KAPITEL 70

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XYLA

Von den Wänden sickert frische rote Farbe auf den alten Holzboden. Es riecht metallisch und nach abgestandener Luft. Ein Hauch Schweiß flimmert durch meine Sinne. Blinzelnd schärfe ich den Blick.

Das ist keine Farbe.

Blut.

An den Wänden, Fenstern, Böden und Möbel klebt Blut.

Fassungslos klappt mir der Mund auf, ein abgehacktes Keuchen verlässt meine Kehle. Meine Stimmbänder scheuern, weil ein panischer Aufschrei mich erschüttert.

Auf dem Sofa liegt eine Person. Ihre Finger zucken, während Blut daran herab auf den Boden tropft. Braune Haare, vollgesaugt mit Blut und vermutlich Schweiß. Unter dem Küchentisch liegt ein Mann. Sein Gesicht ist nicht mehr erkennbar, aber die Statur verrät sein Geschlecht. Blutlachen werden immer größer, sickern in den Teppich und den Stoff des Sofas.

Mir ist noch nie derart bewusst gewesen, dass ich über ein Herz verfüge, allerdings hämmert es so heftig in meinem Thorax, dass es meine Eingeweide erschüttert.

Japsend setze ich meinen Fuß über die Schwelle. Hunter gibt einen gequälten Laut von sich, doch ich schenke ihm keine Beachtung.

Messer, Pistolen und Werkzeuge stapeln sich auf der schmalen Küchenzeile. Völlige Überforderung lässt meine Beine zittern und ich stütze mich an der Wand ab.

Neben einer Tür, die in den Wald zu führen scheint, entdecke ich die Füße einer weiteren Person. Die Schuhe sind verschwunden, sodass die Verstümmelung der Zehen unübersehbar ist. Übelkeit meldet sich in meinem Körper und ich schließe die Augen. Das Zusammenkneifen tut weh, aber ich kann nicht mehr hinsehen.

Blind, bebend und atemlos drehe ich der Szenerie den Rücken zu. Mein Blick fällt auf Hudson, der locker im Türrahmen lehnt und mich schmunzelnd betrachtet. Ich senke den Blick auf meine Finger, als ich sie von der Wand nehme. Blut besudelt meine Haut und ich reiße erschrocken die Augen auf.

Hastig wische ich mit der Hand über meine Hose und wimmere, weil die Spuren nicht vollends verschwinden. Mein Kopf zuckt hoch. Hudson sieht mich forschend an, während Hunter mit den Händen in den Haaren und zerrissenem Gesichtsausdruck schräg hinter ihm steht.

Auf seinem Gesicht schimmert eine leichte Blässe, vermutlich lässt es Hudson ebenso wenig kalt, was Hunter hier getan hat.

Eilig stürze ich aus dem Haus und ringe um Atem. Kraftlos falle ich auf die Wiese vor dem Haus und starre auf die Grashalme hinunter. Eine Hand schiebt sich auf meine Schulter und ich zucke zurück. Panisch krabble ich weg, bringe Abstand zwischen Hunter und mich. »Fass mich nicht an«, wispere ich. Erneut meldet die Übelkeit sich und schickt ein widerliches Sodbrennen in meinen Hals.

»Hudson«, ertönt Hunters Stimme. Er hört sich abgekämpft an, schmerzerfüllt.

Ein Engegefühl befällt meinen Körper und ich japse. Sterne glitzern vor meinen Augen, meine Finger kribbeln und mein Herz pumpt rasend schnell. Hektisch hole ich Luft, doch sie gelang nicht in meine Lungen.

»Xyla, hey«, dringt Hudsons Stimme an mein Ohr. Er taucht vor meinen Augen auf und schließt seine Hände um meine Wangen. Sanft hebt er meinen Kopf an. Da ist keine Luft. »Einatmen.« Seine Forderung bewirkt einen Kurzschluss in meinem Kopf. Mein Brustkorb brennt wie Feuer. Meine Lungen brüllen nach Sauerstoff, aber ich kann ihnen nichts bieten. Da ist keine Luft. Dröhnenden Kopfschmerzen pochen hinter meiner Stirn und lassen mich die Stirn verziehen. Heiße Tränen fließen in Sturzbächen über meine Wangen und benetzen Hudsons Finger. »Xyla, atmen!« Hudson schreit und rüttelt an meinem Gesicht. Schmerz durchschießt meinen Nacken, pulsiert mit dem Schmerz in meinem Brustkorb, doch es bewirkt nichts. Ich kriege keine Luft.

ERASE YOU | 18 +Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt