Kapitel 1: Alles auf neu

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May

Heute nach der Schule. Im Wald. Ich werde dich finden!

Ich zerknüllte den rein weißen Zettel in meiner geballten Faust und ließ ihn anschließend in meiner Jackentasche verschwinden.

Ich hätte mir eigentlich schon denken können, dass das Chaos hier in diesem neuen Ort genau so weitergehen würde.

Kaum war ich mein altes Rudel, altes Leben, alte Sorgen losgeworden, musste schon der nächste Schlamassel direkt vor meiner Tür auf mich warten.

Und damit meinte ich auch direkt vor meiner Tür.

Ich war gerade erst mit meinen Eltern und meinem Bruder in unserem neuen Zuhause angekommen, da hatte ich auch schon auf unserem fröhlichen 'Willkommen' Fußabtreter das besagte Blatt Papier gefunden. Kein Absender war zu finden, nicht mal nach geringstem Inspizieren. Nur mein Name, May. Und natürlich diese merkwürdige Nachricht.

Während ich die langen Schulkorridore meiner neuen High School auf dem Weg zum Sekretariat durchforstete, schwebte der Gedanke, ob ich darauf eingehen sollte oder nicht, permanent in meinem Kopf. Eigentlich war ich eher dazu geneigt, mich nach der Schule auf den Weg in den Wald zu machen, wer auch immer sich da einen Scherz erlaubte, ein zweites Mal würde er es nichts mehr versuchen.

Ich war ein Werwolf. Nein, nicht so ein kleiner Möchtegernköter, der bei Vollmond ängstlich am Fenster stand und den Mond anheulte, ich war völlig anders. Trotz der Tatsache, dass ich nur ein Beta war und mich somit einem Alpha unterordnen musste, hatte ich viele nützliche Fähigkeiten, ohne die ich mittlerweile wahrscheinlich völlig aufgeschmissen wäre.

Da wäre die Sache mit dem besser Hören, diese Eigenschaft war mir am liebsten, wenn ich meinen Bruder immer dabei belauschen konnte, was er über die Mädchen aus meiner Stufe erzählte.

Würde ich hier ein neues Rudel finden? Ich hoffte es sehr stark, denn alleine als Wolf zu sein, war kein wirkliches Zuckerschlecken, wobei dem Alpha immer aufs Wort gehorchen zu müssen, auch nicht die Crème de la crème war.

Ich zog meine Hand aus der Jackentasche und legte sie unter den Stapel von Büchern, den ich momentan zu balancieren versuchte. Das Sekretariat lag mittlerweile in unmittelbarer Nähe vor mir, ein Glück, dass jede High School in etwa gleich aufgebaut war, als mich eine Stimme aus meinen Tagträumereien riss.

„Hi, ich schätze, du bist neu hier. Kann ich dir behilflich sein?" Ich taumelte unbewusst ein paar Schritte rückwärts, da ich zu perplex war, dass mich jemand angesprochen hatte. Normalerweise war ich eher diejenige, die auf andere zugehen musste, nicht umgekehrt.

Während ich mit einem Bein in der Luft ruderte und versuchte, meine Balance wiederzuerlangen, torkelte ich leicht nach vorne, was meinen Bücherhaufen bedrohlich ins Schwanken brachte. „Vorsichtig!", lachte die Stimme und ich spürte, wie mir stützende Arme zur Hilfe kamen.

Als ich meine Balance wiedergefunden hatte, legte ich erst einmal den Stapel auf dem Boden ab, um mich bei der Person zu bedanken. Aus der Hocke legte ich meinen Kopf in den Nacken, um zu sehen, mit wem ich die Ehre hatte.

Vor mir stand ein Mädchen, mit schulterlangen, braunen Haaren und braunen Augen, die belustigt funkelten. Ich stellte mich wieder auf die Beine, um mich ihr vorzustellen.

„Hey, ich bin May, danke für deine Hilfe! Gehe ich richtig in der Annahme, dass das hier das Sekretariat ist?", fragte ich und deutete mit meinerm linken Zeigefinger auf die besagte Tür, während ich mir meine rechte Hand reichte, um sie zu begrüßen.

Sie schüttelte sie mit einem kurzen Lächeln. „Hallo, May, ich bin Kleo. Willkommen an der New Jersey High School. Lass mich dich begleiten, ich habe sowieso die erste Stunde frei." Sie zuckte mit den Schultern, als hätte sie wirklich nicht das geringste Problem damit, mir hier ein wenig behilflich zu sein. Mir sollte es recht sein, so würde ich vielleicht ein paar nützliche Informationen bekommen, die mir nützen könnten.

„Klar, vielen Dank." Ich bückte mich wieder, um das Monstrum eines Bücherstapels auf meine Arme zu hieven, als sie ebenfalls in die Hocke ging, eine braune Haarsträhne rutschte ihr verstohlen in die Stirn und nach einem kleinen Zettel fischte, der neben meiner Schuhsohle lag.

„Ich schätze, das hast du verloren, was ist denn das?", fragte sie neugierig und reichte mir das Blatt Papier. Gütiger Gott! Das war das Blatt, auf dem die misteriöse Nachricht des Fremden stand! Wie konnte ich denn nur so unvorsichtig sein und riskieren, dass sie mir aus der Tasche fiel? Das konnte auch nur mir passieren.

„Das ist nichts. Danke!", nuschelte ich und zog ihr den Papierfetzen schnell aus den Fingern, wodurch ich mir einen erstaunten Blick ihrerseits einfing. Doch sie beließ es dabei und ging nicht noch eimal explizit auf das Thema ein, sehr zu meinem Glück.

Zusammen gingen wir die letzten Schritte auf das Sekretariat zu.

***

Es hatte alles ohne große Komplikationen geklappt, ich hatte meinen Stundenplan erhalten und war nun auf dem Weg zu meiner ersten Stunde. Kleo hatte mich verlassen müssen, um nicht selbst zu spät zu ihrer Stunde zu kommen, doch das war in Ordnung. Ich würde sie in der Mittagspause wiedersehen.

Ich warf noch einmal einen Blick auf meinen Schulplan, auf dem meine Klassenzimmer im neongelb eines Textmarkers markiert war. Eigentlich müsste ich mich schon direkt vor ihm befinden, lag wohl nur an der Wand, dass ich es noch nicht gefunden hatte.

„Du bist die Neue hier oder?" Schon wieder bekam ich einen halben Herzinfarkt, als ich angesprochen wurde. Ich hatte ja nichts dagegen, aber mittlerweile fragte ich, ob ich ein Schild um den Hals trug, auf dem stand 'Sprich mich an'. Die Leute hier waren wohl eindeutig freundlicher.

Ich nickte und schritt neben dem Jungen um die Ecke. Er war größer als ich, etwa ein Meter achtzig und hatte dunkelblonde Haare. Seine braunen Augen fielen mir ebenfalls als eines der ersten Dinge auf, denn sie waren schon ziemlich auffällig. Während ich ihn so ansah, konnte ich einen gelben Schimmer in seiner Iris erkennen, allerdings nur sehr kurz, sodass es nach einem kurzen Blinzeln von mir schon wieder verschwunden war.

Lag wohl daran, dass ich zu lange in die Lampe gesehen hatte ...

„Ich bin Thomas und ich würde dir lieber raten, mir zu folgen, denn unser Lehrer hat es nicht so gerne, wenn man zu spät kommt ...!"

Da ich keine Lust auf einen schlechten ersten Eindruck hatte, folgte ich ihm ins Klassenzimmer. Meine Gedanke an den Zettel verdrängte ich fürs Erste wieder.

Moonlight werewolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt