Part 20 - Ankunft im Hotel

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„Hey, wo ist eigentlich mein Rucksack?", frage ich deshalb fordernd. Habe ich schon mal erwähnt, dass ich ganz schön ungeduldig werden kann? Nun ja, in diesem Moment bin ich es jedenfalls. Gut, und ich bin wahrscheinlich ziemlich unfreundlich. Aber mal ehrlich, kann man es mir verübeln? In meinem Rucksack ist mein komplettes soziales Leben (damit meine ich meine Familie, nicht die Kaugummis und Chips!), wie soll ich so mit meinem Bruder oder meinen Eltern skypen oder Ähnliches?

„Wieso? Hast du den nicht mitgenommen?", fragt mich Mr Morrison. Hä? Hat er nicht vorhin noch gemeint, ich soll ihn der Stewardess geben? Will er mich für dumm verkaufen?! Mein Wutpegel steigt.

Sie meinten doch vorhin, dass ich ihn abgeben sollte!", motze ich ihn deshalb an und betone das Sie dabei besonders. Doch den scheint es gar nicht wirklich zu interessieren, denn er meint nur lapidar, dass er sich schon wieder finden wird und geht ins Hotel, ohne sich noch weiter um mich kümmern. Wie habe ich nur anfangs annehmen können, dass dieser Mann vielleicht ganz okay sein könnte?! Wütend balle ich die Hände zu Fäusten. Nein, keine Sorge, ich gehe doch nicht auf meinen Arbeitgeber los (dazu müsste es noch größere ... Differenzen geben). Dann eile ich ihm hinterher. Die anderen haben es wohl noch nicht bemerkt, denn sie unterhalten sich über irgendwas Unwichtiges.

„Er wird sich schon wieder finden?!", frage ich ungläubig und das in einer Lautstärke, dass sich in der Hotellobby fast ausnahmslos alle zu uns umdrehen. Gut, jetzt hat wohl auch jeder Volltrottel gemerkt, dass ich sauer bin. Mr Morrison wendet sich ebenfalls mir zu. Gut, dann würde ich jetzt vielleicht endlich eine vernünftige Antwort bekommen.

„Ja, Josy! Wenn du nicht richtig auf dein Zeug aufpassen kannst, musst du halt mit den Konsequenzen leben! Und jetzt schrei hier bitte nicht so rum!", meint er mit drohendem Unterton. Wie bitte?! Ich könne nicht auf mein Zeug aufpassen?! Er hat doch gesagt, dass ich meinen Rucksack abgeben soll!

Doch bevor ich weiter auf ihn losgehen kann, werde ich an der Schulter zurückgehalten. Als ich mich umdrehe, sehe ich Logan in die Augen. Was will der denn von mir?

„Hey, jetzt reiß' dich mal zusammen! Wir sind hier in der Öffentlichkeit und dein Auftritt wirft ein ganz schlechtes Licht auf uns!", raunt er mir ins Ohr und sieht mich mit finsterem Blick an. Die anderen stehen nur neugierig um uns herum, machen aber keine Anstalten, irgendwie dazwischen zu gehen. Unwirsch mache ich mich von ihm los. Beruhigend legt Mason Logan die Hand auf die Schulter, der so aussieht, als ob er auf mich losgehen will. Bei dem Gedanken hätte ich fast loslachen können, wäre da nicht noch die Sache mit dem Rucksack.

„Wenn du dich hier so aufregst, macht es die Sache nicht unbedingt besser", gibt Mason Logan in ebenso niedriger Lautstärke zu verstehen und wirft mir dann einen Blick zu, der wohl dasselbe, wie Logans Worte vorhin, ausdrücken soll. Nur, dass es bei ihm nicht ganz so unfreundlich wirkt. Mr Morrison hat in der Zwischenzeit unsere Schlüssel geholt, die zur Suite gehören. Zum Glück bekommen wir jeder einen, ist wohl wegen der Suite, da man ja normalerweise höchstens zwei Zimmerschlüssel bekommt. Gerade, als wir wieder von der Rezeption Abstand nehmen, oder besser gesagt, nehmen wollen, um zum Aufzug zu gelangen, ruft uns die Rezeptionistin wieder zurück.

Ich bin am schnellsten wieder da und sehe sie mit meiner schlechten Laune wahrscheinlich ziemlich unfreundlich an. Kann man es mir verübeln? Sie ist wohl ziemlich eingeschüchtert von meinem Blick, denn sie gibt nur ganz vorsichtig von sich: „Der wurde hier abgegeben", sie hievt einen Rucksack auf die Theke. Mein Rucksack! „Ist das Ihrer?", fragt sie, immer noch darauf bedacht, ja nichts Falsches zu sagen. Ich nicke und nehme ihn sofort an mich, damit das gute Stück auch nicht wieder verloren geht. Falls Mr Morrison mir wieder solche merkwürdigen Angaben machen sollte, werde ich einfach gucken, was die anderen machen und meinen Rucksack zur Not doch einfach selbst mitnehmen. Wie hat Mr Morrison sich vorhin so schön ausgedrückt? Selbst schuld? Ganz genau! Wenn ihm mein zukünftiges Verhalten in Bezug auf meine Sachen nicht passt, dann hat er sich das wohl oder über selbst zuzuschreiben!

„Was ist denn da so Wichtiges drin, dass du gleich so austickst?", fragt mich Ashton auf einmal und grinst. Erst bin ich etwas verstört, was er jetzt auf einmal von mir will, denn eigentlich ist es doch normal, dass man sein Zeug wieder haben will, wenn man es verloren hat, aber dann fällt mir auf, dass ich vorher vielleicht doch ein bisschen übertrieben habe ...

„Mein Leben", gebe ich deshalb sehr ausführlich zur Antwort und muss dabei bemerken, wie armselig das klingt, aber es stimmt. Ohne meine Familie und Freunde habe ich ja niemanden. Diese merkwürdigen Leute, bei denen ich jetzt arbeite, sind ja schon reichlich komisch drauf. Was man ja nicht zuletzt an der Aktion mit dem Rucksack sieht.

Ashton hat darauf wohl nichts mehr zu sagen, denn er bleibt still. Dennoch geht er auch nicht wieder zu den andern, um mit ihnen irgendwelche Faxen zu machen, sondern läuft neben mir her. Im Aufzug herrscht eine unangenehme Stille, die niemand zu unterbrechen wagt. Aber ich habe so die Möglichkeit, alle zu beobachten. Man kann sie wieder mal in Grüppchen einteilen. Mr Morrison und Mr Schrank, Logan und Mason, Lucy und zum Schluss Ashton, der sich aus unerfindlichen Gründen an mich dran gehängt hat.

Oben angekommen verschwinde ich gleich in das mir zugeteilte Zimmer und öffne meinen Rucksack, um ihn, ohne Rücksicht auf Verluste, auf mein Bett zu kippen. Zum Glück ist noch alles drin. Schnell baue ich meinen Laptop auf, kontrolliere die Uhrzeit (wir haben mit dem Flug die Zeitzone gewechselt, aber ich bin mir nicht so sicher, in welche Richtung ... ja, das ist jetzt nicht sehr schlau gewesen, aber warum soll ich mir so unnötiges Zeug merken, wenn ich doch Internet und Orte habe und das alles einfach googlen kann? Genau, brauche ich nicht!), denn wir kommen aus Detroit, wo ich wohne und sind nach England, genauer gesagt London Heathrow, geflogen. Der Zeitunterschied beträgt also plus fünf Stunden, zusätzlich zu der Flugzeit von etwa acht Stunden. Also ist es hier jetzt halb acht Uhr am Abend. Und zu Hause dementsprechend halb drei am Nachmittag. Ich kann Jake also ohne Probleme anskypen.

Während der Laptop hochfährt, tausche ich meine Jeans gegen eine bequeme Jogginghose ein und setze mich schließlich vor meinen PC und starre ihn wartend an. Wie gesagt, ich bin sehr ungeduldig bei solchen Sachen und obwohl wir uns vor 13 Stunden (na ja, eigentlich vor 8 Stunden, denn schließlich bin ich ja nicht fünf Stunden später losgeflogen, wie es von der Zeit her zu England gepasst hätte) erst gesehen hatten, fehlt mir Jake jetzt schon (meine Eltern natürlich auch, aber mein Bruder ist wieder etwas anderes. Und außerdem hat meine Mutter sowieso kein Skype und Jake kann sie ja auch vor die Kamera an seinem PC holen). Auweia, hoffentlich bekomme ich am Ende kein Heimweh. Ich meine, ich bin schließlich schon siebzehn und es gibt den modernen technischen Fortschritt!

In diesem, durchaus peinlichen, sentimentalen Moment erklingt zum Glück endlich die Willkommensmelodie meines PCs und ich kann Skype aufrufen. Und (welch ein Glück) Jake ist tatsächlich online! Sofort öffne ich das Chatfenster zu ihm und starte einen Videoanruf. Keine zwei Sekunden später baut sich das Kamerabild auf und ich sehe Jakes grinsendes Gesicht vor mir auf dem Bildschirm.

„Hey Josman!", lachteer, als auch mich schließlich sehen kann.

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„Jakeyboy!", rufe ich aus und muss ebenfalls lachen.

Was ist eigentlich schiefgelaufen...?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt