ERASE YOU | 18 +

KAPITEL 42

HUDSON

Fünf verschissene Tage. Fünf Tage und keine Spur von meinem großen Bruder. Eine fucking Arbeitswoche und wir tappen im Dunkeln.

Harrison tippt, klickt und knabbert sich die Finger wund und mir geht die Trällertussi allmählich brutal auf den Sack. Ständig flennt sie. Als würde uns das irgendwie weiterhelfen.

Dad steht hinter Harrison und sie starren gebannt auf die Verkehrskameras. Bisher wissen wir nur, dass Hunters Wagen auf dem Parkplatz vom Supermarkt stand, der Kofferraum voll mit Lebensmitteln und sein Handy zertreten auf dem Boden.

Im Augenblick wünsche ich mir, dass Dad seine Drohung damals wahrgemacht und uns allen einen Chip verpasst hätte. Es war eigentlich nur ein alkoholisierter Ausflug zu Howards Junggesellenabschied, allerdings konnte Dad uns drei Tage nicht erreichen. Keiner von uns hatte ein Ladekabel dabei oder die Telefonnummer im Kopf. Wieso hat er den Mist nicht durchgezogen? Fuck.

Xyla wimmert in Hanas Armen, während meine Schwester seufzend das nächste Weinglas füllt. Seitdem morgen, als Hunter eigentlich bei ihr auftauchen wollte, hat sie nicht aufgehört zu heulen.

Das Geräusch verursacht ein Kratzen in meinen Ohren und ich balle die Hände zu Fäusten. Ich versuche irgendwas in den ganzen Fotos, Papieren und Adressen zu finden. Ein Hinweis, wohin die Wichser ihn gebracht haben, was sie ihm antun. Immer wieder bete ich, dass er besser lebendig auftaucht, ansonsten bringe ich ihn um. Ich kann meinen großen Bruder nicht verlieren. Auch, wenn er es nicht weiß, ist er mein verdammter Held.

Mein Leben baut sich um ihn, weil er nun einmal fucking Hunter Remington ist.

Hugh kommt ins Zimmer und wedelt mit einem Stapel Papiere. »Vielleicht hab' ich was gefunden«, verkündet er. Harrison reißt den Kopf hoch, während Dads Augen starr auf den Bildschirm fokussiert sind. Herzloser Mistkerl. Mia schiebt einige Papiere auf dem Tisch zur Seite und Hugh legt den Stapel darauf ab. »Octavio Creek heißt eigentlich gar nicht Octavio Creek, genauso wenig wie Slater diesen Namen, seit seiner Geburt, trägt. Ihr Familienname ist Taylor, wie Titus Taylor.« Seine Erzählung sorgt für ein Stirnrunzeln bei mir. »Ich habe die Krankenakte ihrer Mutter aufgetrieben und darin ihre Geburtsurkunden gefunden«, berichtet er weiter und seufzt. Harrison steht auf und tritt an ihn heran. Ich beuge mich einfach nur über die Tischplatte und starre auf die Geburtsurkunden.

»Tobias Taylor?«, pruste ich. »Wie überaus gefährlich und düster. Kein Wunder, dass die Bastarde sich umbenannt haben. Slater ist ja noch besser. Timothy Taylor.« Lachend werfe ich Xyla einen Blick zu. Immerhin schmunzelt sie. Hughs Hand landet auf meinem Hinterkopf.

»Was hast du rausgefunden?«, fragt Hana.

»Auf ihre Geburtsnamen laufen einige Immobilien, die bei unseren Nachforschungen nicht aufgetaucht sind. Ziemlich riesige Komplexe, allerdings überwiegend leerstehend. Lagerflächen, Produktionshallen, Schrottplätze. So ein Zeug«, erzählt er und zieht einige Baupläne aus dem Stapel. »Ava war so nett«, verkündet er Harrison, als dieser ihn überrascht mustert. »Ich hätte zwei Vermutungen, wo sie ihn hingeschafft haben. Gestern Nacht habe ich mir nochmal die Überwachungsbänder vom Supermarkt angeschaut und einen Wagen gesehen, der auf den priorisierten Verkehrskameras nicht auftaucht. Also vermute ich, dass sie ihn Richtung Westen weggeschafft haben.«

Hana atmet durch, drückt Xylas Schulter und löst sich von der Heulboje. Meine Schwester tritt an den Tisch heran und begutachtet die Pläne. »Was ist das?«

»Eine alte Fabrik. Ehemals für die Stahlproduktion«, verkündet mein Bruder. »Das wäre meine erste Vermutung. Der gesamte Komplex ist unterkellert, weit abseits von jeder Möglichkeit, damit ihn irgendwer schreien hört. Abgesehen davon, gibt es in der Gegend keine Kameras. Im Umkreis von vierzehn Meilen ist nur Ackerland und ein Farmhaus.«