-27- Once

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𝒁𝒍𝒂𝒕𝒂𝒔 𝑺𝒊𝒄𝒉𝒕
-𝒅𝒂𝒎𝒂𝒍𝒔

Es war der 18. Dezember.
Die Nacht war so laut.
So viele Stimmen und Leute.
Schritte und Trubel.
Ruanas schmerzerfüllte Schreie...

Vor einer Stunde hatte sie angefangen, zu schreien.
Sie hatte starke Schmerzen, das konnte man ihr ansehen.
Sie lag in einem großen Bett, in einem kleinen Raum.
Ich stand neben dem Bett, am Fenster, und starrte sie an.
Die Geburt hatte angefangen... deshalb hatte sie solche Schmerzen.

.
Mit 13 Jahren kam ich hier her, in die geschlossenen Kreise der Huntback Mafia.
Es war kompliziert. Und beängstigend.
Ich wurde nur gedulded, um mich um eine Frau namens Ruana Vukasin zu kümmern, die zu diesem Zeitpunkt gerade herausgefunden hatte, dass sie schwanger war. Als einziges Mädchen um sie herum war ich dafür verantwortlich, dass es ihr gut ging. Anscheinend dachten die Männer, es wäre gut für sie, von einer weiblichen, jungen Person umsorgt zu werden.
Besonders als ihre Schwangerschaft fortschritt und sie krank wurde, sodass sie nach einer Zeit kaum mehr aus dem Bett kam.
Die ersten Monate war ich ängstlich und auch meinen 14. Geburtstag feierte ich das erste Mal alleine.
Ruana wartete jeden Tag, bis ich von mir aus zu ihr kam.
Und sie war anders als die anderen in der Organisation.

Sie redete langsam mit mir, da ich die Sprache noch lernte und erzählte mir einfache Geschichten über sich und ihren Ehemann, Alessrá Vukasin, der zu der Zeit der frische Boss der Huntback Mafia war.
Und nun seinen Erben erwartete.
Alessrá war ein grausamer Mann und tat viele grausame Dinge. Er leitete den Menschen- und Drogenhandel der Organisation und kümmerte sich aus Spaß selbst darum, kleinere und unwichtigere Feinde der Huntback Mafia zu erledigen.
Aber wenn ich ihn mit seiner Frau sah... war er so sanft und geduldig.
𝑆𝑖𝑒 𝑤𝑎𝑟 𝑠𝑒𝑖𝑛𝑒 𝑠𝑎𝑛𝑓𝑡𝑒 𝑆𝑒𝑖𝑡𝑒.

Ruana war von Grund auf freundlich und schien, von den Taten und Geschäften der Organisation nicht wirklich beeinflusst zu werden.
Sie war eine schöne Frau, mit langen, schwarzen Haaren, dunklen, schimmernden Augen und diesem strahlenden Lächeln.
Ich hatte Stunden an ihrem Bett gesessen und ihr zugehört, wie sie mir ihre Geschichten erzählte. Jedes Mal stand eine Stoffkatze auf dem kleinen Regal neben ihrem Bett und sie gab mir das Kuscheltier, wann auch immer ich bei ihr war.
"Das ist Skandi. Sie ist ein Glücksbringer." hatte sie mir erzählt, als ich meinen Blick das erste Mal darauf gelegt hatte.
Immer, wenn ich an ihrem Bett gesessen hatte, hielt ich es in den Armen und hörte ihr zu. Ich durfte sogar ihren geschwollenen Bauch anfassen und konnte das Baby treten fühlen.
Aber sie hatte mich nie... nach etwas gefragt. Sie war krank, schwanger und schwach, aber machte trotzdem alles alleine, weil ich zu ängstlich war.
Ich fühlte mich schlecht deshalb, aber sie redete mir immer gut zu und meinte, es wäre in Ordnung.
Auch, als man ihr die Schwäche schon an ihrer blassen Haut und den dunklen Augenringen ansehen konnte, schützte sie mich. Sie erzählte ihrem Mann, wie gut ich mich um sie kümmere und dass ich mich gut machte.
Das tat sie, bis heute.
Und ich konnte nicht einmal sagen, ob sie es jetzt bereute.

.
In dem Raun tummelten sich zu viele Leute.
Zumindest für meinen Geschmack.
Ärzte, Wachen, Bedienstete und Alessrá Vukasin selbst, mit seiner kleinen Gruppe von Bodyguards, die ihn überall hin begleiteten.
Seine Frau Ruana schrie und stöhnte vor Schmerz und ich musterte sie still. Mein Körper war eingefroren vor Angst und in meiner rechten Hand hielt ich das Katzenstofftier.
Ich hatte es mitgenommen, als ich erfuhr, dass die Geburt begonnen hatte.
Nun stand ich reglos neben dem Bett und sah zu.
Mein Herz pochte mir bis zum Hals und kalte Schauer jagten über meinen ganzen Körper.

Zwei der persönlichen Leibärzte knieten bei Ruanas Beinen, die sie weit gespreizt hatte. Eine schlichte Decke lag darüber und Alessrá stand genauso neben ihr, hielt ihre Hand und schrie die Ärzte an, sich zu beeilen.
Blut klebte an den Handschuhen, die sie trugen und auch nach einer ganzen Stunde schien es, als hätte die Geburt noch keine Fortschritte gemacht.
"Das Baby liegt in Steißlage!" hörte ich einen der Ärzte rufen und sah zu, wie er sich neben Alessrá drängte und anfing, seine Finger in Ruanas Bauch zu drücken.
Er wollte das Baby drehen.

Ruana war in der Zwischenzeit leiser geworden.
Sie war erschöpft.
Man konnte die Wellen von Schmerz sehen, die über sie rollten, bei jeder Wehe und den Handgriffen des Arztes.
Die Bettdecke verfärbte sich dunkelrot und ich konnte sehen, dass Ruanas Kraft sie verließ.
Neben mir und an den Seiten des Raumes standen mehrere andere Leute, genau wie ich, in schwarze Änzuge gekleidet, und mit einem besorgten Gesichtsausdruck.

.
Nach weiteren zwei Stunden konnte ich ein Baby weinen hören.
Die Geburt war vorbei. Der Arzt konnte den kleinen Körper drehen und hatte es geschafft.
Ruana hatte es geschafft...
Dachte ich... zumindest.

Einer der Ärzte hielt das Neugeborene in seinen Händen und trug es zu einem kleinen Tisch, in der Raumecke, um es zu versorgen.
Währenddessen saß der zweite Arzt noch an dem Bettende unter Ruana und hatte seine Hände an ihrem Becken, unter der Decke auf ihren Beinen.
Sein Gesichtsausdruck sah nicht vielversprechend aus. Er schwitzte und war voll mit Ruanas Blut.
Alessrá, der sich in der ganzen Zeit nicht bewegt hatte, starrte ihn nur noch wortlos an und hiet Ruanas Hand.
Sie selbst war still geworen und keuchte schwer.
Sie sah zu mir, für einen kurzen Moment und ich umklammerte die Stoffkatze Skandi nun noch fester, mit beiden Armen.
Skandi war ein Glücksbringer.
Das hatte Ruana mir selbst gesagt. Das musste doch helfen, nur ein bisschen!

Und da konnte ich es sehen.
Das Licht in ihren verschleierten Augen erlosch.
Ihr Körper erschlaffte und das Blut, das sich schon auf dem ganzen Bett ausgebreitet hatte, tropfte zum ersten Mal auf den Boden.
Sie hatte aufgegeben.
Ruana war tot.

"Ruana... Ruana! Nein, Ruana! Scheiße...! Scheiße!"
Alessrá realisierte es im selben Moment, wie ich.
Er war wütend. Und traurig. Und aufgebracht.
Ich konnte ihn verstehen.
Auch ich war traurig und wütend.
Wütend auf mich.
Ich hätte mich um sie kümmern sollen. Ich hätte da sein sollen.
Sie war mir immer entgegen gekommen und ich... hatte den Schwanz eingezogen.

"Es tut mir leid, Sir. Ihr Körper war zu schwach für eine derart schwere Geburt." hörte ich den Arzt, der versucht hatte, Ruana zu retten.
Kurz wandte ich den Blick zu Alessrá und bemerkte etwas. Er sah hinüber, zu seinem neugeborenen Kind.
Ein Junge, wie sich später heraus stellte.
Und er sah ihn mit kaltem Hass an.
Ein Gefühl, dass kein Vater für sein Kind fühlen sollte.

Ich wusste jetzt schon, das Leben dieses kleinen Babys würde kein Schönes werden.
Wirklich nicht.

Mit Tränen in den Augen wandte ich mich von Ruana ab und schlich durch den Raum, hinüber zu dem kleinen Tisch mit den schreienden Neugeborenen.
Der Arzt, der es von dem ganzen Blut reinigte, war zu beschäftigt, um mir Beachtung zu schenken. Besonders als er zu seinem Kollegen stieß, und das Baby alleine ließ, beachtete uns niemand mehr.
Also stellte ich mich daneben und musterte es.

So ein kleiner, zerbrechlicher Körper... jetzt in den Fängen eines so wütenden Mannes.
Und das war zu einem großen Teil meine Schuld.

"Ich werd' dich schon beschützten, Kleiner." flüsterte ich, ohne von jemandem gehört zu werden, und sah dann Skandi an, die schon Eindruckstellen von meinen Fingern hatte.
"Versprochen."

Die Nacht war auf einmal so still.
Keine Stimmen...
Keine Schritte, kein Trubel mehr...
Keine Schreie.

Nur das im Vergleich leise Jammern eines Neugeborenen, das gerade seine Mutter verloren hatte.
Und somit auch seine Zukunft.

Zale Vukasin.

𝑴𝒐𝒏𝒔𝒕𝒆𝒓 [𝐁𝐋]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt