen häufiger die Nachtschichten übernommen hat, weil sein Kollege familiäre Problem hat.

»Sollte eine von den Ladys mir sowas angehängt haben, werde ich mich vorerst nicht beschweren. Die Nacht war der Knaller«, grinst er stolz.

»Wir haben deine Knaller gehört und auch deinen Abschuss«, murrt Harrison. Hudson lacht auf und es verwundert mich, dass Hana keinen Ton verliert. Gewöhnlich mischt sie sich immer ein, wenn es eine Chance auf eine Stichelei mit ihrem Bruder gibt.

»Zurück zum Thema«, seufzt Hugh und wedelt mit der Hand in Hunters Richtung. Er nickt leicht und wirft mir einen prüfenden Blick zu. Erneut schlucke ich schwer, trotzdem bringe ich ein Nicken zustande.

»Hudson hat gestern jemanden getroffen«, setzt Hunter an. Mittlerweile weiß ich, dass Hudson ihn über Alexandras Anwesenheit informiert hat, jedoch scheint der davon nichts mehr zu wissen.

»Wie überaus überraschend«, murrt Hana verbittert. »Die Beweise liegen sicherlich in seinem Mülleimer.« Hudson streckt ihr seinen Mittelfinger entgegen und sie ihm die Zunge heraus.

»Ich rede nicht von den Mädchen, die er mit hergebracht hat, sondern von meiner Frau«, sagt Hunter kühl. Synchron keuchen die Geschwister und die Irritation befällt vollends das Gesicht von Hudson. Wenn die Situation nicht dermaßen grotesk wäre, würde ich wahrscheinlich darüber lachen. Eventuell kann ich sogar irgendwann darüber lachen. Nur nicht im Augenblick. »Alex lebt.« Zwei Worte, die erneut mein Herz zerreißen. Hunter spürt meinen inneren Schmerz, denn er drückt meine Hand fester und zieht sie an seine Lippen. Ein Kuss wärmt meinen Handrücken. Die Wärme verschwindet, als er seine Lippen von meiner Haut nimmt. Ich kann nicht sagen, ob die eisige Kälte jemals verschwinden wird.

»Du verarschst uns doch. Hast du gekifft oder Pillen geschmissen? Hugh, ist er auf einem Medikamententrip? Hast du ihm Halluzinogene gegeben?«, fragt Harrison. Sein Ton ist eine Spieglung meiner Gefühlswelt. Zerrüttet, zittrig und leicht panisch.