Kapitel 35: Schmerz

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May

Ich fühlte mich benebelt wie in einem Tunnel. Zum Glück war ich die meiste Zeit nicht bei mir gewesen und musste diese ganzen Schmerzen nicht mitbekommen. Die Ohnmacht war über mich gekommen und dank ihr musste ich diese Schmerzen nicht andauernd ertragen. Leider hielt sie nicht für immer an.

Ich wachte auf, als ich spürte, wie der höllische Schmerz und das Brennen in meinem Bauch ein wenig nachließ. Es fühlte sich an der Wunde sehr warm und entspannend an, ich genoss dieses Gefühl, obwohl ich nicht wusste, was es war. Doch der Schmerz wurde weniger und das war das einzige, was mich im Moment interessierte.

Ich öffnete leicht flatternd meine Augenlider und ließ meinen Blick um mich gleiten. Ich erkannte die graue Wand und den Umriss eines der Zimmer im Versteck der Jäger. Ich befand mich nicht mehr in demselben Raum, in dem mich der Alpha angegriffen hatte. Dieser verdammte Schraubenzieher! Wieso konnte ich denn nicht vorsichtiger sein? Ich wollte doch nur aufpassen, dass der Alpha nicht entkommt, warum gingen meine guten Taten alle schief?

„Ist sie wach?", fragte jemand, der ins Zimmer kam und ich machte die Stimme von Stephen aus. Schnell kniff ich meine Augen zusammen, weil ich nicht mit ihm reden wollte, denn ich fühlte mich nicht gut. Ich wollte einfach wieder in die Traumwelt abdriften und von etwas Tollem träumen, eventuell von Thomas, wie wir beide zusammen glücklich wären und er meine Gefühle auch erwidern würde. Doch es würde wahrscheinlich nie so weit kommen. Ich hatte wohl wirklich kein Glück, aber ich konnte nichts machen. Aber wir waren momentan in einem Rudel, dann müssten wir dennoch gut miteinander auskommen können.

„Nein, sie ist noch bewusstlos", hörte ich Thomas' Stimme, direkt neben mir und daraufhin Stephens Schritte, die sich näherten. Ich wusste, dass er wusste, dass ich nicht mehr bewusstlos war, doch er hatte Stephen für mich angelogen.

Ich hatte bis gerade eben nicht einmal gewusst, dass er es war, der neben mir auf dem Boden saß, doch es machte sehr großen Sinn, denn schließlich hatte ich nicht gewusst, was das gewesen war, als meine Wunde weniger weh getan hatte. Thomas hatte mich geheilt, er war zumindest gerade dabei gewesen und selbst, da ich mich eigentlich dagegen gesträubt hätte, war ich froh, dass ich mich nicht meinen eigenen Heilungskräften überlassen hatte.

Da Stephen ja nun hier im Raum war, hatte er natürlich kurz innegehalten und heilte mich im Moment nicht, was ich sofort spürte, denn meine Wunde fing sofort wieder an, mehr zu schmerzen und ich wünschte mir, das Bewusstsein zu verlieren, damit ich das nicht länger mit durchmachen musste, denn es war einfach pure Folter.

„Danke, dass du sie heilst, Thomas, das ist wirklich großartig von dir. Ich bin mir sicher, dass sie dir dankbar sein wird. Wenn sie aufgewacht ist, lass sie noch ein bisschen ruhen und rufe mich dann! Geht das in Ordnung?"

Es war still und dann hörte ich Stephens Schritte, die sich entfernten, also musste Thomas wohl mit dem Kopf genickt haben, um ihm zuzustimmen.

„Danke", gab ich röchelnd von mir, als ich meine Augen wieder öffnete. Dieses mal war es sein Gesicht, das ich als erstes sah, diese wunderschönen braunen Augen und dieses perfekte Gesicht. Er grinste mich an, allerdings erkannte ich, dass er sich sehr große Sorgen um mich machte. Ich war noch nicht über den Berg.

„Shh, May, nicht reden, du musst deine Kraft sparen. Ich werde dich weiter heilen, egal, was du dagegen sagst, ich werde dich sicherlich nicht dir selbst überlassen. Halte einfach still und lass mich machen. Bald wird es dir besser gehen."

Ich wollte etwas erwidern, in der ersten Sekunde kam allerdings kein Laut aus meinem Mund, da ich Probleme mit dem Sprechen hatte, doch dann legte Thomas seinen Zeigefinger auf meine Lippen, um mir zu sagen, dass ich leise sein sollte. Ich zuckte leicht zusammen, als sein Finger meine Lippe berührte, es war wie ein Schauder, der durch meinen ganzen Körper ging und den Schmerz an der Wunde noch verstärkte. Ich war wirklich so ein naives Mädchen, das durchdrehte, weil der Junge ihr den Finger auf die Lippen legte, doch ich konnte nichts machen, dass ich dieses wohlige Gefühl, das ich nun spürte, sehr genoss. Mehr als sehr. Wenn er nur wüsste, wie ich mich fühlte.

Thomas grinste mich an. Mist! Hatte sich mein Geruch etwa verändert? Wenn ich wieder stehen könnte, wäre das erste, was ich machen würde, mir selbst eine zu klatschen, wie ich denn wirklich so unvorsichtig sein konnte. Ich war mal wieder super gewesen in meiner Tat, spätestens jetzt würde er mich für einen Vollfreak halten. Und tatsächlich: Er nahm seinen Finger von meinen Lippen.

Ich hasste mich, für meine Gefühle und mein Verhalten. Der Schmerz wurde wieder stärker und es würde schwach rüberkommen, wenn ich ihn fragen würde, ob er mich weiterheilen würde, da ich das eigentlich ja auch nicht wollte.

Doch, wie als könnte er meine Gedanken lesen, schlich sich ein konzentrierter Blick auf sein Gesicht und er legte seine Hand auf meine Wunde. Die wohlige Wärme breitete sich in mir aus und ich wollte meine Augen schließen, um zu hoffen, dass ich nun, da es weniger schmerzte, von Thomas träumen könnte, doch ich entschloss mich kurzerhand für etwas ganz anderes.

Da Thomas seine Augen geschlossen hatte, würde er es nicht bemerken, wenn ich ihn eine Weile einfach anschmachten würde und ihn ansehen würde. Seine dunkelblonden Haare, die vom Kampf in alle Richtungen abstanden, etwas verkrustetes Blut, das sich auf seinem Gesicht befand. Eine kleine Narbe auf dem linken Wangenknochen, doch das alles machte ihn für mich noch schöner. Er hatte sich eingebracht, er war ein schwacher Beta gewesen, doch er hatte schon in dieser kurzen Zeit sehr dazugelernt. Was er doch noch alles lernen würde, wenn er eine Weile bei uns im Rudel sein würde.

Ich freute mich schon so sehr auf diese Zeit, wenn ich ihn ständig sehen könnte, da wir eigentlich schon gezwungen werden würden, gemeinsam abzuhängen. Niemand würde auch nur auf die Idee kommen, dass ich in ihn verliebt war, es würde nur jeder denken, dass wir zusammen in einer Art Gang wären.

Doch er würde es sicherlich auch nie wissen. Ich müsste es ihm eines Tages sagen.

Auch, wenn die Angst, zurückgewiesen zu werden, sehr groß war.

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