Spaziergang

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LIAM'S SICHT:

Eingeladen hatte ich sie. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass sie auch kommen würde. "Bist du müde?", fragte ich sie nach einer Weile. Doch sie schüttelte den Kopf. "Nicht wirklich. Du?" Auch ich verneinte es. Als wenn ich auch nur eine Sekunde die ich noch mit ihr verbringen konnte, mit Schlaf verschwenden würde. "Hättest du Lust einen Spaziergang zu machen?" Sie wirkte mehr als überrascht. "Liam, es ist vier Uhr morgens." - "Ich weiß. Aber du kannst nicht schlafen, ich kann nicht schlafen... also wieso sollten wir die Zeit nicht nutzen?" Kopfschüttelnd sah sie mich an, ein zartes Lächeln auf den Lippen. "Du bist auch nicht ganz normal, oder?" Grinsend legte ich den Kopf schief. "Ist das ein ja?" Sie nickte, hielt dann jedoch inne. "Es ist aber kalt draußen. Und ich hab nichts warmes anzuziehen mit. Auf einen nächtlichen Spaziergang war ich nicht wirklich vorbereitet, als ich gestern das Haus verlassen hab." - "Warte hier, ich bin gleich zurück." Ohne ihre Reaktion abzuwarten, lief ich wieder nach oben ins Gästezimmer. Aus meiner Tasche holte ich zwei Jacke, eine zog ich an, die andere, wärmere, nahm ich mit nach unten. Mia stand noch immer an der Spüle und sah gedankenverloren aus dem Fenster. Möglichst leise schlich ich mich von hinten an sie heran, wollte meine Hände auf ihre Augen legen. Doch im letzten Moment entschied ich mich um, legte meine Arme stattdessen um ihre Taille. Sie zuckte kurz zusammen, lehnte sich nach jedoch an mich. Wie lange wir so in der Küche standen wusste ich nicht. Die Zeit schien stillzustehen. Niemand sagte etwas, obwohl es so viele Dinge gab, die ich gerne gesagt hätte. "Wollen wir los?", fragte ich schließlich. Lächelnd nickte sie und nahm meine Hand. "Ja, wollen wir."

Die Sonne war noch nicht über den Baumkronen zu entdecken, lediglich die Straßenlampen spendeten uns Licht. Wir begegneten niemandem, aber wer war auch so früh morgens draußen unterwegs? Hand in Hand gingen wir durch die Straßen, ohne ein einziges Wort zu sprechen. Diese Stille war nicht unangenehm. Es bereitete mir fast ein schlechtes Gewissen, als ich sie irgendwann brach. "Mia? Du weißt aber schon, wo wir entlang gehen und wie wir wieder zurückkommen, oder?" Ich selbst hatte längst den Überblick verloren. Jede Straße sah hier gleich aus. Mia grinste mich von der Seite an. "Ich bin hier aufgewachsen, Liam. Keine Sorge, ich bring dich sicher zurück." Ihre Stimme hatte einen leicht vorwurfsvollen Unterton. "Sehr schön. Ich verlass mich auf dich.", murmelte ich beruhigt. "Kannst du." Ihrem Tonfall war zu entnehmen, dass sie nicht nur über den Nachhauseweg sprach.

Ich hätte endlos weitergehen können. Ihre Hand in meiner zu halten, ihren leisen Atem dicht neben mir zu hören, all das fühlte sich so vertraut an, dass es mir fast Angst einjagte. Viel zu früh kamen wir wieder bei Caros Haus an. Vor ihrer Haustür blieben wir stehen. Erwartungsvoll sah ich Mia an, doch sie erwiderte den Blick nur zerknirscht. "Ich hab keinen Schlüssel oder so... und ich weiß nicht ob die anderen schon wach sind." Oh. Wir waren also ausgesperrt.

I want you to stay..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt