Part 29 - Erinnerungen

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„Und ich dachte, wenigstens einer von euch hätte ansatzweise Grips", gebe ich sarkastisch zurück. Für wen oder was halten die mich bitte?! Als ob ich mit siebzehn schon schwanger wäre! Und mal abgesehen davon, was ginge die das denn bitte an?!

Ein wenig beleidigt verzieht Mason das Gesicht und widmet sich wieder seinem restlichen Frühstück. Allerdings hat er von Anfang an nicht viel drauf gehabt, sodass er jetzt eigentlich schon so gut wie fertig ist. Aber, wenn ich das richtig verstanden habe, müssen sie eh alle auf mich warten, nicht, dass noch was passiert auf dem Weg ins Zimmer zurück. Bei dem Gedanken verdrehe ich wie von alleine schon automatisch die Augen. Echt mal, ich bin doch nicht ihr Babysitter. Und an deren Stelle würde ich mich darüber viel mehr aufregen, schließlich können die ja nirgendwo hin, ohne dass sie jemand begleitet. Alleine das würde mir schon monstermäßig auf den Keks gehen!

„Solche Schwachmaten!", murmele ich noch leise vor mich hin.

„Oh, bitte, Josy!" Ein abwertendes Lachen von Logan ertönt. Muss der jetzt auch noch anfangen?! „Du musst doch nicht immer gleich von dir auf andere schließen!", meint er gehässig. Ja, du mich auch, du Arschloch! Und genau das versuche ich auch gerade mit meinen Blicken rüberzubringen, glaube aber nicht, dass ich sonderlich erfolgreich bin, weil dieser Penner mich nur überlegen angrinst und eine Augenbraue herausfordernd anhebt. Habe ich schon mal erwähnt, dass mir dieser Bettnässer gehörig auf die Nerven geht?!

„Ach Logan! Wenn ich von mir auf andere schließen würde, dann hättet ihr alle wenigstens ansatzweise Hirn in der Birne!", lächele ich ihn scheinheilig an, nur um kurz darauf die Augen zu verdrehen und genüsslich das nächste Stück Croissant in den Mund zu schieben. Ganz ruhig, Josy, alles wird gut! Du bist ganz entspannt und es sitzen keine drei verdammten Vollspacken neben dir! Okay, irgendwie klappt das nicht.

„Sagt die, die rumläuft, als wäre sie der letzte Penner! Also ich an deiner Stelle ...", setzt er wieder hochnäsig an, als ob ich gar nichts gesagt hätte. Wo bitte bleibt der Kratzer in seinem Ego?! Ich glaube meine Diss-Fähigkeiten lassen eindeutig nach ... okay, das bedeutet nachher Krisengespräch mit Jake. Ich schätze mal, dass weder Lucy noch Florence dafür die richtigen Ansprechpartner sind ... zumal ich, glaube ich, gerade auch Lucy mit beleidigt habe. Mist, jetzt lässt bestimmt ihr Selbstbewusstsein nach, obwohl ich doch nur was gegen die männlichen Hohlköpfe hier am Tisch hatte.

„Logan, wo bleibt deine Erziehung?", fragt da auf einmal eine tiefe Stimme hinter mir. Ich grinse Logan siegessicher an. Ja, sein Vater hat gerade echt ein perfektes Timing!

„Schade, gerade jetzt, wo es spannend wurde ...", murmelt eine enttäuschte Stimme leise vor sich hin. Ich drehe mich zu Ashton um, der verschmitzt in meine Richtung guckt. Ich komme nicht umhin, die Augen zu verdrehen und dabei ebenfalls zu grinsen. Ich war tatsächlich nur von Deppen umgeben. Wenigstens nahmen mir nicht alle alles gleich so übel.

„Josy, wir müssen noch ein paar Dinge klären." Er sieht mich eindringlich an. Was hat der für einen Blick drauf?! Langsam wandert sein Blick an mir herunter: Erst die Haare (ja, ich liebe mein kleines Vogelnest nach dem Aufstehen) und dann meine Gammelklamotten vom Schlafen. Missbilligend zieht er eine Augenbraue hoch. Was haben die heute alle auf einmal, mit ihren überbeweglichen Augenbrauen?! Kann mir das bitte einer erklären? Das ist ja schrecklich! Er hält sich aber mit einem Kommentar zurück.

Ein auffordernder Blick meinerseits. Dann kann ich nämlich in der Zeit weiter essen und muss nicht dafür unterbrechen. Mein Hunger ist schließlich immer noch groß. Er räuspert sich.

„Ähm, ja. Also: Wir müssen dringend noch die Sache mit deiner Dienstkleidung besprechen." Jetzt sieht er mich richtig an. Oh, nein! Und ich habe so gehofft, dass er das vergessen hat! Aber nein, mir wird ja auch mal wieder nichts erspart! Was hat das Leben eigentlich gegen mich? Ich meine, was habe ich denn schon getan? Klar, ich war nicht immer die Freundlichkeit in Person, aber ist das gleich ein Grund, mich hier und jetzt fertigzumachen?! Okay, anscheinend schon. Ich gucke, wie ich hoffe, unauffällig die anderen um den Tisch an und muss leider sehen, dass Logan sich schon wieder heimlich einen ins Fäustchen lacht! Wieso? Wieso, bitte?! Der Depp da kann sich alles erlauben, und ich muss irgendwelche versnobten Klamotten kaufen gehen und die am Ende wahrscheinlich auch noch tragen! Aber gut, okay! Ich bekomme Geld, eine Unterkunft und hoffentlich später meinen Abschluss, da muss ich auch etwas kooperativ sein. Betonung liegt auf etwas wohlgemerkt. Also setzte ich mein bestes Fake-Lächeln auf, wobei ich vermute, dass es aussieht, als ob jemand einer Katze auf den Schwanz getreten ist, und nicke.

„Natürlich. Ich denke, dass sich ein geeigneter Kompromiss bestimmt finden lassen wird." Bei dem Wort Kompromiss zuckt seine Augenbraue erneut eine Sekunde lang nach oben, dann nickt er.

„Ja, gut." Er seufzt auf. Meine Güte, ich habe doch noch nicht mal widersprochen, was macht der denn jetzt für einen Aufstand?! Echt, manchmal sind die hier alle etwas überempfindlich! „Ich erwarte dich in einer Stunde in meinem Zimmer." Er macht noch einmal eine Pause. „Wenn du bis dahin fertig angezogen bist, will ich noch einmal über deinen Fauxpas hinwegsehen." Er steht auf und verlässt den Frühstücksraum. Oh, wie gütig! Er will über meinen Fauxpas hinwegsehen. Was ist denn bitte so schlimm daran, im Schlafoutfit zu frühstücken? Ist ja nicht so, dass ich hier nackt durch die Gegend rennen würde! Manchmal sind die hier alle wirklich ziemlich verklemmt...

Auf einmal ertönt ein Grunzen vom anderen Ende des Tisches. Ja, ein Grunzen! Ich wende mich Ashton zu, der daraufhin richtig anfängt zu lachen. Irgendwie fahren die heute alle voll drauf ab, mich zu nerven! Der Preis für die genervteste Hauptperson geht an: Trommelwirbel bitte ... Josy Lewis! Applaus bitte!

„Haha! Da würde ich echt gerne dabei sein! Dich mal, in seiner Meinung nach, angemessenen Klamotten sehen! Das wäre echt Mal der Knaller!" Er fällt vor Lachen fast vom Stuhl. Na vielen Dank, für dein ausgesprochen großes Mitleid! Aber, um ehrlich zu sein, kann ich mich schon vor mir sehen: Haare zu einem strengen Dutt hochgesteckt, Anzughose und einen Blazer über einer Bluse mit Stehkragen! Alleine bei dem Gedanken überläuft mich ein kalter Schauer. Also soweit werde ich es garantiert nicht kommen lassen!

Anscheinend ist mein Zucken nicht unentdeckt geblieben, denn Logan grinst mich schon wieder hinterhältig an. Was haben sich eigentlich dem seine Eltern dabei gedacht, ihn auf die Welt zu setzten? Alleine das müsste doch schon als Körperverletzung strafbar sein, oder?

„Na, schon alleine der Gedanke an dich ist grauenvoll, oder? Glaub mir, ich wäre auch zusammengezuckt! Das ist bei dir ganz normal!", meint er süffisant. Kann jemand diesem Penner mal eine mitgeben? Ich darf nicht, ich soll das ja verhindern, aber es wäre gut möglich dass ich ausgerechnet in diesem Moment nicht hingucken würde ...

„Ach Logan, nur weil du bei deinem Anblick jedes Mal einen Schreikrampf bekommst, heißt das noch lange nicht, dass das bei allen so ist. Du musst wissen, dass das nicht normal ist. Aber wenn du willst, ich kann dir, wenn wir wieder in Detroit sind, gerne einen guten Psychiater empfehlen", antworte ich ihm daraufhin in Babysprache. Schließlich soll er auch verstehen, was ich zu ihm sage. Mit seinem IQ scheint es allem Anschein nach ja wohl nicht sehr weit her zu sein.

„Du hast einen Psychiater?", schaltet sich da auf einmal Mason ein, der die ganze Zeit nur schweigend gelauscht hat. Mist, wieso muss er eigentlich immer das raushören, was er eigentlich überhören sollte? Einen Moment lang sehe ich ihn einfach nur an, auf der Suche nach einer Antwort, die die Situation retten könnte, doch Logan ist schneller. Mal wieder!

„Also ist auch schon früher jemandem aufgefallen, dass mit dir etwas nicht stimmen kann", sagt er und sieht mich herausfordernd an. Ich hole einmal tief Luft, damit ich nicht sofort an die Decke gehe, und sehe ihm fest in die Augen, mein Blick ist kalt.

„Nicht, dass dich das etwas angehen würde, aber das ist lange vorbei" Ich widme mich wieder meinem Essen und versuche meinen Puls wieder unter Kontrolle zu bekommen. Wie konnte mir dieses Gespräch nur dermaßen entgleisen? Doch Logan merkt anscheinend nicht, dass das kein sonderlich gutes Thema ist, denn er muss es noch weiter auf die Spitze treiben.

„Sogar der Psychiater hat also bei dir aufgegeben!", sagt er. „Du bist so ein hoffnungsloser Fall und mein Vater weiß überhaupt nicht, was er da für eine Psychopatin auf uns loslässt!", meint er gehässig. Das reicht. Ich merke, wie die Erinnerungen wieder hochkommen und es mir die Kehle zuschnürt. Schnell schnappe ich mir mein Tablett und bringe es weg. Unter den erstaunten Blicken der anderen verlasse ich den Speiseraum und mache mich auf den Weg in die Suite, um mich fertigzumachen. Kaum schließe ich die Badezimmertür hinter mir, zwingt mich mein starkes Zittern in die Knie.

Und ich habe immer gedacht, es endlich überstanden zu haben ...

Was ist eigentlich schiefgelaufen...?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt