Kapitel 21: Was ist an ihm anders?

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May

Ich sah Kleo an und stutze kurz.

Wieso kam sie denn genau jetzt auf dieses Thema zu sprechen?

Okay, sie wusste nicht, dass der Vollmond und ich eine völlig andere Geschichte, eine Geschichte für sich selbst waren, aber sicherlich hatte man es mir heute an meinen Augenringen angemerkt. Ich hatte mir ja schon gedacht, dass es jemandem auffallen würde, dass ich nicht geschlafen hatte und mich dazu auch noch die ganze Nacht bemühen musste, die Kontrolle über mich zu behalten.

Ich hoffte nun sehr, dass die beiden mich jetzt nicht noch zu lange hier festhalten würden und mich über alles Mögliche, jeder meiner Verhaltensweisen ansprechen würden oder am besten auch noch auf Thomas zu sprechen kamen, denn das kam mir alles nicht so gelegen. Ich hatte Thomas versprochen, dass wir uns heute, wenn auch nur ganz kurz, noch sehen würden, damit er mir alles erzählen konnte. Ich wusste nicht, warum ich mich nun jetzt doch noch dazu entschieden hatte, ihm eine Chance gegeben hatte, alles zu erklären.

Ich war mir sehr sicher gewesen, dass ich auf meinem Standpunkt beharren würde und ihn Kleo übergeben würde und wir uns dann einfach alle gemeinsam überlegen würden, wie wir nun, speziell mit ihm, weiter vorgehen würden. Ob wir ihn ausfragen würden, ob er etwas über das Alpharudel wusste oder diesen Florian.

Wenn er mir keine vernünftige Erklärung liefern würde, warum er nie gesagt hatte, dass er ein Beta war, ohne einen Hintergedanken zu haben, würde ich nicht mit der Wimper zucken, um Kleo oder Dylan anzurufen. Ich wusste, dass sie mich nie verurteilen würden, wenn ich so spät nachts anrief, wenn es etwas sehr Wichtiges war, was es dann auch sein würde.

Ich hoffte so sehr, dass sich alles klären würde und Kleo jetzt nicht noch mehr dachte, dass ich einen an der Klatsche hatte, da ich sie alle wohl auf eine falsche Fährte gelockt hatte.

Ich wollte mir nun aber auch keine Moralpredigt anhören, weil ich mich an Vollmond wohl nicht ganz so gut beherrschen konnte wie sie anscheinend. Es hatte bisher, besser oder schlechter, eigentlich immer geklappt, es war niemand zu Schaden gekommen und ich hatte mir auch noch keine wirklich ernsthaften Verletzungen zugezogen.

Was war also deren Problem?

Okay, wir waren in einem Rudel, aber jeder hatte ja auch noch sein Eigenleben ...

„Vollmond verläuft bei mir eigentlich immer ziemlich gleich. Ich gehe in meinen Keller, hole die Ketten hervor und dann geht es los. So tue ich niemandem etwas. Was ist daran denn ein Problem?"

Kleo warf Dylan einen Blick zu, der mir zu sagen gab, dass es wohl ein Problem war. Er hatte wohl die ganze Zeit genau zugehört.

„Eigentlich gibt es sehr viel bessere Wege, sich unter Kontrolle zu haben. Das ist jetzt wirklich nicht böse gemeint, aber du bist doch schon eine ganze Weile ein Werwolf. Hast du denn nie daran gedacht, jemanden um Hilfe zu fragen, damit du es noch besser in den Griff kriegst?"

Kleo schien mich mit ihrem Blick auf den braunen Augen beinahe zu durchbohren. Ich zuckte nur mit den Achseln.

„Nein, für mich gab es ja bisher noch kein Problem mit meiner Vorgehensweise. Aber, wenn ihr Tipps für mich habt, bin ich immer offen. Ich bin freudig gestimmt, etwas dazuzulernen."

Dylan nahm den Ball in die Hand und übergab ihn Noah und Julia, die beide weiterspielten. Er redete nun im Wohnzimmer mit uns, während er seinen Blick immer mehr zwischen Kleo und mir hin- und herschweifen ließ.

,,May, du darfst den Wolf in dir an Vollmond als keinen Fremdkörper ansehen, du musst mit ihm kooperieren, damit er nicht die Überhand nimmt. Wir können dir helfen, das zu schaffen und das tun wir auch gerne. Dafür ist ein Rudel schließlich da. Wir brauchen, nun, da wir Kontakt mit dem Alpharudel haben, von dem wir so gut wie nichts wissen, was sie von uns wollen, was sie geplant haben, oder wen sie von uns in ihrem Gewahrsam haben, die beste Kontrolle über uns, denn sonst können wir das alles von Anfang für gescheitert ansehen. Verstehst du mich, May? Wir arbeiten für ein Ziel!"

Dylan hatte ja eigentlich recht. Ich musste mich auf das Rudel mehr einlassen, sie hatten nichts vor, was mir schaden würde, eher im Gegenteil, sie wollten so gut wie es mit meiner teilweise bockigen Art ging, für mich da sein.

Als ich gerade antworten wollte, kamen Kleos kleiner Bruder Noah und Dylans kleine Schwester Julia ins Zimmer. Ich hätte meinen Bruder eigentlich auch mitnehmen können, aber da er auch schon ein bisschen älter als sie war, nicht viel jünger als ich, wusste ich nicht, ob er mir danken oder mich verfluchen würde.

Noah hatte sich wohl verletzt, er hatte eine Schramme am Bein, die ein wenig blutete. Wie fies das auch klang, es kam mir sehr gelegen, dass Kleo nun erst einmal kurz abgelenkt sein würde, um ihm zu helfen und ich mich damit mit so wenig Stress wie möglich aus dem Staub machen konnte.

Ich hatte Thomas schließlich auch noch etwas versprochen und eigentlich wollte ich auch noch ein paar Stunden Schlaf nachholen, da ich so müde war.

Als ich gerade aufgestanden war und schon in der Türschwelle stand, um zu gehen, sprach mich jemand an, von dem ich am wenigsten damit gerechnet hätte. Es war Noah.

„Hey, May, kommst du jetzt öfter mal vorbei? Du bist echt cool!", fragte er mich und ich lächelte ihn an. „Sicherlich werde ich das."

Dann trat ich aus dem Haus und fischte unbewusst schon mit meiner Hand in der Jackentasche nach meinem Handy, mit dem ich dann gleich Thomas' Nummer wählte. Um Kleos und Dylans Gehör machte ich mir momentan keine Sorgen, wenn es sie interessierte, würden sie es sowieso herausfinden.

Ich musste nicht lange warten, bis Thomas ranging. „May, ich danke dir so sehr, dass du es mich erklären lässt. Ich verspreche dir, dass ich es erklären kann."

Ich seufzte. „In einer halben Stunde bei mir. Die Adresse schicke ich dir!", sagte ich nur und legte auf.

Der Gedanke, dass Thomas mich nur ausnutzen könnte, machte mir, ehrlich gesagt, schon Angst. Warum er mir aber so viel ausmachte, wusste ich nicht. Ich wusste allgemein nicht, was mit mir los war. Normalerweise hätte ich niemandem diese Chance gegeben, die ich ihm da gerade gab.

Was war an Thomas nur anders?

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