XYLA
Vier Monate nach unserer Wochenendauszeit in dem traumhaften Haus oberhalb der Stadt verstaut Everett Remington die Krücken von Hunter in der Besenkammer. Er braucht sie nicht mehr. Zumindest laut Kegan. Hunter weiß nicht, dass sein Vater sie wegschafft, damit er sich endlich traut, ohne Krücken zu gehen. Er hat Angst. Ich kann es jeden Tag in seinen Augen sehen. Allerdings muss er allmählich über seinen Schatten springen, weshalb Everett der Forderung von Kegan, umgehend und mit einem fiesen Grinsen im Gesicht, nachkommt. Hunter sitzt derweil im Esszimmer und die Saitenklänge einer Gitarre erfüllen das Haus. Er summt leise und es lässt mein Herz kochen, weil er endlich wieder ein Instrument in die Hand nimmt. Letzte Woche habe ich gesehen, wie er in ein Notizbuch geschrieben hat, welches er umgehend versteckt hat, als er mich bemerkte. Gefragt habe ich ihn nicht, aber ich kann mir denken, was er in das Buch geschrieben hat. Hunter findet seine Leidenschaft wieder. Seine Leidenschaft für Noten, Texte und Instrumente. Er erschafft Musik. Songs, die die Herzen von tausenden Menschen berühren.
»Versteck die Krücken hinter einer Packung Erbsen, dann fallen sie ihm bestimmt nicht auf«, grunzt Hudson hinter uns. Everett lacht grollend, genau wie Hunter es tut. Verwundert blicke ich Hudson an, woraufhin das Grinsen auf seinem Gesicht größer wird. »Er hasst Erbsen. Nicht gewusst?«
Verdutzt schüttle ich den Kopf. Es gibt viele Kleinigkeiten, die ich nicht über Hunter weiß, aber mit jedem Tag lerne ich ihn besser kennen und liebe ihn mehr. Er hatte recht, als er gesagt hat, dass ich nicht genau hingesehen habe, während ich mich in ihn verliebt habe. Ich kannte Hunter Remington nie, weil er mir nie die Realität gezeigt hat. Für mich war Hunter ein liebevoller Verlobter, umwerfender Songwriter und in sich ruhender Mann. In den letzten Wochen habe ich so viel mehr von dem wahren Hunter gesehen, als ich jemals geahnt hätte. Und die Liebe in meiner Brust nimmt stetig zu.
»Hast du Lust auf eine Party, Xyla?«, fragt Hudson an mich gewandt. Er lehnt sich an den Türstock und mustert mich flehend. Seitdem Goldie ihm die Pistole auf die Brust gesetzt hat – wörtlich und im übertragenen Sinne –, ist er selten einen Abend zu Hause. Ich weiß nicht, ob er nach Ablenkung oder nach Goldie sucht. Immerhin ist sie seit über einem Monat wie vom Erdboden verschluckt. Hin und wieder schickt sie mir eine Nachricht, wohingegen Hudson leer ausgeht.
»Was schwebt dir vor?«
»Heute Abend gibt es eine R'n'B-Nacht in den Clubs. Hugh und Mia kommen mit und vielleicht kriegen wir auch noch Hana bequatscht, sobald sie sich mal zwanzig Minuten aus Wrens Hose zurückzieht. Hunter wickelst du um den Finger, wenn du irgendeinen heißen Fetzen trägst«, will er mich überreden. Mit gerunzelter Stirn werfe ich einen Blick in Richtung Esszimmer. »Komm schon, Xyla. Wir waren noch nie zusammen feiern. Lass uns, nach der ganzen Scheiße, einen draufmachen. Und wenn Hunt nicht mit will, kümmere ich mich um deine Bewachung, ja?« Mit flehend vorgeschobener Unterlippe sieht er mich an und klimpert mit den Wimpern.
»Der Hundeblick ist fies, Huds«, murmle ich gespielt angesäuert. »Na schön. Ich komme mit.« Hudson grinst breit und Everett kommt endlich aus der Besenkammer hervor.
»Die Überredungskünste haben meine Kinder übrigens von ihrer Mutter«, lässt er mich schmunzelnd wissen. Ganz sanft tätschelt er meinen Unterarm, ehe er ins obere Stockwerk verschwindet.
»Dann überredet doch mal deinen großen Bruder«, schlage ich Hudson vor. Seine Mimik fällt für einen Bruchteil in sich zusammen. Er räuspert sich, verschränkt die Arme vor der Brust und streckt den Rücken durch. Schmunzelnd sehe ich ihm nach, wie er ins Esszimmer schlendert, und verschwinde selbst in Hunters Schlafzimmer.
Gegen zehn Uhr klopft Hana an die Tür und schiebt den Kopf ins Zimmer. Hunter sitzt mit angesäuerter Miene auf dem Bett und hat die Arme vor der Brust verschränkt, während ich meine Haare richte. »Wow«, flötet Hana und schiebt die Tür weiter auf. Ihre grünen Augen scannen mein Outfit, woraufhin ein missmutiges Knurren von Hunter zu hören ist. »Sicher, dass du nicht mitkommen willst, Hunt? Wer weiß, ob Hudson dazu in der Lage ist, sie in dem Aufzug zu beschützen?«, stichelt Hana. Hunter hat am Nachmittag einen ziemlichen Aufstand gemacht, nachdem er mitbekommen hat, dass seine Krücken weg sind. Seitdem hockt er schmollend auf dem Bett.
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ERASE YOU | 18 +
Romance| DARK ROMANCE | Hunter Remington ist Xylas Traummann. Das weiß die millionenschwere Popsängerin, seitdem der talentierte und kreative Songwriter für sie arbeitet. Blöd nur, dass Hunter die Hochzeit mit seiner Jugendliebe plant und nicht das Gleiche...