KAPITEL 44

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XYLA

Meine Füße bewegen sich schleppend vorwärts. Hudson hält meine Hand umschlungen, schleift mich mit und ich kann mich nicht sträuben, selbst wenn ich wollte. Sein Griff ist fest und unerbittlich. Meine Finger fühlen sich feucht an, was unter anderem an dem Blut liegt, das ich noch nicht von meiner Haut gewaschen habe. Hunters Blut.

Sechzehn Stunden saßen wir in der Notaufnahme und haben gewartet. Darauf, dass uns jemand was sagt, darauf, dass Hugh spricht. Nichts ist passiert, bis vor zehn Minuten.

Zehn Minuten, die sich in mein Herz rammen, wie Messerspitzen. Zehn Minuten, in denen der Chirurg jede Menge komplizierte Sätze formuliert hat, die mein Hirn nicht verarbeiten konnte. Ich habe nur eine Sache verstanden. Hunter lebt. Wieder. Er war tot.

Die Vermutung, dass er in meinen Armen gestorben ist, auf dem Weg ins Krankenhaus, hat mich gebrochen. Hudson hat gesagt, dass er geatmet hat, als sie ihn rausgeschafft haben. Er hat sogar gesprochen. Von einem Todesengel und sanften Windböen. Von wärmender Kälte und Vergebung.

Wir sind auf dem Weg zur Cafeteria, weil wir nicht zu ihm dürfen. Keiner von uns, außer Hugh. Hunter liegt auf der Intensivstation.

Everett Remington steht matt blinzelnd im Durchgang zur Cafeteria. Seitdem er eingetroffen ist, hat er die Verschränkung seiner Arme nicht gelöst. Er spricht nicht und wenn, dann schreit er Personal, Patienten oder seine Kinder an. Mia ist gekommen, um nach Hugh zu sehen, aber er schien sie nicht einmal bemerkt zu haben. Ava, die Freundin von Harrison, hat uns ein Versorgungspaket gebracht, das keiner von uns angerührt hat.

Harrison findet keine Ruhe. Andauernd wippen seine Beine, zittern seine Hände oder zuckt sein Körper zusammen. Hudson beißt die Zähne zusammen, sodass sie knirschen, und ich weine stumm und versuche, die anhaltende Kälte zu vertreiben. Ich befürchte, dass sich bald Erfrierungen auf meinem Körper zeigen werden, wenn meine Temperatur nicht ansteigt.

Hana hat mir einen Pullover organisiert. Hunters Pullover. Ich vergrabe mich in dem Stoff, stecke die Nase hinein und kralle mich daran fest. Es gibt mir ein Gefühl von Sicherheit.

Hunter liegt irgendwo in diesem riesigen Gebäudekomplex, an Maschinen angeschlossen, nach einer Operation und einer Wiederbelebung und atmet. Nicht selbstständig, aber die Maschinen halten ihn lebendig.

Meine Kehle kratzt, als hätte ich eine ganze Schachtel Zigaretten auf einmal geraucht und trotzdem bekomme ich nicht einmal Wasser herunter ohne zu würgen.

Ich habe ein kurzes Gespräch zwischen Hugh und Hana mitgehört. Offenbar lebt Octavio Creek, allerdings verwahren sie ihn, bis Hunter wieder auf den Beinen ist. Sie haben von seiner Rache gesprochen. Nicht ihrer.

Blinzelnd nehme ich meine Umgebung wahr. Ich sitze an einem Fensterplatz in der Cafeteria. Hudson stellt Wasser vor meine Nase und Chips. Fordernd sieht er mich an, aber ich bewege mich nicht. Ich weiß nicht einmal, wie ich auf diesen Stuhl gekommen bin. Links neben mir sitzt Everett Remington. Er hat die verschränkten Arme auf den Tisch gelegt und sieht stumm aus dem Fenster. Ein harter Zug liegt um seinen Mund, während seine Stirn verzogen ist. Rötlicher Schimmer umringt seine Augen und ich wende den Blick ab. Hudson hebt die Augenbrauen und schiebt das Wasser an meine Finger heran.

Plötzlich legt sich eine Hand auf meinen Rücken und ich zucke zusammen. Hunters Vater streichelt mir den Rücken und sieht mich forschend an. Seine Lippen bewegen sich, aber er spricht so leise, dass mein Trommelfell einen Moment braucht, um seine Worte wahrzunehmen. »Trinken Sie etwas, Xyla.« Die Sanftheit seiner Stimme erinnert mich an Hunter und ich schlucke schwer. Meine Lippen sind trocken und ich spüre die Risse an meinen Mundwinkeln. »Na los«, fordert er. Im nächsten Moment drückt er die Flasche an meine Lippen und das Wasser trifft auf meine Zunge. Everett streichelt weiterhin konstant über meinen Rücken. Das Schlucken schmerzt wie die Hölle, aber ich gehorche ihm, bis er die Flasche abstellt und mich sanft anlächelt.

ERASE YOU | 18 +Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt