May
Thomas hatte gleich zugesagt und so hatten wir beide vereinbart, dass wir uns in einer halben Stunde vor dem Rathaus treffen würden, damit er mir von dort aus die Stadt zeigen konnte. Ich war sehr erstaunt, dass er einfach so Zeit hatte, ohne überhaupt nachzudenken, als hätte er schon mit mir gerechnet. Merkwürdig ...
Ich hatte beschlossen, ihn persönlich darauf anzusprechen, wie er denn bitte an meine Handynummer kam, denn ich wollte, dass er mir dabei in die Augen sah, wenn er offenbarte, dass er mein Handy geschnorrt hatte, um seine Nummer einzuspeichern.
Als ich nach etwa zwanzig Minuten aus dem Bus ausstieg, der direkt vor dem Rathaus hielt, war er schon da und grinste mich breit an. Was war denn nur mit ihm los? Es kam so rüber, als hätte er schon lange damit gerechnet, dass wir uns beide heute treffen würden, obwohl er mich heute morgen noch gar nicht gekannt hatte. Na ja, wie auch immer, ich würde etwas lernen und würde mich ein Bisschen von den komischen Ereignissen, die ich von Dylan erfahren hatte, ablenken.
„Hi, schön, dass du doch noch konntest!", begrüßte er mich und fuhr sich mit der Hand durch die dunkelblonden Haare, während er mich verschmitzt angrinste. Ich konnte nicht anders, ich musste zurückgrinsen. Ich wusste nicht, warum, aber dieser Junge hatte einen sehr guten ersten Eindruck auf mich gemacht, er schien echt nett zu sein.
„Klar, ich freue mich auch sehr. Ich denke, du kannst mr sicherlich sehr gut helfen, mich hier ein bisschen zurechtzufinden." „Natürlich", lachte er freundlich, ,,Wo möchtest du zuerst hin?"
Ich musste nicht lange nachdenken, obwohl ich mir vorher noch keinerlei Gedanken gemacht hatte, wo ich denn überhaupt hinwollte. Sicherlich hatte ich den geheimen Verdacht gehabt, dass Thomas so etwas öfter tat und schon genau wie ein Reiseführer wissen würde, welche Orte er mir zeigen wollte. Ich wollte die Bücherei sehen, denn in meiner alten Heimat war mir dieser Ort immer sehr vertraut gewesen, ich konnte dort stundenlang sein, wenn ich einfach meine Ruhe brauchte und von niemandem gestört werden wollte.
„Ich schätze, die Bücherei wird ein sehr toller Ort für mich sein. Könnten wir dort eventuell hingehen?", fragte ich Thomas freundlich, was er sogleich mit einen freundlichen Lächeln quittierte. „Klar, wir müssen nur ein Stück mit dem Bus fahren und von der Bücherei aus können wir den Weg durch die Stadt mit den wichtigsten Geschäften wieder bis hier laufen. Somit kann ich dir schon einmal die wichtigsten Plätze zeigen."
Wie auf Bestellung hielt schon einige Meter von uns entfernt der Bus, den wir nehmen mussten und wir stiegen beide zügig ein und ließen uns auf zwei freien Plätzen nebeneinander nieder. „Sag mal, woher hast du eigentlich meine Handynummer? Ich erinnere mich nicht daran, sie dir gegeben zu haben oder jemand anderen, der sie dir hätte geben können ..." Damit hatte ich wohl vollkommen ins Schwarze getroffen. Thomas schoss die Röte augenblicklich ins Gesicht und er rieb sich hektisch die Augen, bis er seinen Kopf für einige Sekunden zu Boden senkte. Verwundert beobachtete ich ihn, bis er sich wieder gerade hinsetzte.
„Na ja, da du ja völlig neu hier bist, dachte ich mir ... äh, es könnte dir nichts schaden ... meine Nummer zu haben, falls du mal eine dringende Frage haben solltest ... oder dir einfach alles hier zu viel werden würde und du jemanden bräuchtest ... wie mich zum Beispiel. Dann habe ich mir einfach kurz dein Handy geschnappt, mich eingespeichert und kurz angerufen ... damit ich auch deine Nummer hatte. Du kamst mir sehr ... nett vor."
Okay, Thomas schien es trotz der Tatsache, dass er davon überzeugt war, etwas Gutes getan zu haben, nun doch sehr peinlich zu sein, der Röte seines Gesichtes nach zu urteilen. Ich meinte, es war jetzt nicht gerade das Beste, was er hatte tun können, aber so peinlich musste ihm das auch nicht sein. Es war ja nichts Schlimmes passiert und außerdem hatte er gesagt, dass ich symphatisch rüberkommen würde, was ich als sehr positiv erachtete.
„Es ist schon okay, Thomas, ich habe mich das nur gefragt. Ich bin dir übrigens sehr dankbar, dass du dir Zeit nimmst, um einem Neuling die Stadt und die wichtigsten Orte etwas näherzubringen." Thomas lächelte mich an. „Kein Problem." Den Rest der Fahrt schwiegen wir.
***
Nach dem kurzen, aber dennoch sehr interessanten Besuch der Bücherei fühlte ich mich gleich viel besser. Meine gesamten Gedanken an Dylan und das Rudel waren beinahe verpufft, da ich in meinem Element als Büchersüchtige sein konnte. Sofort hatte ich mir einen Ausweis ausstellen lassen und ein Buch ausgeliehen, was Thomas schmunzeln ließ. Auf meinen Vorschlag, er solle sich doch auch ein Buch ausleihen, hatte er einfach nach dem nächstbesten Exemplar gegriffen, das sich in seiner Reichweite befand. Maureen und der Werwolf. Das klang aber hochspannend.
Nun waren wir auf dem Weg durch die Straßen zurück zum Rathaus und der Bushaltestelle. Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu, die Sonne ging unter und der Mond erschien langsam am Himmel. Bei seinem Anblick bildete sich immer eine Gänsehaut bei mir, denn ich hatte panische Angst vor dem Vollmond. Es würde zwar noch etwas länger als eine Woche dauern, bis es wieder so weit wäre, aber die Tatsache, dass ich die Kontrolle verlieren könnte und mich dann an einem Platz wiederfinden könnte, von dem ich nicht die geringste Ahnung hatte, wo er sich befand, ließ mich schon ein bisschen zittern. Ich musste mich so bald wie möglich so gut, wie es mir möglich war, hier auskennen, es ging schließlich um meine eigene Sicherheit.
„Der Mond ist schön, nicht wahr?", riss Thomas mich aus meinen Gedanken und brachte mich dazu, ihn wie perplex zu fixieren. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich, während ich in Gedanken versunken war, permanent in den zunehmenden Mond geblickt hatte. Er musste mich jetzt sicherlich als Vollfreak ansehen, was ich allerdings ganz und gar nicht war. Ich wusste allerdings, wie schnell man bei anderen als anders als man war angesehen wurde und wenn andere erst einmal einen bestimmten Eindruck von einem hatten, dann war es schwierig bis teilweise sogar unmöglich, diesen Ruf wieder loszuwerden.
„Hey, May, ist alles okay bei dir? Du wirkst auf einmal so ... abwesend, als würdest du dir über irgendetwas Sorgen machen." Ich sah ihm in die braunen Augen. Er hatte wirklich den Durchblick, ich wunderte mich, warum er das wusste. „Nein, alles ist okay", log ich und schnappte mir meine Tasche, „komm, lass uns weitergehen."
Thomas hatte nicht zu viel
versprochen, er zeigte mir allerlei Interessantes, Geschäfte, die ich vorher noch nie in solcher Art gesehen hatte und Geschäfte, bei denen ich gleich wusste, dass ich sie nie freiwillig betreten würde. New Jersey war viel größer, als ich es mir jemals hatte erträumen lassen und ich musste zugeben, die schlechte Stimmung, die mein Bruder und ich verbreitet, als unsere Eltern verkündet hatten, dass wir umziehen würden, war doch nicht so berechtigt, wie ich anfangs angenommen hatte.Ich hatte schon ein neues Rudel, nach einem einzigen Tag hier und eigentlich kamen mir alle Leute hier doch ziemlich freundlich vor. Kleo, obwohl ich etwas erstaunt war, dass sie auch ein Beta war und Thomas schien auch nett zu sein. Ich war froh, dass ich jemanden gefunden hatte, der mit mir zusammen in ein paar Kursen war und den ich ausstehen konnte.
Als Thomas und ich wieder am Rathaus ankamen, war es Zeit für uns, sich zu verabschieden. Ich bedankte mich sehr für diese Führung und verabschiedete mich mit einem Winken. Als ich mich im Bus auf einen Platz niederließ, hatte ich ein Lächeln auf den Lippen, was für mich vor 24 Stunden noch unvorstellbar war.
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Moonlight werewolves
WerwolfMay dachte, dass sie ihr altes Leben endlich hinter sich lassen konnte, doch in New Jersey begann alles wieder von vorne. Eifersüchtige Rudelmitglieder, Geheimnisse und noch alles was dazugehört, holen sie wieder ein. #190 in Werwolf 25.8.16