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Wir hielten vor dem Bed&Breakfast, der Motor erstarb. Ich sah durch die Frontscheibe hinaus in die Dunkelheit, bis Austin sich zu mir hinüber lehnte, seine Hand an meine Wange legte und meinen Kopf sanft in seine Richtung drehte. Seine braunen Augen blickten direkt in meine. „Du wärst glücklicher, wenn du nicht immer auf die anderen achten würdest. Wenn dir egal wäre, was sie denken", flüsterte er und näherte sich mir noch ein Stück.

Mein Blick strich über sein Gesicht. „Es geht nicht nur um die anderen, es geht um so vieles." Um meine Zukunft, dachte ich.

„Was auch immer es ist, sind wir denn nicht wichtiger? Wir beide?"

Ich schloss die Augen, fühlte nur noch seine Nähe und konzentrierte mich auf seinen Atem. Ich wollte ihm nicht antworten. Stattdessen wollte ich ihm etwas sagen, das er nicht verurteilen konnte. „Ich liebe d..." Er unterbrach mich, indem er seinen Finger auf meine Lippen legte.

„Ich weiß", murmelte er, „und ich liebe dich auch. Aber es wäre wirklich besser du würdest diese wunderbare Seite von dir nicht verstecken."

Nein, widersprach mein Kopf, es wäre niemals besser. Ich bin kein Jesse, ich bin Footballspieler. Langsam lehnte ich mich zurück und öffnete dabei die Augen. Sein Blick war unergründlich, aber ich wusste, dass einiges in seinem Kopf vorging. Ich öffnete die Fahrertür und stieg hinaus in die nächtliche Kälte. Mein Blick wanderte zum Haus hinüber und ich freute mich auf die Wärme und das Bett, das wir uns gleich teilen würden.

Die Beifahrertür fiel laut ins Schloss und ich sah zurück und begegnete Austins Blick. Irgendwie war ich mir in diesem Moment sicher, dass wir nicht ohne einander konnten.

Als ich zurück in Evanston war, hatte ich eine Email von meiner Mutter im Postfach. Sie lud mich zu Thanksgiving nach Minneapolis ein, die Stadt in der sie arbeitete. Sie schrieb, dass meine Schwester ihren neuen Freund mitbringen würde und wollte, dass ich ihn kennenlernte. Ich sagte zu, aber nur mit der Bedingung, dass ich Austin mitbringen durfte. Ich hatte mir fest vorgenommen, Thanksgiving dieses Jahr mit ihm zu feiern.

„Wirst du an Thanksgiving auch nach Hause fahren?", fragte ich Bart, als wir zusammen im Salon saßen und lernten.

„Ja", antwortete er, „ich reise nach New York."

Ich versuchte mir seine Familie vorzustellen, aber es gelang mir nicht. „Sie haben dich noch nie hier besucht", fiel mir auf.

„Wer?"

„Deine Familie. Interessiert es sie nicht, dass du eine Highsociety gegründet hast? Das Haus finanziert doch dein Vater, oder?"

„Mein Vater bestimmt, was für uns das Richtige ist. Die Society war meine Idee. Er hält nicht viel davon." Er klang gleichgültig, aber ich betrachtete sein Gesicht. Es war eine Maske.

Ich kenne das nur all zu gut. „Und was hält er für das Richtige?"

„Mein Studium. Eine Karriere. Ohne ihn wäre ich nicht hier. Mein Vater hat einen genauen Plan für mich und jeden meiner Brüder." Er sah auf und strich sich durch das Haar. Ich hatte bemerkt, dass er das immer tat, wenn er über sich reden musste. „Ich verfolge diesen Plan."

„Weil du ihn gut findest. Was ist mit deinen Brüdern? Finden sie seine Pläne auch gut?" Ich interessierte mich ernsthaft dafür. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie wie Bart waren, diese zwei Brüder.

„Das tut nichts zur Sache. Sie werden scheitern, wenn sie so dumm sind und ihre eigenen Ziele verfolgen. Andrew, der Jüngste, widersetzt sich unserem Vater schon seit Jahren. Er ist ein drogensüchtiger Idiot. Corey, der Älteste, ist Golfprofi, weil Vater ihn gefördert hat. Also, was ist wohl der bessere Weg, frage ich dich?"

Ich hatte es endlich geschafft, ihn zum Reden zu bringen und was er mir erzählte, machte mich nachdenklich. Ich gab mir Mühe, seine Denkweise nachzuvollziehen. Es fiel mir schwer. Er redete von seinem Vater, der in meinen Augen wie ein Diktator über die Familie herrschte, wie als würde er ihm den einzig sinnvollen Weg ebnen.

Ich überlegte, ob Bart wirklich seine eigenen Ziele verfolgte, oder ob er nur eine Marionette seines Vaters war. Die Vorstellung, nicht Herr über sein eigenes Leben zu sein, fand ich schrecklich. Plötzlich hatte ich ein anderes Bild von Bart, dem selten komplizierten Menschen. Er machte mich neugierig.

„Das was man am liebsten macht, das kann man auch am besten. Damit kommt Erfolg", sagte ich, weil ich das aus eigener Erfahrung wusste. „Du hast also ein gutes Verhältnis zu deinem Vater?", fragte ich weiter.

Er zögerte einen Moment, ich hatte ihn wohl an einem wunden Punkt getroffen. „Das Beste, das man mit einem Vater haben kann, der sich nie um mehr gekümmert hat als um deine erfolgreiche Zukunft. Er hat mir das alles gelehrt. Er hat mich zu ihm gemacht."

Das warf eine Frage in mir auf, die mich noch in der Nacht danach beschäftigen würde: Wäre ich ein Abbild meines Vaters gewesen, wenn er noch gelebt hätte? „Mein Dad hätte mich auch unterstützt. Zumindest was Football angeht." Es war der einzige Punkt, in dem ich mir sicher war.

Ich hatte plötzlich den Drang, noch ein bisschen mehr über meine Familie zu erzählen, vielleicht weil ich hoffte, ein paar Gemeinsamkeiten aufzudecken. „Meine Mom lebt für ihre Arbeit und will, dass auch wir Erfolg haben. Meine Schwester studiert dasselbe wie sie studiert hat. Unsere Familien sind ähnlich."

„Es gibt keine Familie, die so ist wie meine", widersprach er, aber ich glaubte ihm nicht, „das Einzige was zählt ist Ruhm. Corey hat es schon geschafft. Er wird bald heiraten. Meine Schwester Andorra ist dabei ihr eigenes Modelabel zu gründen. Und ich, ich habe noch nichts erreicht."

Es war das erste Mal, dass er sich mir gegenüber schlecht darstellte und es schockierte mich irgendwie. „Das ist doch schwachsinnig", sagte ich, „du hast schon einiges erreicht." Wie konnte er über sein perfektes Leben unglücklich sein? Ich wollte weiter mit ihm reden, aber er wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Also arbeitete ich weiter und versuchte mir dabei vorzustellen, was es hieß, ein Kent zu sein. Es war als würde er meine Gedanken erraten, denn er sah mich an und sagte: „In meiner Familie müssen viele Opfer gebracht werden, das Streben nach Perfektion und Ansehen ist das oberste Gebot." Fast schon wieder geschäftlich griff er nach einem Stift und setzte ihn zum Schreiben an. Dann hielt er inne.

„Gerade du solltest wissen, dass jeder Makel eine Gefahr ist, die sich zwischen dich und deine Ziele stellen kann."

Ja, dachte ich, das weiß ich.

Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt