-47- Boomboy

44 5 2
                                    

"Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, welcher Tag im Jahr es war, aber die Nacht war noch kühl und die Tage etwas kürzer." begann sie, zu erzählen und ich zog meine Knie eng an meine Brust, um bequem zu sitzen.

"Zales Vater Alessrá war in einem verlasenen Lagerhaus mit einem größeren Drogendealer verabredet und musste selbst kommen, da dieser Deal ziemlich wichtig war... Weil Zale zu der Zeit anfing, in die Geschäfte der Organisation reinzuwachsen, wollte Alessrá ihn dort hin mitnehmen. Je schneller er Zale beibrachte, mit der Organisation umzugehen, umso schneller war er sie los..."
Kurz seufzte sie auf und murmelte etwas zu sich selbst, das ich nicht verstand.
Fragend und mit schiefgelegtem Kopf sah ich sie an und sie winkte schnell ab.

"Jedenfalls... waren Valró, Nandez, ich und noch einige mehr auch mitgekommen und rund um das Gebäude stationiert worden. Wir sollten aufpassen, dass der Deal ungestört vollzogen werden könnte, und ob die Polizei etwas merkte. Also standen wir einige Stunden dort herum, um das alte Gebäude, als... es plötzlich in die Luft flog."
Als sie das sagte, weiteten sich meine Augen erschrocken.
Aber ich muste zugeben, so etwas hatte ich ungefähr erwartet.

"Es war wie ein Feuerwerk. Das Gebäude wurde von innen heraus zerrissen und eine heiße Druckwelle fegte sämtliche von uns von den Beinen... Es hat sich herausgestellt, dass jemand einen Bombenanschlag auf Alessrá geplant hatte. Aber der hat das Gebäude mit dem anderen Dealer für einen kurzen Moment verlassen, sodass Zale alleine darin war. Und das... war der falsche Moment... Zale war nicht das Ziel, da niemand wusste, dass auch er da sein würde, aber im Endeffekt hat es ihn am schlimmsten erwischt." "Und was ist mit euch? Ihr seid doch auch daneben gestanden." warf ich besorgt ein und Zlata zuckte sie Schultern.

"Ich hab' nicht darüber nachgedacht. Nachdem mich die Explosion zu Boden gerissen hat, und das Feuer bereits an mir nagte, stand ich einfach auf und begann sofort, Zale zu suchen. Ich muss zugeben... ich hatte mehr Angst um ihn als irgendjemand anderes, als ich durch die Trümmer des zerfetzten Gebäudes kletterte und suchte. Meine Trommelfelle sind immer noch etwas beschädigt... Dieser Knall war wirklich sehr laut." meinte sie und ich erkannte in ihren Augen, was sie mit alle dem meinte.
Sie hatte Zale grob gesagt schon fast großgezogen. Natürlich hatte sie da Angst um ihn.

"Alessrá wurde sofort gefunden und bewusstlos ins nächste Krankenhaus gebracht. Einiger unserer Wachen, die auf der nördlichen Gebäudeseite gestanden hatten, waren tot und auch der Dealer, mit dem der Boss sich treffen sollte, atmete nicht mehr. Also machten sich alle daran, den letzten zu finden, der dort irgendwo noch liegen musste... Zale..."
Ich konnte den Schmerz in ihren Augen sehen und traute mich schon gar nicht mehr, zu atmen.
Als würde sie jedes Geräusch von mir zum Weinen bringen.

"Die Sprengladung, die das alles verursacht hat, lag unter dem Gebäude, in den Lufträumen über dem Erdboden versteckt, und an einen Timer angeschlossen. Die Täter zu finden, war unmöglich... Wir suchten Zale ungefähr eine Stunde lang, bis Nandez und ich ihn fanden. Zu dem Zeitpunkt war die Haut an meinem Bauch schon so zerfressen von der Hitze und verdreckt vom Staub, dass ich diese riesige Narbe nun für immer behalten werde." erklärte sie und ich nickte betrübt.
Sie hatten alle schon so viel Grausames erlebt...

"Zale war bewusstlos und hatte mehrere, gefährliche Verletzungen, als wir ihn fanden. Ich half etwas mit Erster-Hilfe, aber er musste schnell ins Krankenhaus. Dort wurde dann festgestellt, er habe mehrere zersplitterte Knochen und ein derartiges Schädel-Hirn-Trauma, dass ein irreperabler Schaden entstanden ist... Überraschender Weise verheilten die Knochen, entgegen der Vermutungen der Ärzte, langsam von selbst, und auch seine Trommelfelle waren in Ordnung. Nach einigen Wochen Im Koma und noch einigen Monaten in Krankenhaus, waren Narben alles, was von diesem Tag blieb. Bis auf den Hirnschaden und das Trauma, das er jetzt hat."
Zlata beendete ihre Erzählung mit einem tiefen Seufzen und ich sah sie einfach still an.

Was sie da erlebt hatten, war schrecklich.
Nicht nur für Zale... aber ganz besonders für ihn.
Er hätte an dem Tag gar nicht dort sein müssen.
Und jetzt trug er für immer Narben davon.
Sowohl sichtbare, als auch unsichtbare.

Still wandte ich meinen Kopf ab und sah hinauf, in den dunklen Sternenhimmel.
In ein paar Stunden schon würde der ganze Himmel voll von grellen Explosionen und lauten Knallern sein.
Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie das für Zale die letzten Jahre war.
An einem Tag des Festes nicht feiern zu können, sondern Angst haben zu müssen.
Genau wie an seinem Geburtstag...

"Aber hey..." meinte Zlata da plötzlich und nahm meine Hand.
"Zale hat zwar viel erlebt, aber er ist unter dem ganzen Gewicht nie zusammengebrochen. Und heute hat er Unterstützung." lächelte sie und deutete mit ihrem Zeigefinger auf mich.
Ich schmunzelte und sah auf unsere Hände hinunter.
Zlata hatte recht.
Dieses Jahr würde Zale nicht alleine sein.
Und auch danach nicht mehr.

.
Einige Stunden später saßen Zlata und ich schon wieder im Wohnzimmer, bei den anderen, und sahen aus dem Fenster.
Dieser Stock ist fast komplett von Glaswänden umgeben und man hatte eine wahnsinnige Aussicht, sowohl auf die Stadt, als auch den Himmel.

"Er sollte bald kommen." meinte Valró, der jetzt schon das dritte Mal auf die Uhr sah, und biss noch einmal von seinem Brot ab.
Wir hatten gerade Abend gegessen und Valró verspeiste noch die Reste seines Tellers.
"Es ist schon fast Mitternacht." meinte Silas und stupste mich mit dem Ellenbogen leicht an.
Ich nickte, teils besorgt, teils aufgeregt.
Dieses Jahr war ein absolutes Chaos. Zumindest seit ich Zale getroffen hatte.

"Achja, Silas... was machst du nach deinem Schulabschluss eigentlich mit den 2 Millionen Dollar? So lange dauert es nicht mehr und ihr habt sie doch immer noch nicht ausgegeben, oder?" fragte Zlata da meinen Bruder und er stockte.
"Hm..." gab er von sich und auch ich sah ihn neugierig an.
Er hatte mir nie gesagt, was er überhaupt nach der Schule machen wollte.
"Naja... ich hab' mir schon was überlegt..." meinte er und wandte sich auf einmal direkt an mich.
"Aber ich will noch eine Weile darüber nachdenken." "Es bleibt also noch ein Geheimnis?" entgegnete ich und Silas nickte grinsend.
"Vielleicht erzähl' ich es euch nächstes Jahr." lächelte er und ich verdrehte die Augen.
"Sehr witzig." gab ich zurück und drückte ihn spielerisch am Kopf weg.
Gerade wollte ich noch etwas sagen, als plötzlich ein lauter Knall ertönte und das schwache Licht, das in das Gebäude strahlte, verfärbte sich für einen Moment tief rot.

Erschrocken sah ich auf die Uhr.
Ein paar Minuten vor Mitternacht.
Da hörte ich die Eingangstür zufallen und fuhr hoch.
Zale war zuhause.

Zlata und ich wechselten einen schnellen Blick und ich machte mich auf, in den Vorraum.
Ich würde Silvester nicht mit den anderen verbringen.
Zlata und ich hatten uns abgesprochen, dass ich bei Zale bleiben würde.
Er verschwand nämlich jedes Jahr an Silvester in seinem Schlafzimmer, sobald die Feuerwerke losgingen.

"Zale?" fragte ich vorsichtig und lugte um die Ecke, wo sich die Tür befand.
Zale stand davor und zuckte bei den lauten Geräuschen immer wieder zusammen.
Jetzt waren es noch sehr wenige.
Aber es würden schnell mehr werden.

"Hey, Zale..." "Warum bist du nicht bei den anderen?" murrte er und wurde seine Jacke los, bevor er sich den Kopf hielt und auf sein Handy sah.
Er checkte die Uhrzeit.
"Zale... sieh mich an, bitte." meinte ich leise und kam zu ihm.
Ich legte meine Hände an seine Wangen und sah zu ihm auf.
Er war angespannt.

"Kann ich mit dir mitkommen?" fragte ich und folgte ihm, als er sich nach einem weiteren Knall aus meinem Griff wandte und ein paar Schritte zur Seite trat.
In die Richtung seines Schlafzimmers.
Da hielt er inne und drehte sich zu mir um.

"Zlata hat es dir erzählt, oder?" murmelte er und ich nickte schuldbewusst.
Irgendwie wünschte ich mir gerade, sie hätte es mir nicht erzählt.
Wie er mich ansah...

Da seufzte er laut auf und hielt mir seine Hand entgegen.
Überrascht sah ich ihn an.
"Komm schon. Beim nächsten Knall bin ich weg." meinte Zale, und als das nächste Feuerwerk hochging, lag meine Hand schon in seiner.

𝑴𝒐𝒏𝒔𝒕𝒆𝒓 [𝐁𝐋]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt