ERASE YOU | 18 +

KAPITEL 66

HUNTER

Eine Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper auf, denn bisher dachte ich, dass Alex' gesamte Familie tot ist. Sie hört sich an, als würden ihre Eltern noch leben. Aber wieso, verheimlicht sie so etwas vor mir? Herrgott, ich bin ein verfluchter Kopfgeldjäger, der Menschen umbringt. Mich kann fast nichts schocken. Abgesehen davon habe ich sie geheiratet. Wieso weiß ich also nichts davon, wenn ihre Familie noch lebt? »Larissa war emotional deutlich schneller in die Geschehnisse involviert, als ich, weshalb es vorerst an mir hing, den Auftrag im Blick zu behalten«, spricht sie weiter. Hugh löst den Blick nicht eine Sekunde von Alex, wohingegen ich sie kaum ansehen kann. »Je mehr Jahre vergingen, umso zorniger wurde Dad und irgendwann verließ Mom ihn ganz. Nicht aufgrund des Zorns, sondern aus anderen Motiven. Es war nicht leicht für uns, aber wir wussten, dass die Zeit kommen würde, um uns alles zurückzuholen. Unsere Mutter und unseren Platz in dieser Welt. Ihr müsst wissen, mein Vater hatte vor Jahren eine erfolgreiche Firma, die bedauerlicherweise nicht überlebt hat. Aber dazu kommen wir später.« Wieder nippt sie an ihrem Wein und leckt sie über die Lippen. Noch immer kommt mein Hirn nicht damit klar, dass sie vor mir sitzt und lebendig ist. Immer wieder flackert der Anblick ihrer Leiche vor mir auf. Alex streicht sich die Haare über ihre Schulter und lehnt das Kinn in ihre Handfläche. Ihre Augen fangen meinen Blick ein, woraufhin sie sanft lächelt. »Du bist so schön, Honey«, flüstert sie und seufzt, als würde die Tatsache ihr Schmerzen bereiten.

»Hör auf zu flirten, Alex. Er wird dich nicht mehr anrühren«, knurrt Hugh. Seine Hand zuckt in Richtung der Pistole, aber ich werfe ihm einen warnenden Blick zu.

»Richtig, weil du jetzt mit Xyla zusammen bist. Endlich hat sie, was sie immer wollte. Ich freue mich für sie. Xyla ist ein Goldstück und wenn eine Frau dich verdient hat, dann ist sie es«, stimmt sie Hugh zu. Die Muskeln meiner Unterarme brennen wie Feuer, weil ich die Fäuste nicht lösen kann. Spielt sie hier ein Spiel? Meint sie ihre Worte ernst? Sagt sie überhaupt die Wahrheit? »Zurück zum Thema. Sagt euch der Name Malcom Kindred etwas?«

In meinem Kopf flackern die Synapsen wie verrückt und ich kann spüren, dass ich die Antwort auf diese Frage habe, trotzdem schüttle ich den Kopf. Auch Hugh sieht ratlos aus.

Alex lacht begeistert und klatscht in die Hände. Ich zucke bei dem Knall zusammen und reiße mich endlich am Riemen. Verflucht, jedes Detail könnte wichtig sein. »Entzückend. Malcom Kindred ist mein Vater, so viel kann ich euch schon mal verraten«, flötet sie. Auf ihren Wangen schimmert eine Rötung, die ihre impulsive Freude offenbart. »Er wird begeistert sein, wenn er erfährt, wie unwissend eine der gefährlichsten Familien des Landes ist.« Ihr Jauchzen verursacht ein ungutes Kribbeln auf meinem Rücken.

Ein schwerer Klumpen aus Unruhe und Ängsten entsteht in meinem Magen und erschwert mir das Atmen. Das Kichern verstummt, aber das Lächeln verschwindet nicht. Mich lässt das Gefühl nicht los, dass Alex uns überlegen ist. Ganz gleich in welchem Zusammenhang. Meine Frau ist eine verdammte Erbrechtsanwältin gewesen. Sie sollte dazu nicht in der Lage sein. Was auch immer sie uns erzählen wird.

»Und was hat dein Vater mit der ganzen Sache zu tun? Nimm es mir nicht übel, Alex, aber laut deinen Aussagen ist dein Vater bei einem Sturm von einem herabfallenden Ast erschlagen worden. Noch kann ich dir nicht ganz glauben, dass er fröhlich durch die Welt spaziert und nicht auf der Hochzeit seiner Tochter gewesen ist«, murre ich.

»Dad ist auf der Hochzeit gewesen, Hunter«, offenbart sie. Es erfordert einiges an Anstrengung, damit mir nicht alle Gesichtszüge entgleisen. »Vielleicht erinnerst du dich an meinen Vorgesetzten, den ich dir vorgestellt habe.« Lässig zuckt sie die Schultern und nippt wieder an ihrem Wein. Schnaufend sinkt mein Kopf in meine Hände und ich fahre mir durch die Haare. Die Erinnerung an unsere Hochzeit überrollt mich und auch die Begegnung mit ihrem Vorgesetzten. Ein bulliger Mann mit ernsten Gesichtszügen und ergrauten Haaren. Er kam mir dunkel bekannt vor, aber ich war nicht mehr in der Lage ihn einzuordnen. Zu dem Zeitpunkt bin ich nicht mehr ganz nüchtern gewesen.