KAPITEL 28

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XYLA

Unter Tränen hebe ich den Kopf und sehe in Hunters Gesicht hinauf. Er leckt sich die Lippen, starrt mich nachdenklich an. Seine Fingernägel haben Abdrücke auf seinen nackten Armen hinterlassen und seine Stirn ist stark verzogen.

Meine Hände kribbeln, weil der Gürtel mich einengt. Das Engegefühl in meiner Brust ist stärker. Darauf lege ich meinen Fokus. Nichts kann mir körperlich mehr schaden, mich mehr verletzten, als sein Gürtel, um meine Handgelenke. Er könnte mir die Kehle aufschlitzen und es würde mich nicht derart leiden lassen, wie die Tatsache, dass ich ihn im Augenblick nicht berühren kann.

Hunter sieht zerrissen aus. Unschlüssig, ob es eine gute Idee gewesen ist, mir eine so gewichtige Tatsache anzuvertrauen. Mir könnte nicht gleichgültiger sein, dass er - und offenbar auch sein Bruder – Kopfgeldjäger ist und Menschen tötet, wenn es notwendig ist.

Der Umstand, ich könnte ihn verlieren, macht mir viel mehr Angst. Gedanken an seinen Tod, wenn die Jagd auf einen Verbrecher schiefgeht, bereiten mir Panik. Das Blut rauscht in meinen Ohren, während ich ihn ansehe.

Der Wind verwuschelt seine Haare, stetig sieht er mich an und beobachtet jede Bewegung. Seine graugrünen Augen sind von einer Spur Angst durchzogen. Angst vor meiner Reaktion? Angst, was ich tue, wenn er mich losbindet?

Ich rutsche dichter an die Lehne und versuche, meine Finger nach ihm auszustrecken. Es gelingt mir nicht, aber Hunter bemerkt meinen Versuch. Er tritt einen Schritt an meine Hände heran, lässt seine Arme sinken und ich ertaste seinen Unterarm.

Erleichtert atme ich durch, als ich seine Haut unter meinen Fingerspitzen spüre. Mein Kopf sackt gegen das Polster und ich atme. Ich tue nichts anders. Halte mich an ihm fest und atme.

Noch ist er hier. Er lebt, atmet, lacht, leidet, redet und liebt. Hunter ist bei mir und hat mir eine unfassbare Wirklichkeit über sein Leben, seinen Alltag offenbart. Jeder charakterliche Zug wird in einem gänzlich anderen Licht angestrahlt. Hunter wollte sterben, weil Alexandra gestorben ist. Gibt er sich die Schuld nicht nur, weil er an diesem Tag nicht zu Hause gewesen ist? Gibt er sich die Schuld, weil er den Menschen gejagt hat, der sie umgebracht hat? War eigentlich Hunter das Ziel und Alexandra war im Weg?

Seine Fürsorglichkeit, die er Alexandra gegenüber hatte, flackert durch mein Hirn. Erinnerungen an Aussagen, besorgte Telefonate und dass er immer gewusst hat, wann sie zu Hause sein wird oder wo genau sie sich aufhält.

War das alles Teil seines Jobs? Hat er in jeder Sekunde auf sie aufgepasst? War deshalb die Hochzeit mit dermaßen vielen Sicherheitsleuten abgeriegelt? Lag es nicht nur an seinen berühmten Freunden, sondern daran, dass Alexandra beschützt werden musste? Hunter hat von fünf Brüdern gesprochen, aber ich kenne lediglich Hugh und Hudson. Wo sind seine anderen Geschwister? Sind sie aufgrund der Arbeit als Kopfgeldjäger untergetaucht?

Erneut brechen die wimmernden Laute aus meiner Kehle und Tränen rinnen meine Wangen herunter, weil ich ihm in die Augen sehe. Aufgewühltes Flackern, hartes Schlucken, als würde die Schweigsamkeit ihm Schmerzen bereiten. Ich zerre an dem Gürtel, aber bis auf ein Wackeln des Sonnenschirms verursache ich überhaupt nichts. Mit bebenden Lippen sehe ich zu Hunter hinauf, rutsche wieder ein Stück dichter an die Lehne und umklammere seinen Unterarm. Er stört sich daran nicht, sondern lächelt zärtlich. Mein Kopf sinkt erschöpft auf seine Haut und ich atme seinen Geruch ein. Verteile ihn in meinem Körper und zwinge meine Sinne, ihn sich für immer einzuprägen. Hunter. Mein Hunter.

Ich fühle, wie er eine Hand anhebt und sie auf meiner Schulter ablegt. Hunters Hand ist warm und rau. Früher habe ich die Schwielen auf seine Arbeit als Musiker geschoben, jetzt frage ich mich, ob er die Menschen mit bloßen Händen umbringt.

ERASE YOU | 18 +Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt