1. Kapitel

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                                                   AUSTIN


Durch die Frontscheibe sah Beaver Dam wie eine Kulisse aus, unecht, drapiert und irgendwie viel zu einladend für meinen Geschmack. Viel lieber hätte ich die ersten Häuser für schäbig empfunden, doch sie wirkten beinahe heimatlich auf mich. Die Wahrheit ist, ich freute mich auf sie. Obwohl ich die Straßen dieser Stadt zum ersten Mal sah, bildete ich mir ein, sie schon lange zu kennen.

Vielleicht weil ich sie kennen wollte, weil sie ein Teil von mir sein sollten so wie der Mensch, den ich hier wiedersehen würde. Er war wie diese Stadt, fremd, doch mit dem Unterschied, dass er mal mein Vater gewesen war. Diese Stadt war sein Zuhause und während ich durch ihre Straßen fuhr, machte ich sie auch zu meinem Zuhause.

Freude breitete sich langsam in mir aus, verdrängte die Aufregung in mir, bis ich es kaum noch erwarten konnte, anzukommen. Ich würde endlich wieder sein Sohn sein, würde sein Leben teilen, alles zurückholen, was zwischen uns verblasst war. Bevor er gegangen war und Verwüstung in mir zurückgelassen hatte.

Ein Teil dieser Verwüstung saß neben mir auf der Rückbank. Sie drehte den Kopf zu mir, lächelte und zeigte Daumen-hoch, was mir wie ein kläglicher Versuch erschien, ihre Nervosität zu überspielen, denn Jada konnte mich nicht täuschen. Da sie ein Mädchen ist und ich ein Junge, zumindest größtenteils, fällt nicht jedem sofort auf, dass wir Zwillinge sind. Auf den zweiten Blick, der meistens mit analysierend zusammengekniffenen Augen erfolgt und nervtötend lange zwischen unseren beiden Gesichtern hin und her flitzt, sind dann doch Ähnlichkeiten zu erkennen. Äußerlich hält sich unsere Ähnlichkeit jedoch in Grenzen, was man nicht von unseren Charakteren behaupten kann.

Uns verbindet ein Band, das fester ist als das normaler Geschwister. Jada und ich verstehen uns blendend, meistens jedenfalls.

Wir beschützen uns gegenseitig, entfernen uns nie weit voneinander. Ich weiß nicht, was ich ohne Jada täte, denn niemand akzeptierte mich so wie sie es tat. Dass Jada ein Mädchen ist, stand nie zwischen uns, im Gegenteil, genau das liebe ich an ihr. Ich brauchte das an ihr, es ermöglichte mir ich selbst zu sein.

Ich streckte meine Hand nach ihrer aus, ergriff ihre Finger. Es machte mich stärker und ich wusste, dass es sie beruhigte, ihr zeigte, sie war nicht allein. Zu zweit waren wir das niemals.

Ich lenkte meinen Blick zurück nach vorne. Wir waren angekommen. Der Motor erstarb. Ich hatte nichts Großes erwartet, höchstens ein kleines Haus mit einem unscheinbaren Garten, ohne viel Schnickschnack und genau das war es auch. Die weiße Holzfassade zeigte Wetterspuren, aber ich fand die grünen Fensterläden niedlich. Ein Blick zu Jada und ich war mir sicher, dass sie es mochte, also mochte ich es auch.


Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt