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Dad verbrachte wieder einige Tage im Krankenhaus. Ich musste viel lernen für meine Abschlussprüfungen, doch fast jeden Abend nahm ich mir ein bisschen Zeit, ihn in seinem Zimmer zu besuchen. Dad lächelte, wenn ich das Krankenzimmer betrat. Ich legte die Zeitung auf den Nachttisch, nahm mir einen Stuhl und schob ihn ans Bett. Er sah mich an. „Was ist los?", wollte ich wissen und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel an der Wand.

„Ich war furchtbar zu dir", sagte er und klang ziemlich unglücklich. Ich schwieg, hatte nicht vergessen wie er mich behandelt hatte, als ich aus Park Falls gekommen war. „Es tut mir leid", fuhr er fort, „du warst so verändert, du warst so selbstbewusst. Irgendwie hat es mich überfordert. Deine Mom, sie hatte es schon damals im Gefühl..."

„Das ich schwul bin?", fragte ich überrascht. Ich hatte selten darüber nachgedacht. Als Kind war mir nicht bewusst, was mich so anders machte. Doch die Blicke, mit denen andere Eltern mich angesehen und wie sie mir mit einem unsicheren Lächeln über das Haar gestreichelt und schließlich irritiert zu meiner Mutter gesehen hatten, hatte ich nie vergessen.

„Sie hat es bereits geahnt. Deine Bewegungen, deine Begeisterung für Jadas Sachen, all das."

Ich erinnerte mich an den Tag, an dem ich mich zu einem Schmetterling hatte schminken lassen. Alle anderen Jungs waren Tiger und Drachen gewesen und ließen mich nicht mit ihnen spielen. Ich schaute vorsichtig von meinen Händen auf, die ich in meinem Schoß gefaltet hatte. „War das schwierig für dich?"

„Ja", gab er zu.

Ich sah ihn vor mir, sein jüngeres Gesicht auf meiner Höhe, wie er mich enttäuscht ansah und wissen wollte, warum ich nicht auch ein Drache sein wollte wie die anderen Jungen. Ich hatte ihm gesagt, dass mir Drachen Angst machten. Er hatte mich angesehen, eine Weile, dann war er aufgestanden und zu den anderen Erwachsenen gegangen.

Dad nahm meine Hand und holte mich zurück in die Gegenwart. „Ich habe dich lieb, Austin. Auch wenn ich das lange nicht gezeigt habe. Bitte verzeih mir, dass ich so schlecht zu dir war. Du bist ein toller Junge, wirklich."

„Ich verzeihe dir. Dad, ich bin glücklich darüber wie ich bin. Und es bedeutet mir viel, wenn andere es auch sind." Er lehnte sich wieder zurück und schloss zufrieden seine Augen. „Du musst gesund werden", flüsterte ich.

Elijah und ich lernten viel zusammen, wir kamen uns dabei immer näher. Es fühlte sich einfach richtig an, bei ihm zu sein, ihn reden zu hören und dabei seine Hand zu halten. Meistens reichte uns das nicht, dann ließen wir die Arbeit liegen und küssten uns, bis mein schlechtes Gewissen mir sagte, dass wir weiterlernen mussten. Jada hatte mich einmal gefragt, warum ich so vernarrt in ihn bin. Elijah ist ganz anders als ich, er ist männlich, er liebt seinen Sport, sein schnelles Auto und er legt sehr viel Wert auf die Meinung der anderen. Während unserer geheimen Treffen fand ich viel über ihn heraus, zum Beispiel, dass er sich noch nie mit seiner Sexualität beschäftigt hatte, ihn interessierte diese Szene überhaupt nicht. Ich war ziemlich schockiert darüber, dass er nichts davon kannte. Er interessierte sich nicht dafür, aber er hörte gerne zu, wenn ich von mir erzählte, von meinen Erfahrungen, von meinen Vorlieben. Bald sah ich in ihm eine völlig andere Person als die Person, welche die anderen in ihm sahen. Ich sah einen Elijah, der mir gehörte. Doch er wollte diesen Elijah nicht in die Öffentlichkeit lassen.

„Ich will dich was fragen", sagte ich. Wie so oft saßen wir in seinem Zimmer auf dem Boden.

„Tu es." Elijah schaute mich erwartungsvoll an.

„Wollen wir... zusammen sein?"

Er lächelte. „Was?"

„Na eine richtige Beziehung?"

„Mit was für einem Unterschied? Zu jetzt, meine ich?"

Ich verdrehte die Augen und rutschte direkt vor ihn, sodass wir uns ganz nah waren. Wie so oft zog mich sein Körper an wie ein Magnet, dieser Körper, der so anders war als meiner. Durchtrainiert, stählern und kräftig. „Ich darf dich offiziell meinen Freund nennen... und du darfst keinen anderen Jungen mehr anschauen, geschweige denn mit ihm reden", sagte ich.

Elijah lachte über meinen Sarkasmus, dann wurde er ernst.  „Das heißt, ich soll all meinen Freunden sagen, dass ich mit dir zusammen bin?"

„Ist das denn so schlimm?" Ich legte meine Hand an seine Wange und streichelte mit dem Daumen darüber, sie war ein bisschen rau, doch das gefiel mir. „Seinen Freunden die Wahrheit zu sagen?"

„Nein", murmelte er.

„Was macht es schon für einen Unterschied? Ob du einen Freund oder eine Freundin hast? Was ändert das? Es ist beides Liebe. Ich verstehe nicht, was euer Problem ist, echt nicht."

„Keine Ahnung, es ist einfach noch nicht in unserer Gesellschaft angekommen. Niemand verschwendet einen Gedanke daran, bis man es erlebt. Es ist nicht normal, ein Fehler der Natur. Was sind Männer, wenn sie Männer lieben? Kein Kerl, Weicheier, irgendwie falsch entwickelt? So ist es doch oder nicht? Es macht keinen Sinn und laut der Kirche ist es auch noch eine Schande. Keiner kommt damit klar, weil es komisch wirkt, weil es irgendwie nicht zu passen scheint. Ich will nicht, dass man nicht mehr mit mir klarkommt, weil man meint, plötzlich jemand anderem gegenüberzustehen. Ich will nicht, dass Leute Abstand von mir halten. Und ich will auf keinen Fall ein Weichei sein." Er holte Luft, stand hastig auf. „Weder ich noch Jeffrey wollten lügen, aber diese Welt ist doch scheiße. Sie ist schuld."

Ich erhob mich ebenfalls. „Denkst du über mich auch so?" Was Elijah angesprochen hatte, waren bei mir längst verheilte Wunden, die er wieder aufgerissen hatte.

„Nein!", widersprach er schnell und griff nach meiner Hand, „ich denke überhaupt nicht so. So denken die anderen und ich bin ihre Leinwand auf die sie alles projizieren können, was sie über Homosexuelle zu wissen glauben. Darauf habe ich keine Lust!"

Ich sah in seine Augen, sah Unsicherheit und Angst, viel Angst. „Nur weil du dich mit den Augen der anderen siehst. Wenn es sich für dich richtig anfühlt und ich hoffe das tut es, dann verschwende keinen Gedanken an sie. Sie verstehen einfach nicht wie wir fühlen, sie können nur nicht vertrauen in etwas, das sie nicht verstehen. Richte dich nicht nach ihnen!"

Mein Ton war flehend. Er zog mich zu sich heran und küsste mich. Der Kuss fühlte sich zunächst ein bisschen verzweifelt an, doch er verwandelte sich in einen ernsten, wundervoll bedeutsamen Kuss. „Es fühlt sich verdammt richtig an", sagte er schließlich und seufzte, „ab heute sind wir in einer festen Beziehung."

Mein Körper füllte sich mit kribbelnder Wärme, ich hätte auf der Stelle abheben können vor Glück, ich umschlang seinen starken Körper und presste mich an ihn, ich wollte alles einnehmen.

Ich wollte, dass er jetzt ganz mir gehörte, deshalb ließ ich meine Stimme so verführerisch klingen wie möglich und sagte: „Sag mir nach der heutigen Nacht, dass wir uns nicht mehr verstecken brauchen."

Elijah war am nächsten morgen klar, dass er mich liebte und brauchte, er sagte mir, ich sei das Beste was ihm je passiert ist. Er war noch nie so verliebt. Es machte mich stolz, dass ich seinen Körper berühren durfte und ich war mir sicher, der glücklichste Mensch auf Erden zu sein.

Dreamboy (#deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt