-11- Sheeps clothing

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Einige Stunden und eine ewige Autofahrt später wurde mir eine Augenbinde vom Kopf gezogen.

Ich blinzelte gegen die plötzliche Helle, auch wenn die Sonne bereits unterging und sich der Himmel verdunkelte.

Zlata war diejenige, die mir meine Augen verbunden hatte und mir auch wieder die Sicht gab.
"Hier wohnst du, richtig?" meinte sie leise und deutete mit einer Handgeste auf die alten Häuser vor uns.
Hinter einer Straßentreppe hinauf, dort konnte ich schon die leicht modrige Tür meines Zuhauses sehen.
"Ja... danke für's Herfahren." antwortete ich ihr und da kam Nandez von der anderen Seite des Autos, zu uns.
Er trug einen silbernen, leicht glänzenden Koffer.

"Hier, wie versprochen." meinte der braunhaarige Fahrer und drückte mir das große Ding in die Hand.
Ich dankte ihm und sah den Koffer ungläubig an.
Zwei Millionen... das würde ich erst glauben können, sobald ich das Geld zuhause zählte.

"Pass gut drauf auf. Wer weiß, wie schnell es jemand in diesem Viertel stiehlt."
Das waren Zlatas letzte Worte an mich, bevor sie mit Nandez in ihrem schwarzen Convo verschwand.
Nun stand ich alleine vor meiner eigenen Haustür, beide Hände um den Griff des schweren Koffers geschlungen.
Silas würde sich sicher sehr freuen. Ich konnte kaum erwarten, sein Gesicht zu sehen.

Nach einem seichten Klopfen an der Tür wartete ich kurz und sah mich währenddessen um.
An den Luxus, in dem Zale lebte, hatte ich mich ein wenig gewöhnt. Aber ich sollte mir bewusst werden... ich lebte immer noch in einem ehemaligen Abrissgebäude, in einem Viertel in dem es üblich war, an jeder Straßenecke einer Schlampe oder einer bewaffneten, sturzbesoffenen Person über den Weg zu laufen. Die... dich vielleicht noch erschoss.
Jetzt, da ich ganze zwei Millionen Dollar »verdient« hatte, konnte ich unser Leben langsam wieder auf gerade Schienen bringen.
Aber es würde seine Zeit dauern.
Um ehrlich zu sein, würde ich einen großen Teil des Geldes gern zurücklegen. Aufheben.
Warten... bis Silas die Schule beendet hatte.
Um ehrlich zu sein... wirklich ehrlich... wollte ich ihm das Geld überlassen.
Er sollte sich ein Leben aufbauen, tun was auch immer er wollte, damit. Das konnte ich selbs nie.
Und seit ich denken konnte, passte ich auf ihn auf und hoffte, er würde es weiter schaffen, als ich es je könnte.
Silas sollte aus diesem Viertel raus und sein Leben genießen, ohne auf die Zeiten hier, in diesem ekeligen Haus, zurück denken zu müssen...
Er sollte all das eines schönen Tages einmal vergessen.

"Kay? Hallo? Erde an Kay?"
Silas riss mich auf einmal aus den Gedanken.
Er hatte die Tür geöffnet und mich sehr wahrscheinlich schon mehrmals angeredet.
"Oh-hi... sorry, ich war in Gedanken-..." "Wo warst du so lange?" fuhr er mich plötzlich an und ich erkannte Sorge in seinem Blick.
"Hey, mir geht's gut." "Welcher »Kunde« nimmt dich bitte mit zu sich nachhause? Und- was hast du da? Und warum der Verband?" murrte er und deutete auf den Koffer, der jetzt schon ziemlich schwer zu halten wurde, und meine verbundene Hand.
"Äh... reden wir in der Küche."

.
Bald darauf saßen Silas und ich uns schweigend am Küchentisch gegenüber, in unserer Mitte der Koffer.
"Also... was is da drinnen?" fragte mein Gegenüber und ich erklärte ihm den Inhalt. Wahrheitsgemäß.
"Da sind... zwei Millionen Dollar drinnen. Die Bezahlung für meinem letzten Job." gab ich zu, mit einen leichten Seufzen in der Stimme.
Silas starrte mich zuerst nur still an. Das hatte ich auch erwartet.

"Wie oft musstest du bitte mit ihm schlafen, um... ich will es mir gar nicht vorstellen." meinte er, in seinen Augen spiegelten sich Ekel und Verzweiflung wieder.
Ja, er hasste es, dass ich meinen Körper für sein Wohl verkaufte. Aber das war meine Entscheidung.

"Es war ein einziges Mal. Versprochen, nur ein Mal."
Ein (sehr... langes...) Mal.
Darauf sah er mich skeptisch an und zischte "Ich hasse es, mir vorzustellen, dass dich irgend so ein alter, besoffener Arsch angrapscht und... und... wäh...!" "Ja, das weiß ich. Aber du musst wissen, es war kein hässlicher und auch kein alter Mann. Ich... hab es genossen. Vielleicht... sogar mehr, als er." entgegnete ich schnell und lehnte mich gegen die kalte Wand zurück, in süßen Erinnerungen der vergangenen Nacht schwelgend.
"Also... du musstest nur ein einziges Mal mit ihm schlafen? Und bekommst zwei verdammte Millionen?! Wie reich ist der Kerl?"
Nun, diese Frage hatte ich mir auch schon mal gestellt.
Wisst ihr noch?
Im Auto, kurz bevor ich einschlief.

"Ja, das wäre-..." "Warte. Ist er ein Gangster?" unterbrach Silas mich plötzlich und ich stockte.
"Äh..." "Also ist es ein Gangster."

Jetzt starrten wir uns nur noch gegenseitig an.
"Hey, das mit dem Geld ist schön und so... aber wir sollten vorsichtig sein. Du weißt schon..." murmelte Silas nach einer Zeit und ich sah ihm bereits etwas an Erleichterung an.
Leicht belustigt nickte ich und meinte, wir würden das Geld erst eine Weile verwahren und abwarten, bis wir unser Leben umkrämpeln würden.
Nur eine kurze Zeit.
Aber Silas schien, das Geld und dessen Herkunft zumindest ein wenige mehr zu akzeptieren, als ich es erwartet hatte.

.
Eine gute Stunde später lag ich neben Silas, auf seinem Bett und starrte die Decke des Raumes an.
Der Koffer würde nun eine Zeit unter der Couch bleiben, auf der ich schlief.

"Glaubst du... der Mann, bei dem du warst, gehört zur Huntback Mafia?" erhellte Silas' Stimme die dunkle Stille und ich drehte meinen Kopf zur Seite, um ihn anzusehen.
"Darüber... hab' ich gar nicht nachgedacht." gab ich zu und dachte nach.
Die Huntback Mafia war die größte, komplexeste und schwerste Organisation dieses Landes.
Besonders in dieser Gegend sollte es immer wieder Leute geben, die in ihrem Namen handelten. Viele kleine Organisationen die mit allem möglichen von Menschen bis hin zu Waffen und Tötungsdiensten, über Drogen und Identitäten handelten. Alles im Namen eines einzigen.
Sie alle zusammen gaben die sogenannte Huntback Mafia. Geführt von einer gar nicht so großen Familie.
Genauer gesagt von einer, die niemand je idendifizieren konnte.

"Darüber nachzudenken ist jetzt auch schon überflüssig. Ich werde ihn wahrscheinlich nie wieder sehen." seufzte ich in die Nacht und setzte mich auf.
Bald sollte ich in mein Zimmer gehen. Hier war nicht genug Platz für uns beide.

"Wie heißt er überhaupt?" fragte Silas leise und ich sah ihn an, mit hochgezogenen Augenbrauen.
"Was? Das war das erste Mal, dass du es anscheinend genießen konntest. Das... freut mich für dich?" murmelte mein kleiner Bruder zurück und ich schüttelte schmunzelnd den Kopf.
"Da will ich schon wissen, wie der heißt."

"Jaja, schon gut." erwiederte ich und schloss die Augen.
Ich erinnerte mich noch genau an Zale. Seine halbblinden Augen, seine wunderschönen Tattoos und die Tiefe seiner Stimme.
Seine raue Haut und seine sanften Berührungen.
Zitternde Berührungen...

"Zale. Er... heißt Zale..."

𝑴𝒐𝒏𝒔𝒕𝒆𝒓 [𝐁𝐋]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt