HUNTER
Donnerstagmorgen bin ich ein zittriges Nervenbündel mit der Tendenz zu Aggressionsproblemen, wenn einer meiner Brüder falsch atmet.
Hana hat sich am Mittwochabend zu einer Übernachtung bei Wren verabschiedet und ist noch nicht zurück.
Ich bin tatsächlich verflucht dankbar, dass Hudson im Augenblick nicht hier ist, denn ihn ertrage ich genauso wenig wie die Tatsache, dass ich in drei Stunden meiner Ehefrau gegenübersitzen werde. Meine eigentlich uneigentlich tote Ehefrau.
Hugh ist zu einem Notfall in die Klinik aufgebrochen, hat mir allerdings versichert, dass er zur vereinbarten Zeit vor Ort sein wird. Er hat einen dummen Witz darüber gerissen, wie sehr er sich darauf freut, mir bei meinem Untergang zuzusehen. Langsam, aber sicher bin ich selbst der Ansicht, dass es nur schiefgehen kann. Es wird katastrophal.
Xylas Stimme ist am heutigen Morgen nicht dazu in der Lage, mich zu beruhigen, obgleich es mich entspannt, dass sie fröhlich ist. »Mom hat dich eingeladen, Thanksgiving mit uns zu verbringen«, erzählt sie, unterdessen fülle ich mir die vierte Kaffeetasse. Ich ignoriere das Zittern meiner Finger, während ich mich an den Tisch setze und mir übers Gesicht streiche. Zum Glück kann Xyla mich im Augenblick nicht sehen, sonst würde sie vermutlich das begeisterte Glucksen herunterschlucken.
»Eine Einladung, die ich sicherlich nicht ausschlagen werde. Ich habe einiges wiedergutzumachen, weil ich deinen Eltern Hudson aufbürde«, antworte ich. Noch ein gespieltes Lachen meinerseits und Xyla bemerkt, wie nah ein heftiger Nervenzusammenbruch ist. Deshalb schlucke ich den Ton herunter und starre in den Kaffee.
»Er benimmt sich überraschend handzahm. Dad ist ganz begeistert von ihm«, berichtet sie. »Du hättest sehen müssen, wie Hudson reagiert hat, als ihm klar geworden ist, dass mein Vater ihn überhaupt nicht sehen kann.« Vor Jahren hat Xyla mir erzählt, wie ihr Vater bei einem Arbeitsunfall erblindet ist. Irgendeine Chemikalie, die ihm die Sehnerven verätzt hat. Jedoch schlägt sich Carlos Palladino beeindruckend.
»Eventuell ist es besser, wenn er ihn nicht sieht. Hudson kann mit seiner Mimik viel verderben«, schmunzle ich. Jetzt ist die Belustigung echt. Ich liebe meinen kleinen Bruder, obwohl er mir häufig auf den Sender geht. Immerhin beruhigt es meine Nerven zu wissen, dass er sich um Xyla kümmert und sie im Auge behält.
»Vermutlich hätte er es sich mit Dad verscherzt, wenn er gesehen hätte, wie enttäuscht er ausgesehen hat, nachdem er erfahren hat, dass ich Einzelkind bin. Hudson hat auf eine Affäre mit meiner nicht existenten Schwester gehofft«, kichert sie. Für mich ist es unmöglich, ihr sanftes Lachen nicht zu erwidern. Bei dem tiefen Seufzen, welches folgt, ist mir sofort klar, dass sie meine Unruhe bis nach Philadelphia spürt. »Geht es dir gut, Hunter?«
»Im Großen und Ganzen schon, aber ich habe mächtiges Muffensausen. Wenn ich ehrlich sein soll, kann ich noch immer nicht glauben, dass ich in drei Stunden meiner totgeglaubten Frau gegenübersitzen werde. Fuck, sie will mit mir essen. Wie soll ich denn einen Bissen herunterbekommen? Ich glaube ja immer noch, dass ich allmählich verrückt werde«, schnaufe ich und fahre mir zum x-ten Mal durch die Haare. Meine Frisur gleicht einem Kriegsgebiet und bevor ich zu Alex aufbreche, werde ich mich darum kümmern müssen. Ich will ihr nicht zeigen, wie sehr mich die gesamte Situation zerstreut und überfordert. »Und ich habe Panik davor, was sie mir erzählen wird. Kannst du dir vorstellen, wie heftig es sich anfühlt, zu wissen, dass ich meine eigene Ehefrau nicht kenne? Herrgott, ich fühle mich, wie auf dem Weg zur Schlachtbank.«
»Verständlich. Sicherlich würde es mir nicht anders gehen und ich kann mir vorstellen, es lässt auch Alexandra nicht kalt. Tut mir leid, dass du da allein durchmusst. Ich wäre gerne geblieben und hätte dich unterstützt«, murmelt sie. Eine Tür wird geschlossen und das Rascheln von Stoff ist zu hören. In meinem Hirn braut sich ein Bild von Xyla in ihrem Kinderzimmer zusammen. Rosa, plüschig und glitzernd.
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ERASE YOU | 18 +
Romance| DARK ROMANCE | Hunter Remington ist Xylas Traummann. Das weiß die millionenschwere Popsängerin, seitdem der talentierte und kreative Songwriter für sie arbeitet. Blöd nur, dass Hunter die Hochzeit mit seiner Jugendliebe plant und nicht das Gleiche...