May
Thomas sah mich völlig perplex an, als würde er denken, dass ich mit meinen Blicken den Fußboden reinigen würde. Wenn er nur wüsste, was ich hier tat.
Ich hatte den Geruch des Betas vernommen, ich wusste, dass er hier war. Und nun, da Thomas direkt vor mir stand, war es, als würde sich der Geruch mir aufdrängen und mir in meinen Schädel prügeln, dass ich nur zu blind war, um zu sehen, was sich direkt vor meinen Augen abspielte.
Sicherlich musste hier der Beta irgendwo in unmittelbarer Nähe sein, sich irgendwo verstecken, damit ich auf eine falsche Fährte gelockt wurde. Ich meinte, Thomas konnte nicht der Beta sein, das ging gar nicht.
Vergiss nicht das Offensichtliche. Dieser Satz wurde mir so oft eingebläut und jetzt musste ich an ihn denken. Bei Kleo hatte ich auch nicht raugefunden, dass sie ein Werwolf war, obwohl sie in meiner Nähe gestanden war, wieso könnte mir dieser Fehler nicht ein zweites Mal mit Thomas unterlaufen?
Wenn er aber wirklich der Beta war, was bedeutete das dann für unsere Freundschaft? Ja, ich sah ihn als einen Freund an, er war derjenige hier, mit dem ich mich am besten verstand. Hatte er mich nur ausgenutzt, weil er wusste, dass ich ein Beta war, der nur zu dumm war, zu kapieren, dass er immer direkt neben mir stand? Hatte ich in seiner Anwesenheit irgendetwas erwähnt, was für ihn von Belang sein würde?
Ich wog gerade ab, was ich glauben sollte. Eigentlich sträubte ich mich dagegen, es zu glauben, da ich noch immer hoffte, dass es eine andere, auch nur halbwegs logische Erklärung geben würde, doch den Gedanken verwarf ich ziemlich schnell wieder.
Eine Szene schoss mir ins Gedächtnis, die mich fast komplett darin überzeugte, dass er ein Beta sein musste: Als ich mit Dylan gesprochen hatte und danach wieder zu Thomas gegangen war, waren seine Wangen gerötet gewesen und er war zusammengezuckt, als ich ihn, in völlig normaler Lautstärke, angesprochen hatte. Er hatte das Gehör der Werwölfe eingesetzt und Dylan und mich belauscht. Hatte er das schon öfter getan?
War ich wirklich nur ein Mittel zum Zweck für ihn gewesen, um möglicherweise Informationen über das Rudel aus mir rauszulocken? Steckte er mit dem Alpharudel unter einer Decke?
„Erde an May! Ist alles okay bei dir?" Thomas wedelte mit seiner Hand vor meinen Augen und holte mich so in die Realität zurück. Was sollte ich nun tun? Ich senkte meinen Kopf schnell gegen Boden, um sicherzustellen, dass meine Augenfarbe wieder das gewöhnliche Blau annahm und nicht mehr den gelben Teint des Werwolfs und mein Gehör auch wieder normal war.
Ich atmete tief ein und wandte mich ihm dann zu. „Was ist denn mit dir los?", fragte er mich. Ich mühte mir ein Lächeln ab. Ich durfte ihm keinen Anlass geben, daran zu zweifeln, dass ich anders über ihn dachte als noch vor einigen Minuten.
„Es ist alles gut, danke der Nachfrage. Ich hatte nur etwas im Auge." Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, rieb ich mir über beide Augen, als mein Handy mal wieder klingelte. Der typische Ton einer SMS. Als ich sie erst einmal ein paar Sekunden ignorierte, klingelte es wieder, als wollte der Sender mir damit mitteilen, dass es wichtig war und ich die Nachricht auf jeden Fall lesen musste.
Wir lassen es für heute. Der Beta muss irgendwo verschwunden sein. Wir treffen uns nach der Schule bei Dylan, es gibt viel zu besprechen.
-KleoIch seufzte. Musste das sein? Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Thomas auf mein Display linste und dann zusammenzuckte. Er wusste, dass wir ihn suchten und deswegen trat er jetzt auch einige Schritte nach hinten. Ich musste ihm folgen, ich durfte ihn nicht entkommen lassen und im Notfall würde ich es auch schaffen, mit ihm aufzunehmem. Er sah erschöpft aus- der Vollmond. Er hatte sich auch nicht im Griff.
„May, glaub mir bitte. Ich bin keine Bedrohung für euch. Ich weiß nicht einmal richtig, was mit mir los ist. Können wir einfach reden?" Wie ich ihn so betrachtete, sah er wirklich aus, als wüsste er nicht so ganz, was mit ihm vorging. Doch woher wusste ich, ob er nicht bluffte?
„Seit wann weißt du es? War das alles nur gespielt? Deine Aufmerksamkeit, die du mir gewidmet hast? Du wolltest mich die ganze Zeit nur ausnutzen. Vielen Dank auch, dass ich für ein paar Tage das Gefühl haben konnte, kein Freak zu sein und mein Leben einfach genießen konnte. Ich hoffe, du hast deine nötigen Informationen erhalten!", giftete ich ihn an. Ich wollte einfach nur weglaufen, da ich so enttäuscht von ihm war, dass ich es nicht in Worte fassen konnte. Doch ich musste hier bleiben, Kleo, Dylan und Stephen würden mir das sonst nicht verzeihen.
Schnell wählte ich Kleos Nummer, sie ging zum Glück gleich ran. „Kleo, du musst hier herkommen. Ich habe Thomas!" „Thomas?", hörte ich ihre entsetzte Stimme, als könnte sie nicht glauben, was ich da gerade gesagt hatte. Doch dann antworte sie schnell: „Ich bin gleich da!"
„May, bitte!" Thomas trat einen Schritt auf mich zu und legte mir seine Hand auf die Schulter, doch ich schüttelte sie unvermittelt ab. „Lass mich in Ruhe! Hast du überhaupt irgendeine Ahnung, wie sehr du mich enttäuscht hast?" Ich hatte es unbewusst gar nicht wirklich registriert, doch in dieser Sekunde merkte ich, wie wichtig mir Thomas eigentlich geworden war. Ich hatte dieses komische Gefühl in meinem Herzen, es fühlte sich an, als würde mir die Luft abgedrückt werden.
„Ich schwöre dir, ich habe nichts getan, was dir schadet. Und ich wusste auch nicht von Anfang an, was du bist, ich habe es erst im Laufe der Zeit gemerkt, doch für mich hat sich nichts geändert. Ich wollte es dir sagen, das musst du mir glauben. Ich weiß einfach nicht, wo mir der Kopf steht."
Seine braunen Augen fokussierten mich, sodass mir ein Schauer über den Rücken lief. Ich wollte ihm glauben, ich wollte es so sehr. Glauben, dass er es mir gesagt hätte und mit seinem Leben völlig durcheinander wäre und wir ihm helfen könnten. Doch wie konnte ich ihm denn jetzt noch vertrauen?
Wenn der Unterricht nicht schon längst wieder angefangen hätte, wären wir beide sicherlich das Gesprächsthema Nummer 1.
„Ich kann ab hier übernehmen." Kleo stand hinter mir und legte ihre Hand auf meine Schulter. In ihrem Blick konnte ich erkennen, dass ich ihr wahrlich leid tat.
Oh ja, ich tat mir auch leid.
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Moonlight werewolves
WerewolfMay dachte, dass sie ihr altes Leben endlich hinter sich lassen konnte, doch in New Jersey begann alles wieder von vorne. Eifersüchtige Rudelmitglieder, Geheimnisse und noch alles was dazugehört, holen sie wieder ein. #190 in Werwolf 25.8.16