Part 9 - Eine ungewöhnliche Beobachtung

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Schlecht gelaunt und leise grummelnd laufe ich neben meinem Vater in das Schulgebäude.

„Was machst du denn schon wieder für ein Gesicht?", fragt er mich vorwurfsvoll. „Freue dich doch einfach mal, dass du endlich deine Cousine wiedersiehst und dass sie von den paar Wochen bis zu den Sommerferien vom Direktor extra befreit wurde und somit mit euch mitkommen darf!"

Es ist egal, was ich dazu sage, denn mein Vater ist nicht nur einfach mein Vater. Er ist zugleich auch noch mein Manager, was tierisch anstrengend ist, denn so kann er mir auf zweierlei Weise vorschreiben, wie ich mich zu verhalten und was ich zu tun hätte.Nämlich als mein Vater und somit immer in den falschen Situationen als mein Moralapostel und dann noch als Manager, also als Chef. Ich weiß nicht, wie ich mich jemals darauf habe einlassen können, aber jetzt kann ich es nicht mehr einfach so ändern.

„Ihr habt euch doch früher immer so gut verstanden!", versucht er mich erneut zu überzeugen. Das ist in etwa so, als würde er mir sagen,dass ich mich doch früher so für meine Legosteine interessiert hätte und sich wundert, warum das mittlerweile nicht mehr meine Hauptbeschäftigung ist. Außerdem war das früher auch noch etwas ganz anderes. Damals haben wir noch im selben Bundesstaat gewohnt,waren quasi Nachbarn. Wir sind zusammen aufgewachsen. Es war vorprogrammiert, dass wir uns richtig gut verstanden haben. Aber das ist Jahre her. Seitdem hatten wir kaum noch Kontakt und sie hat sich auch ziemlich distanziert verhalten, wenn wir uns denn mal gesehen haben. Sie hat sich so verändert, wer weiß, wie sie jetzt drauf ist. Und überhaupt! Ich wurde mal wieder nicht gefragt, meine Zustimmung wurde wie immer vorausgesetzt, als sie die anderen schon gefragt hatten, ob es für sie in Ordnung wäre. Und für sie war es natürlich in Ordnung, was denn auch sonst?

Ich will gerade etwas antworten, als ich wütendes Gebrüll recht von mir wahrnehme. Und das nicht gerade undeutlich. Abrupt bleibe ich stehen und auch mein Vater läuft nicht weiter.

„Josy!... Unmögliches Verhalten ... Zutiefst erschüttert! ...Schulverweis! ...", kann ich einige Wortfetzen aufschnappen. Da musste wohl jemand ordentlich Mist gebaut haben. Bei diesem Gedanken musste ich, warum auch immer, unwillkürlich grinsen. Just in diesem Moment geht die Tür zum Direktorat auf und ein gelangweilt guckendes Mädchen tritt heraus. Wow, so wie ich das eben verstanden habe, ist sie gerade von der Schule geflogen. Das scheint sie jedoch nicht sonderlich zu interessieren.

Kurz darauf kann ich erkennen, wie sie sich Kopfhörer aus den Ohren zieht. Sie hat wahrscheinlich überhaupt nicht mitbekommen, was ihr soeben passiert ist! Wie dreist ist das denn, bei einem Gespräch mit dem Direktor einfach Musik zu hören? Mein Vater scheint bei diesem Anblick auch mehr als perplex zu sein. Kein Wort dringt über seine Lippen, während er sie weiterhin beobachtet.

Gelangweilt steckt das Mädchen seinen mp3-Spieler in den Rucksack und schleudert diesen lustlos in eine Ecke, nur um sich kurz darauf daneben auf den Boden zu setzen. Dann zieht sie ihr Handy hervor und spielt daran herum. Etwa fünf Minuten lang geht es so, in denen wir immer noch bewegungslos dastehen, da wir noch zu verblüfft von dem Geschehen sind. Als ich schon spüre, dass mein Vater weiter gehen will, ertönt plötzlich eine neue Stimme.

„Hey,nicht so eilig. Wir haben eine Verabredung, weißt du das nicht mehr?", meint da eine süßliche Stimme, die jedoch deutlich spürbaren, bedrohlichen Unterton enthält. Auch das Mädchen legt sein Handy weg und sieht sich aufmerksam um. Und auf einmal sehe ich sie. Es sind ein großer Junge und ein Mädchen, das etwa zwei Jahre jünger als ich zu sein scheint. Es versucht sich von ihm loszureißen, da er es am Oberarm festhält. Allerdings bringt das nicht viel. Stattdessen stößt der Junge das Mädchen gegen die Wand und drückt es dann auch mit der anderen Hand dagegen. Das sieht gar nicht gut aus. Die beiden haben nun auch die volle Aufmerksamkeit des Mädchens, das vorhin aus dem Direktorat kam. Es wirkt angespannt.

„Wo ist mein Geld?", fährt das Junge das Mädchen an der Wand auf einmal an und stößt sie dabei noch einmal gegen die Wand, sodass man förmlich sehen kann, wie die Luft aus ihr herausgepresst wird.Ich zucke vor Schreck zusammen. Im Gegensatz zu meinem Vater, ebenso untätig ist, wie ich, und mir, ist das andere Mädchen nicht so handlungsunfähig, sondern steht auf und geht auf die beiden zu. Ist sie noch ganz bei Trost?! Wenn sie sich da einmischt, sieht das bestimmt nicht gerade gut für sie aus. Auch mein Vater beobachtet das Geschehen gespannt und wagt es ebenso wenig einzuschreiten.

Das Mädchen an der Wand zittert und wirkt völlig verängstigt, sodass bei weitem nicht mehr aussah, als sei es vierzehn, fünfzehn Jahre alt, wie ich zuerst vermutete. Es dreht den Kopf weg und wimmert:„Ich habe kein Geld..."

Der Junge holt aus, um zuzuschlagen und augenblicklich halte ich die Luft an. Doch es kommt nicht dazu, denn das andere hält einfach seine Hand fest und zischt: „Wage es ja nicht!" Und das Festhalten scheint ihr sonderlich schwerzufallen, sie wirkt nicht einmal richtig angespannt, lediglich unendlich wütend.

Der Junge dreht sich erstaunt um, aber als er das Mädchen sieht, tritt ein widerliches Lächeln auf sein Gesicht. „Wieso sollte ich nicht?", fragt er süffisant. Er scheint sich über sie lustig zumachen, das kann doch gar nicht gut gehen. „Willst du, Kleine, es mir etwa verbieten?", er lacht gehässig auf.

„Nenne mich noch einmal „Kleine" und du hast ein größeres Problem, als darüber nachzudenken, unter welcher Brücke du heute Nacht schläfst,weil dich deine Eltern rausgeschmissen haben", kommentiert sie trocken und sieht ihm dabei direkt in die Augen. Sie wirkt so angstfrei, dass einen diese Aussage schon fast zum Lachen bringen könnte, wenn die Situation nicht doch noch so bedrohlich aussehen würde. Das Mädchen an der Wand wird noch immer mit einer Hand festgehalten und sieht ängstlich zu den beiden hin.

„Meine Eltern haben mich nicht...", fängt er verwirrt an, merkt jedoch bald seinen Fehler. Ist er wirklich so blöd? „Moment, versuchst du mir etwa gerade zu drohen?", fragt er ungläubig.

„Sieh es, wie du willst", seufzt sie, „aber lass das Mädchen sofort los, oder es wird gleich ungemütlich", droht sie erneut. Ich muss sagen, das Mädchen hat Mut.

„Okay,Schluss mit lustig!", er stößt das Mädchen, das er eben noch mit einer Hand festgehalten hat, noch einmal kräftig gegen die Wand,sodass es keuchend und mit Tränen in den Augen die Wand herunterrutschte. Wütend sah das andere Mädchen den Jungen an.

 „Du hast es nicht anders gewollt..."



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