Part 58 - Pass auf, was du sagst!

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Sofort fährt mir eine warme Brise ins Gesicht. Mittlerweile sind wir schon so weit draußen, dass der Wind zugenommen hat. Oder es ist einfach windiger geworden. So langsam müssten wir nämlich ankommen, sodass mein erster Gedanke schwachsinnig ist.

Ich freue mich schon ein wenig auf Frankreich. Es muss ein tolles Leben sein, wenn man immer dort sein kann. Das Auslandsjahr bei Florence ging viel zu schnell vorbei. Die Sprache ist einfach so schön und man kann die Wörter miteinander verbinden. Französisch war schon immer die Sprache, die mir am meisten Spaß gemacht hat, wenn ich gelernt habe. Nicht, dass ich das oft tat – also eigentlich nie – aber ich war eben in diesem Sprachförderungsprogramm, durch das ich haufenweise verschiedene Sprachen lernen musste. Selbst wenn man völlig unbeteiligt im Unterricht sitzt, bekommt man viele Dinge mit. Und im Französischen fällt es mir besonders leicht, über das Sprachgefühl Sätze zu bilden. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich immer mal wieder mit Flo schreibe oder telefoniere. Nicht ständig, weil sie auf Dauer häufig in den extremen Mädchenmodus schaltet schaltet und dann ist sie nicht mehr zu ertragen. Ich verstehe einfach nicht, wie man sich den liebe langen Tag nur über Klamotten, Schminke und Jungs reden kann. So gerne ich mich auch auf Französisch unterhalte: Was zu viel ist, ist zu viel! Aber so kurz mal schreiben, das ist bei Flo meistens drin. Vielleicht können wir uns ja mal treffen, wenn wir in ihre Nähe kommen. Dann könnte sie Lucy mal kennenlernen und ihr ein wenig mit dem Selbstbewusstsein helfen. Davon hat Flo nämlich mehr als genug und kann Lucy ruhig etwas abtreten. Irgendwie... sie schafft das dann schon. Oder auch nicht. Egal, die Hoffnung stirbt zuletzt.

„Alles klar?“, kommt der Pumuckel wieder auf mich zu. Habe ich irgendwie ein Schild mit „hilflos und braucht Betreuung“ auf der Stirn kleben?

„Wieso denn nicht?“, frage ich deshalb auch ein bisschen pampig. Können mich nicht alle mal in Ruhe lassen? Alle reden immer auf mich ein oder zeigen mir auch so mehr als deutlich, was sie von mir halten oder erwarten, aber nie sagt jemand, wieso er etwas so will. Oder warum er so denkt. Warum interessiert sich Mr Morrison auf einmal für mich? Wieso will Mason so unbedingt wissen, was damals passiert ist? Und weshalb kann der Pumuckel mich nicht einfach für mich lassen?

„Brauchst nicht gleich wieder so zickig zu werden“, hebt er abwehrend beide Hände und dreht sich kopfschüttelnd weg. Einerseits bin ich froh, nun wieder ungestört zu sein, andererseits habe ich aber auch Angst, dass er es mir übel nehmen könnte. Das Schlimmste ist, dass es mich früher nie interessiert hätte, ob er nun schlecht von mir denken würde, oder nicht.

Am meisten verwirrt mich allerdings das Verhalten von Mr Morrison. Er benimmt sich so merkwürdig. Am Anfang war er humorvoll und freundlich. Vielleicht sogar auch ein wenig zuvorkommend. Dann war er die ganze Zeit sehr abweisend, besserwisserisch und rechthabend. Und jetzt, auf einmal, interessiert er sich für meine Gesundheit, nachdem er mich nicht mal in das Krankenhaus gelassen hat. Ich verstehe das alles einfach nicht. Könnte es etwa sein, dass er ganz tief in sich drinnen doch die Fähigkeit besitzt, Empathie zu empfinden? Es ist einfach zu absurd nach all dem, was passiert ist.

So gerne ich auch jetzt in Frankreich wäre, so viel lieber wäre es mir, in meinem Bett zu Hause zu liegen und einfach nur meine Ruhe zu haben. Dort weiß ich wenigstens, was die Leute von mir halten – nichts – und darauf kann ich mich auch einstellen. Ich weiß, was ich zu erwarten habe und auch, wem ich vertrauen kann. Mein Bruder, der mich regelmäßig auf die Palme bringt und meine Mutter, die eben meine Mutter und somit unersetzlich ist. Vielleicht sogar mal mein Vater, aber das ist auch eher unwahrscheinlich. Gerade in letzter Zeit häufen sich seine Dienstreisen und wir habe ihn kaum noch gesehen.

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