KAPITEL 19

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XYLA

Sieben Wochen ist mein letzter Liveauftritt her. Trotz der Nervosität bin ich wie ein Uhrwerk. Ich laufe, bis man mir den Stecker zieht. Es ist wie auswendig lernen. Ich weiß, wann ich die Hand heben, wie ich den Arm drehen muss, damit die Kabel nicht stören. Wie ich den Kopf beugen muss, damit jeder Winkel von Make-Up und Puder bestäubt wird. Routiniert wärme ich meine Stimme auf, während Menschen an meinem Körper herumwuseln, zupfen, richten, pushen, drücken, zerren, kämmen.

Ich stehe hinter der Bühne, während die Angestellten, Künstler und Bosse des Labels in dem riesigen Saal davor eine Party feiern. Eine Party zu Ehren der Mitarbeiter und Künstler. Der Innenraum ist abgedunkelt, während draußen die Sonne scheint. Ein Saal, der an den Luxushof eines Königs erinnert. Pompöse Kleider, schicke Anzüge und eine Menge Alkohol. Mein Magen gluckert, weil ich auf leeren Magen einen Champagner aufgedrückt bekommen habe. Mehrfach atme ich durch, blende die Hände an meinem Körper aus und lasse sie ihre Arbeit verrichten. Ich bereite mich mental auf den bevorstehenden Auftritt vor, gehe gedanklich meinen Text durch und summe die Melodie des ausgewählten Songs.

Während einer der Techniker mich verkabelt und die Stylistin mein Paillettenkleid richtet, pinselt die Visagistin in meinem Gesicht herum. Ich schwitze, weil es hier hinten unerträglich heiß ist. Meine Hände sind eiskalt, als ich das Mikrofon entgegennehme. Die In-Ears drücken schmerzhaft, aber ich ignoriere den Schmerz. Er ist nichts im Vergleich zu den anderen Schmerzen, die mein Körper durchgestanden hat. Ein laues Lüftchen von Leiden.

Ich bin hier. Aufrecht und lebendig. Gebrochen, aber mit Flicken bestückt. In den letzten zwei Monaten hat Hunter bewiesen, warum ich mich in ihn verliebt habe. Noch immer mäht die Trauer ihn regelmäßig nieder, aber es scheint besser zu werden. Wenn er trauert, dann halte ich ihn. Wenn ich zerbreche, dann setzt er mich zusammen. Freundschaftlich. Warmherzig. Ohne jegliche sexuelle Berührung. Ich hasse es. Ich hasse, dass er mich nicht will, aber ich ihn jeden Tag mehr begehre.

»Bist du so weit?« Mia kommt durch den Vorhang geeilt. Heute sind unzählige Auftritte von begabten Künstlern und meiner ist der Vierte in der Reihenfolge. Eine Ehre, wenn man bedenkt, dass ich vor einigen Jahren niemals an meinen Erfolg geglaubt hätte. Hugh steht plötzlich neben meiner Freundin und knabbert grinsend an ihrer Schulter. Da fällt mir die Rötung auf ihren Wangen auf. Sexröte.

»Ich bin startklar«, antworte ich mit einem selbstsicheren Nicken. Mich hat es nicht verwundert, dass Hugh Mias Plus-eins auf der Einladung geworden ist. Sie sind sich in den letzten Jahren näher gekommen, worüber ich mich freue. Hugh ist ein guter Kerl. Abgesehen davon schadet es nicht, einen Arzt in greifbarer Nähe zu haben. »Hallo Hugh«, begrüße ich ihn. Er drückt zwei Küsschen auf meine Wangen und zwinkert mir belustigt zu, weil die Visagistin sofort schnaubend darüber pinselt und ihn mit ihrem Blick erdolcht. Eine stumme Warnung, mich besser nicht mehr anzufassen, solange ich nicht meinen Auftritt hatte. 

»Viel Glück, Kleines«, wünscht er mir und verschränkt seine Finger mit Mias. Eine beiläufige, aber liebevolle Geste. Er zeigt jedem anwesenden Mann, dass sie zu ihm gehört. Mein Herz flattert, weil ich mich für meine Freundin freue.

»Danke«, schmunzle ich. Mia drückt meinen Arm und nickt mir aufmunternd zu. Mittlerweile kann sie mich anfassen ohne Angst vor meiner Reaktion. Sie fühlt sich grässlich, weil sie sich die Schuld daran gibt, dass Slater in mein Leben gekommen ist. Zwar gehört er nicht mehr zum Label, weil sie ihn abgestoßen haben, trotzdem höre ich regelmäßig Berichte. Er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Angeblich, weil ich dem Sex anfangs zugestimmt habe und es keine vollständige Vergewaltigungstat mit niederen Absichten gewesen ist.

Ich habe zugelassen, dass er mich behandelt, wie er es getan hat. Fast zwei Jahre lang. Mia trägt keine Verantwortung dafür. Unter Tränen haben wir uns ausgesprochen, nachdem ich ihre kühle Art nicht mehr ertragen konnte. In den Jahren, in denen sie meine Managerin ist, wurde sie zu meiner Freundin. Ich ertrage es nicht, wenn sie leidet, ebenso geht es ihr mit mir.

ERASE YOU | 18 +Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt