Part 10 - Schulverweis

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Ich drücke seinen einen Arm weg, als er mit der Hand des anderen ausholt, um zuzuschlagen. Im letzten Moment ducke ich mich darunter weg, greife um und habe ihn im Schwitzkasten. Allerdings reagiert er schnell und bald sind wir in einer wilden Rangelei, die deutlich anspruchsvoller ist, als die heute Morgen mit Jason. Aber den kann man nun wirklich nicht ernst nehmen. Irgendwie schaffe ich es, ihm das Gesicht auf den Steinboden zu drücken und ihm gleichzeitig mit einer geschickten Bewegung die linke Schulter auszukugeln. Er schreit vor Schmerzen auf und ich lasse von ihm ab, da er jetzt wohl nichts mehr machen wird. Die Schmerzen hat er sich bei diesem Verhalten definitiv verdient.

„Wenn ich dich bei so etwas noch einmal erwische, dann kommst du nicht so glimpflich davon!", drohe ich noch, dann drehe ich mich zu dem Mädchen, das noch immer an der Wand kauert. Tränen laufen ihm über das Gesicht und es zittert wie Espenlaub.

„Alles klar?", frage ich und lege dem Mädchen eine Hand auf die Schulter. Ich bin wirklich nicht gut darin, andere zu trösten. Alleine diese Frage spricht schon für sich, denn niemandem geht es gut, wenn er Rotz und Wasser heult. Weggehen kommt jetzt aber auch nicht infrage. Das Mädchen sieht mich mit großen Augen an und braucht eine Weile, um zu reagieren. „D-danke", murmelt es.

„Kein Ding!", grinse ich und ziehe es hoch. Mit dem Ärmel seiner Stoffjacke wischt es sich über die Augen und versucht, sich wieder zu beruhigen.

Im Augenwinkel sehe ich einen Mann und einen Jungen, der etwa in meinem Alter sein muss, auf uns zukommen. Was denn jetzt noch?

„Entschuldigung?", spricht der Mann auf einmal, während der Junge erst mich anstarrt und dann das Mädchen neben mir, das auf den Boden sieht.

„Was gibt's?", frage ich desinteressiert. Ich habe mich gerade gegen den restlichen Schultag entschlossen und will nun schnellstmöglich nach Hause und diesen grauen Kasten hinter mir lassen. Doch bevor der Mann weiter reden kann, kommt von dem Jungen auf einmal: „Lucy?"

Das Mädchen sieht auf und schaut dem Jungen in die Augen. Schüchtern nickt es. Der Mann wirkt überrascht und wendet sich von mir ab, dem Mädchen zu. Das ist meine Chance abzuhauen. Ich gehe schnell zu meinem Rucksack und schwinge ihn mir auf den Rücken. Die drei reden, bis sie merken, dass ich weggehe. Der Mann läuft mir daraufhin unter den wachsamen Blicken der beiden anderen hinterher.

„Warte bitte mal", meint er. Genervt verdrehe ich die Augen. Was wollen denn heute alle von mir? Ich drehe mich um und ziehe schlecht gelaunt die Augenbrauen hoch. „Ja, bitte?", gebe ich spöttelnd von mir. Jetzt ist er an der Reihe, überrascht die Augenbrauen hochzuziehen.

„Nun ja ... also ... wir haben gerade mitbekommen, wie du ... na ja ...", er wirkt ziemlich unsicher, wie er formulieren soll, was er sagen will. Meine Güte, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit für diesen Mist. „... der Schule verwiesen wurdest und da ...", setzt er wieder an, doch ich unterbreche ihn.

„Wie bitte?!" Ich traue meinen Ohren nicht. Was hat der Mann da gerade gesagt? Ich soll von der Schule geflogen sein? „Wollen Sie mich verarschen?! Wann soll ich denn bitte schön von der Schule geflogen sein? Das müssen Sie sich eingebildet haben!", antworte ich leicht gereizt und beobachte ihn skeptisch. In der Zwischenzeit sind auch die beiden anderen wieder zu uns gekommen und sehen mich aufmerksam an.

„Also ich habe es auch ganz deutlich gehört, wie er ,Schulverweis' gerufen hat", meldet sich der Junge nun auch noch zu Wort. Verwundert sehe ich ihn an. Konnte es wirklich sein, dass ich das nicht mitbekommen habe?

„Hört auf mit der Scheiße!", entfährt es mir und ich bin etwas verunsichert. „Das hätte ich ja wohl mitbekommen ..." setze ich erneut an, werde dann aber durch eine Stimme unterbrochen, die ich heute schon sehr viel wütender erlebt habe.

„Tja, da muss ich dir aber widersprechen, Josy." Ich drehe mich um und sehe meinem Direktor direkt in die Augen.

„Echt jetzt?!", frage ich perplex. Das kann doch wohl nicht wahr sein!

„Vielleicht hättest du wenigstens einmal in den letzten Jahren, oder Wochen hätten schon gereicht, die Stöpsel aus den Ohren nehmen sollen, wenn du in meinem Büro warst. Dann hättest du ja umsichtiger sein können, denn ich hatte dich mehrfach gewarnt", meint er ruhig. Wieso ist er ausgerechnet dann ruhig, wenn ich es nicht bin? Sonst ist er immer derjenige, der ausrastet, nicht ich!

„Was hätte ich denn tun sollen?", ignoriere ich seinen Vorwurf und versuche, zu retten, was noch zu retten ist. „Dieser arrogante Fettarsch ..."

„Josy Lewis!"

Jason ...", korrigiere ich und ziehe den Namen damit ins Lächerliche, wodurch sich der Direktor jedoch nicht beirren lässt. Wahrscheinlich hilft es mir in meiner Situation gerade nicht, ihn noch mehr gegen mich aufzubringen, indem ich solche Spielchen spiele, allerdings kann ich in diesem Moment nicht anders. „Hat mir doch gar keine andere Möglichkeit gelassen!"

„Meiner Meinung nach gibt es immer andere Möglichkeiten, als einem Jungen vor versammelter Mannschaft grundlos die Hose zu zerschneiden, sodass er in Unterhosen dasteht", kommentiert der Direktor streng. In den Augenwinkeln kann ich erkennen, dass sich der Junge nur schwer das Lachen verkneifen kann.

„Erstens war das nicht grundlos, er hat mich provoziert und wollte mich erpressen, zweitens hatte er die Lüftung deshalb mal dringend notwendig und drittens: Sie müssen zugeben, dass sich der Anblick von seinen Boxershorts echt gelohnt hat! Ich meine, in dem Alter noch mit Quietscheenten darauf rumzulaufen ..."

„Josy Lewis! Hast du eigentlich gar nichts aus deinem Schulverweis gelernt?!" Der Direktor ist nicht gerade gut gelaunt.

„Nö! Außerdem macht das doch diese Schulmatratze auch immer und da ...!"

„Josy Lewis!", ruft er erneut aus. Echt mal, so langsam wird es langweilig, schließlich kenne ich meinen Namen! Genervt verdrehe ich die Augen.

„Meine Güte, woher soll ich denn wissen, wie diese Tussi heißt?! Bis heute Vormittag wusste ich ja noch nicht mal Ihren Namen ...", meine ich und man merkt, dass der Direktor vor einem erneuten Wutausbruch steht. Na, mir kann es ja egal sein, von der Schule geflogen bin ich ja schon. „Also, eigentlich weiß ich ihn jetzt auch nicht mehr ... passiert!", ich zucke unschuldig lächelnd mit den Schultern.

„Verlasse augenblicklich das Schulgelände, Josy! Du hast hier nichts mehr verloren!", bringt der Direktor mühsam beherrscht noch raus, dann dreht er sich mit hochrotem Kopf um und stolziert davon.

„Nichts lieber als das!", grinse ich. Noch kann ich das ja. Meinen Eltern müsste ich das heute Abend nur noch schonend beibringen ... na ja, sie kennen mich ja, sie sind Schlimmeres gewohnt ...

Die drei anderen starren mich perplex an. Für den Anblick hat es sich auf jeden Fall schon mal gelohnt! Doch, als ich gerade erneut weglaufen will, stoppt mich der Mann erneut. Kann man denn nicht einmal seine Ruhe haben?!

Was ist eigentlich schiefgelaufen...?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt